„Es geht darum, dass das Kind glücklich ist.“

Interview zum Welttag des Down-Syndroms 2015

Foto von Rabea mit LeifGrüne Fraktion: Hast du schon vor der Geburt gewusst…

Rabea: …, dass Leif das Down-Syndrom hat? Das ist lustig, denn das ist tatsächlich immer die erste Frage, die mir gestellt wird. Warum, frage ich mich. Um zu wissen, ob ich das Kind dann abgetrieben hätte? Nein, wir haben es erst bei der Geburt erfahren. Aber da ich Ende 30 war, habe ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt und mit meiner Hebamme darüber gesprochen. Sie hat mir eine entscheidende Schlüsselfrage gestellt: Kannst du ein Kind mit Down-Syndrom lieben, wenn es auf der Welt ist? Das habe ich spontan mit ja beantwortet. Von da an war für mich klar: Wenn es so sein soll, dann ist es so.

Grüne Fraktion: Was hältst du von pränataler Diagnostik in Hinblick auf die Trisomie 21? Sollte man darauf verzichten?

Rabea: Das ist schwierig. Ich glaube, das muss jedes Paar für sich selbst entscheiden. Wenn man schwanger ist, macht man sich ja schon Gedanken über sein Kind. Die meisten wünschen sich Töchter oder Söhne, die sportlich, eloquent, witzig und hübsch werden. Plötzlich bekommt man ein Kind, was so gar nicht dem entspricht, was man sich vorgestellt hat. Ich glaube, dass es Eltern gibt, die sich sicher sind, damit nicht leben zu können. Für sie sind die Vorsorgeuntersuchungen angebracht, denke ich.

Grüne Fraktion: Welche Erfahrungen hast du denn mit den ÄrztInnen gemacht?

Rabea: Die üblichen Vorsorgeuntersuchungen wie Nackenfaltenmessung zeigten alle keine Auffälligkeiten. Als ich dann nach der Geburt mit Leif das erste Mal bei meiner Gynäkologin war, war sie sehr betroffen, dass sie nicht gesehen hat, dass er ein Down-Syndrom-Kind ist. Da habe ich sie angeschaut und gesagt: Es ist alles gut, er ist gesund. Auf mich wirkte es, als würde sie mit leiden.

Deshalb glaube ich, jeder Arzt müsste sich intensiv damit auseinandersetzen, wie er Eltern begleitet, die ein Kind mit Trisomie 21 erwarten. Natürlich bekommt man erst einmal einen Schock. Viele entwickeln große Ängste vor dem Leben mit einem solchen Kind.

Da würde es helfen, wenn die Ärztin sagt: „Wissen sie was, ich kenne eine Familie mit einem Kind, das Trisomie 21 hat und das läuft super.“ Aber auch für die Ärzte ist es sehr schwer, den richtigen Weg oder ihre Position zu finden. Ich glaube, sie wollen natürlich auch der Mutter und den Eltern nicht vorschreiben, wie sie ihr Leben zu leben haben.

Bild von LeifGrüne Fraktion: Geschätzte neun von zehn Frauen treiben nach Angaben des Down-Syndrom InfoCenters ab, wenn sie erfahren, dass ihr Kind diese Chromosomenanomalie hat. Ist das nicht eine erschreckend hohe Zahl?

Rabea: Es gibt ja jetzt den nicht-invasiven Bluttest, den man relativ einfach in einem frühen Stadium der Schwangerschaft machen kann und mit dem man zu 99 Prozent nachweisen kann, ob das Down-Syndrom vorliegt. Es wird wahrscheinlich dadurch noch einfacher, ein Kind abzutreiben. Es wird einfach eine riesige Angstblase um das Thema Trisomie 21 aufgetan. Bei uns ist diese Blase geplatzt und im Kern bleibt nun im Leben mit Leif nicht übermäßig viel Angst übrig. Der Unterschied zu früher ist, dass wir heute alles planen: Frau macht Karriere, dann kommt das Kind und dann geht es weiter. Man geht irgendwie davon aus, dass ein Kind irgendwie ins Leben passen soll. Und ein Kind mit Down-Syndrom? Oh Gott, wie passt das jetzt ins Leben? Das ist ja nicht wie früher, als es hieß: Et kütt, wie et kütt.

Grüne Fraktion: Wie haben die Leute reagiert, als sie von Leif erfahren haben?

Rabea: Sehr unterschiedlich. Die meisten waren sehr betroffen. Ganz wenige haben mir einfach zu meinem süßen Baby gratuliert, über das man sich einfach freuen sollte.

Grüne Fraktion: Wie reagiert die Gesellschaft denn heute, wenn du mit ihm unterwegs bist? Was machst du für Erfahrungen?

Rabea: Wir stehen schon unter Beobachtung, wenn wir unterwegs sind. Man wird einfach anders wahrgenommen. Ich glaube, es gibt relativ viele Berührungsängste, weil sich Leif halt anders verhält als ein nichtbehindertes Kind. Insgesamt sind die Menschen aber viel offener mir gegenüber geworden. Plötzlich erzählen sie mir sehr schnell von ihren eigenen Ängsten und Problemen, was sie früher nicht getan haben. Vielleicht öffnen sie sich mehr, weil sie sehen, dass nicht alle eine Bilderbuchfamilie haben.

Grüne Fraktion: Was wünschst du dir denn in Zukunft von der Gesellschaft?

Rabea: Das Verschiedenheit – sei es eine geistige Behinderung oder, dass man einfach nur anders aussieht – einfach normaler wird. Es ist schwierig, Menschen mit Beeinträchtigung ins normale Leben zu integrieren, weil sie sich oft anders verhalten und nicht immer alles mitmachen können, was Menschen ohne Beeinträchtigung tun. Aber man sollte sie nicht abschieben, sondern sie sollten viel mehr im Stadtbild auftauchen. Sie sollten einfach dabei sein. Damit es normal wird, diese Menschen zu sehen. So dass die Verschiedenheit zur Normalität wird.

Grüne Fraktion: Was wünscht du dir denn für Leif später? Wünscht du dir dasselbe, was du dir für eure ältere Tochter wünschst?

Rabea: Alle Eltern wünschen sich für ihre Kinder, dass sie glücklich sind und glücklich bleiben. Aber das ist Leif ja schon. Für ihn wünschen wir uns, dass er irgendwann losgelöst von unserem Haushalt leben kann. Dass er sein eigenes, selbstständiges Leben führen kann, mit allem, was dazu gehört, zum Beispiel einer Partnerschaft. Das ist das Ziel.

Bei unserer Tochter haben sich unsere Wünsche seit Leifs Geburt auch geändert. Leistung, die mir früher sehr wichtig war, hat nicht mehr den Stellenwert, den sie mal hatte. Es geht darum, dass das Kind glücklich ist, egal was es macht.

Grüne Fraktion: Kinder verändern das Leben ja sowieso. Hat Leif euer Leben nochmal anders verändert?

Rabea: Ja, ich bin viel emotionaler geworden. Ich weiß Dinge mehr zu schätzen und freue mich mehr über jeden Entwicklungsschritt. Nicht nur bei ihm, sondern auch bei unserer Tochter. Man lernt einfach viel mehr, das hier und jetzt zu schätzen.