Erinnerungskultur: Reise zu Gedenkstätten in Polen und Tschechien

Mehrdad Mostofizadeh und Stefan Engstfeld

Erstes Reiseziel ist Warschau, wo u.a. der Besuch des Museums der Geschichte der polnischen Juden und das Denkmal des Warschauer Aufstands auf dem Programm stehen. Weiter geht es am Mittwoch in Krakau mit einer Fahrt nach Auschwitz und Birkenau. Am Donnerstag reisen wir weiter nach Prag und besuchen in der Nähe die Gedenkstätte Lidice. Am Freitag besichtigen wir zum Abschluss Theresienstadt. Von unseren Eindrücken werden wir hier fortlaufend berichten.
Weitere Fotos der Reise gibt es auch auf der Seite der Gedenkstätte Licide.


Tag 5 – letzter Tag: Theresienstadt und Lidice

Gestapo-Gefängnis Theresienstadt
Erste Station am Abschlusstag der Delegationsreise war Theresienstadt – Die Kleine Festung – Gefängnis der Gestapo: Im Zusammenhang mit dem verstärkten Terror gegen das tschechische Volk erweiterte sich der Verfolgungs- und Unterdrückungsapparat der deutschen Besetzer. Im Juni 1940 übernahm aus diesem Grund die Dienststelle der Prager Gestapo die Kleine Festung (Mala Pevnost) in Theresienstadt und errichtete dort ein Gefängnis. Die Kleine Festung eignete sich aufgrund der leicht zu bewerkstelligenden Bewachung und der Nähe zu Prag gut für die Absicht der Gestapo, hier politische Häftlinge gefangen zu halten. Etwa 32.000 Personen (27.000 Männer und 5.000 Frauen) wurden während der Jahre zwischen 1940 und 1945 hier eingeliefert, inhaftiert und dann in andere Konzentrationslager und Zuchthäuser überstellt. Mehr als 2.500 Häftlinge kamen im Gefängnis ums Leben, starben aufgrund der schlechten Haftbedingungen, einer unzureichenden Ernährung, aufgrund von Krankheiten und fehlender medizinischer Hilfe, aufgrund der katastrophalen hygienischen Bedingungen. Sie starben an Flecktyphus, wurden zu Tode geprügelt oder hingerichtet. Es waren Oppositionelle aller gesellschaftlichen Schichten, Arbeiter, Wissenschaftler, Ärzte, Priester, Juden, sowjetische Kriegsgefangene, Frauen und Männer, die von der Gestapo verhaftet und nach Theresienstadt deportiert wurden, wo sie auf ihr Urteil warteten, um dann hingerichtet oder zur Verbüßung einer langjährigen Haftstrafe in ein anderes Lager, Gefängnis, Zuchthaus oder KZ überführt zu werden. Die Anlage ist im Originalzustand erhalten und wir konnten uns unter der Leitung von Vojtech Blodig (stellv. Leiter Gedenkstätte) ein Bild von dem Grauen im Gefängnis machen. Die Formen der Erniedrigung, die die Gefangenen durchlitten haben, ist grausam, brutal und heute unvorstellbar. Auch hier steht am Eingang des Gefängnisses die Inschrift „Arbeit macht frei“ – an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Bewegt hat die Delegation einen Kranz auf dem Nationalen Gedenkfriedhof in Theresienstadt niedergelegt.
Anschließend besuchten wir das nahegelegene jüdische Ghetto Theresienstadt. Das Ghetto Theresienstadt war für Zehntausende Juden und andere Inhaftierte eine Durchgangsstation auf dem Weg zu den Todesfabriken im Osten (Auschwitz-Birkenau u.a.). Nachdem die Nationalsozialisten die Bewohner von Theresienstadt (ca. 7.500) vertrieben hatten, pferchten sie die aus Tschechien, Slowakei, Deutschland, Österreich, Holland, Polen, Ungarn und Dänemark stammenden Juden in elenden Massenquartieren zusammen. Im Ghetto lebten daraufhin unter unmenschlichen Bedingungen mehr als 80.000 Menschen – 1,62 Quadratmeter Fläche standen im August 1942 jedem Häftling zum Wohnen, Leben und Sterben zu. Die Menschen litten an Hunger ebenso wie unter den katastrophalen sanitären Verhältnissen und der Zwangsarbeit. Hinzu kam die ständige Angst davor, in eines der Vernichtungslager im Osten abtransportiert zu werden. Nur 23.000 Theresienstädter Häftlinge haben den Holocaust überlebt. In ihrer grenzenlosen Menschenverachtung verklärten die Nationalsozialisten das Zwangslager Theresienstadt als eine Art Kurort für besonders Privilegierte: Der Welt gegenüber präsentierten sie das Ghetto wahlweise als Vorzeigelager, Alterssitz oder gar "jüdisches Siedlungsgebiet“. Durch eine Fahrt im Stadtzentrum und Besuch des Ghetto-Museums konnten wir uns ein Bild von der damaligen Zeit machen. Im Ghetto-Museum konnten wir auch mit zwei Freiwilligen aus Deutschland von der Aktion Sühnezeichen sprechen, die für ein Jahr vor Ort sind und i.d.R. deutsche Schulklassen während ihres Aufenthalts in Theresienstadt betreuen.

