„Die EU hat geholfen, eine Epoche des Friedens zu schaffen“

Interview mit Stefan Engstfeld zum Europatag 2015:

Wie beurteilst du die Situation in Europa 65 Jahre nach der Schuman-Erklärung? Sind seine Visionen für Frieden in Europa zufriedenstellend umgesetzt worden?
Stefan: Die Europäische Union ist noch lange nicht „fertig“, aber wir sind schon sehr weit gekommen. Mit der EU verbinden wir den Gedanken an Freiheit und Vielfalt, Frieden und Demokratie. Sie hat geholfen, jahrhundertealte Gegensätze und Konflikte zu überwinden und eine historisch einmalige Epoche des Friedens in Europa zu schaffen.
Was sind die größten Schwierigkeiten, mit denen Europa und die Mitgliedsstaaten der EU bei der Zusammenarbeit zu kämpfen haben? 
Stefan: Der größte Vorteil Europas ist zugleich auch die größte Herausforderung: Wir müssen lernen mit den Unterschieden zu leben, die es zwischen den mittlerweile 28 Mitgliedsstaaten gibt. So gibt es vielfältige Ansätze, mit Krisen umzugehen. Wichtig ist, dass am Ende eine klare, gemeinsame europäische Perspektive steht. Dann macht es auch nichts, wenn es auf dem Weg dorthin stellenweise deutlich unterschiedliche Vorstellungen geben sollte.
Unterschiedliche Vorstellungen gibt es auch in der Flüchtlingspolitik. Wie sollte die EU deiner Meinung nach damit umgehen, dass immer mehr Hilfesuchende aus Kriegs- und Krisengebieten nach Europa flüchten?
Stefan: Was die EU-Staaten kürzlich beschlossen haben, reicht nicht aus, um das Massensterben im Mittelmeer zu beenden. Wir brauchen einen Richtungswechsel in der EU – weg von der menschenunwürdigen Flüchtlingspolitik der kompromisslosen Abschottung um jeden Preis. Europa muss aufhören, den Schutz vor Flüchtlingen wichtiger zu nehmen als den Schutz von Flüchtlingen. Wir brauchen unverzüglich ein finanziell und operationell gut ausgestattetes ziviles Seenotrettungsprogramm für Flüchtlinge im Mittelmeer. Es bedarf außerdem legaler Einreisemöglichkeiten in die EU und einer Aufteilung der Verantwortung unter den EU-Mitgliedsstaaten zur Aufnahme der Flüchtlinge.
Auch in der globalen Zusammenarbeit gibt es noch Herausforderungen. Wie sieht die Situation um TTIP aus? Wie geht es weiter?
Stefan: Der öffentliche Druck bei TTIP wirkt. In der Diskussion um sogenannte Schiedsgerichte nimmt die öffentliche Debatte Einfluss auf die Verhandlungen. TTIP birgt derzeit besonders da noch viele Gefahren, wo in Europa jahrzehntelang für hohe Standards gekämpft wurde. Ich plädiere für einen Neustart der Beratungen, sodass dann sensible Themenfelder wie die Agrarpolitik gar nicht erst verhandelt werden. Wir werden auf jeden Fall weiter dafür sorgen, dass dieses Abkommen nicht hinter verschlossenen Türen diskutiert wird.
Weitere Informationen zum Europatag gibt es hier.