Salafismus-Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Ali Baş in unserem Blog über den Kampf gegen Radikalisierung

Da sind die Eltern, denen ich oft beim Einkaufen begegne, die noch versucht haben, ihrem Sohn hinterher zu reisen, um ihn von diesem Wahnsinnstrip abzuhalten. Ich frage mich die ganze Zeit, was in ihren Köpfen vorgeht und welche Ängste sie um ihr Kind durchmachen müssen. Sie haben zu spät mitbekommen, dass sich ihr Sohn nicht bloß einfach so mehr für seinen Glauben interessiert hat, sondern die ganze Zeit mit der militanten Salafistenszene aus der Umgebung in Kontakt stand – weit abseits vom Mainstream.  
Der junge Mann war bis zu seiner Ausreise kaum in Moscheen zu sehen. Auch in der Schule gab es keine besonderen Auffälligkeiten. Ich frage mich, wie so ein Jugendlicher nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit und der eigenen Familie in diese radikale Szene abrutschen kann. Was ist da schief gelaufen?
Nach den menschenverachtenden Anschlägen von Paris und Kopenhagen ist eine weitere Problematik noch einmal deutlich geworden: die Radikalisierung im Strafvollzug, die die Attentäter durchlaufen haben. Auch hier bleibt die Frage, wie es so weit kommen konnte, ohne dass die Entwicklungen aufgefallen sind?
Bei der Ursachenforschung für derartige Radikalisierungsprozesse steht Deutschland allerdings erst am Anfang, während Großbritannien und die Niederlande schon seit einigen Jahren wissenschaftliche Forschung betreiben. Gerade diese Forschung ist notwendig, um die Prozesse von Radikalisierung zu verstehen und um eine effektive Präventionsarbeit aufzubauen.
In der politischen Diskussion ist gerade aus konservativen Kreisen sehr oft der Ruf nach härteren Gesetzen zu hören und nach dem vermeintlichen Allheilmittel „Vorratsdatenspeicherung“.  In Frankreich konnte diese Maßnahme den Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ letztlich nicht verhindern.
Ebenso häufig wird nach Aussteigerprogrammen gerufen, die unbedingt notwendig sind, aber letztlich erst dann ansetzen, wenn es eigentlich schon fast zu spät ist. Präventionsarbeit muss daher viel früher beginnen und setzt vor allem auf Sensibilität, Bildung und Dialog.
Expertinnen und Experten fordern daher, dass gerade in der Schule und der Jugendarbeit verstärkt das Thema Radikalisierung verankert sein muss. Dazu gehört auch ein solides und reflektiertes Wissen über den eigenen Glauben – eine Lücke, die gerade die salafistische Szene für sich zu nutzen weiß und Jugendliche sowie junge Erwachsene in ihrer Sprache und über das Internet gezielt anspricht.
Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts in NRW ist deshalb ein wichtiger Baustein, der derzeit ausgebaut wird, ebenso wie die Errichtung von Lehrstühlen für die islamische Theologie.
Eine besondere Rolle dürfte auch die Anerkennung islamischer Religionsgemeinschaften spielen, die den Glaubensgemeinschaften mehr Möglichkeiten eröffnen würde, zum Beispiel bei der Bereitstellung von muslimischer Seelsorge in Gefängnissen.
Letztlich gehört zur Prävention im weiteren Sinne auch ein offensiver Umgang mit dem zunehmenden antimuslimischen Rassismus, aber auch Antisemitismus. Denn die Gesamtgesellschaft muss ihre Freiheit gegen diejenigen verteidigen, die sie bedrohen. Eine Stärkung von zivilgesellschaftlichem Engagement und eine Weiterentwicklung der politischen Bildung sind dabei sehr wichtig.
Im Diskurs um die Vielfalt unserer Gesellschaft muss der Dialog auf Augenhöhe mit den MuslimInnen stattfinden. Das ist aber angesichts des Misstrauens in Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Islam und angesichts des jüngsten Aufflammens von Pegida und AfD eine Herausforderung. Doch sie anzupacken, lohnt sich langfristig.