Gedenkstätte Lidice
Letzte Station in der Republik Tschechien war die Gedenkstätte Lidice. Die Gemeinde Lidice (deutsch Liditz) liegt rund 20 km westlich von Prag. Lidice zahlte den Preis der Zerstörung und fast kompletten Auslöschung seiner Bewohner als Racheaktionen nach einem Attentat auf Reinhard Heydrich,  Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren. Am Abend des 9. Juni 1942 umstellten deutsche Polizeikräfte (Angehörige der Gestapo, des SD und der Schutzpolizei unter dem Kommando von SS-Offizieren einer Sonderkommission und des Befehlshabers der Sipo in Prag) mit Unterstützung der tschechischen Gendarmerie Lidice und blockierten alle Zufahrtswege, da dort Beteiligte des Attentats vermutet wurden. Historisch ist heute bewiesen, dass diese Verbindung nie existierte. In der folgenden Nacht wurden die Dorfbewohner zusammengetrieben. Alle 172 Männer, die älter als 15 Jahre waren, wurden in den Hof der Familie Horák gebracht, wo sie tags darauf erschossen wurden. Die verbleibenden 195 Frauen des Dorfes wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, wo 52 von ihnen ermordet wurden. Der Ort Lidice wurde in Brand gesteckt, gesprengt und schließlich durch Züge des Reichsarbeitsdienstes eingeebnet, um die Gemeinde vollständig von der Landkarte zu tilgen. Nach dem Krieg wurde Lidice 300 m vom alten Ort entfernt neu aufgebaut. An der Stelle des früheren Lidice befinden sich heute eine Gedenkstätte und ein Museum. Dieser Ort steht für eine der schlimmsten Gräueltaten der Deutschen während des 2. Weltkrieges. Die Begehung der Gedenkstätte mit der heutigen Bürgermeisterin von Lidice, Frau Veronika Kellerova und dem Leiter der Gedenkstätte, Herrn Anco Marinov und einem Zeitzeugen, der als 16 Monate altes Baby das Massaker überlebte, hat uns tief bewegt. Auch hier haben wir einen Kranz niedergelegt und sind vor dem Mahnmal der getöteten Kinder von Lidice vor dem Schrecken der damaligen Zeit erstarrt. Furchtbar, was die Deutschen Besetzer hier angerichtet haben.
Fazit der Reise:
Stefan Engstfeld & Mehrdad Mostofizadeh: »Erinnerungskultur – das war das Motto unserer Informationsfahrt nach Polen und Tschechien. Erinnerungskultur ist für uns eine Grundlage historisch-politischer Bildung und somit demokratischer Bildung und Erziehung. Das Erinnern war für uns eine Selbstvergewisserung auf das in der Zukunft bezogene Handeln. Erinnern an vergangenes Unrecht schärft den Blick für die heute stattfindenden Formen der Diskriminierung. Wir haben viele Orte besucht, die die Chance des Erinnerns bieten. Wir haben viele Jugendlichen an diesen Orten gesehen, was uns große Hoffnung macht, dass diese Jugendlichen die Bedeutung der Geschichte für ihr eigenes Leben entdecken. Wir haben viele unterschiedliche Konzepte des Erinnerns sehen können. Die Inhalte und die Art des Erinnerns wandeln sich stetig im Laufe der Zeit und müssen immer wieder neu gestaltet werden. Eines bleibt aber gleich: Wer sich an diesen Orten, die wir erlebt haben, erinnert, wird sich weiterhin für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte einsetzten. Wir werden die Ergebnisse dieser Fahrt auf den verschiedensten Ebenen auswerten und unsere Schlüsse für die weitere politische Arbeit, gerade mit Jugendlichen, ziehen. Der wichtigen Bildungsarbeit von Gedenkstätten, Museen, Archiven, staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren, Schulen, Kommunen, den Ländern sowie dem Bund, gilt unsere volle Unterstützung.«

Weitere Fotos der Reise gibt es auch auf der Seite der Gedenkstätte Licide.


4. Tag: Prag

Im Bus auf der Fahrt nach Prag
Wenn einer eine Reise tut…dann kann er was erleben. So erging es unserer Delegation am vierten Tag der Informationsreise. Anstatt wie geplant von Krakau nach Prag zu fliegen, fiel der Flug wegen Nebel am Flughafen in Krakau aus und die Delegation hing fest. Dank der schnellen Hilfe des deutschen Generalkonsulats in Krakau und der Reisestelle des Landtags gelang es aber einen Reisebus zu chartern, der sie in sieben Stunden Fahrt nach Prag brachte. Die schlechte Nachricht: Sie konnten dadurch das geplante Tagesprogramm in der Republik Tschechien nicht absolvieren. Die gute Nachricht: Sie konnten das geplante Abendprogramm wahrnehmen und werden am letzten Tag der Informationsreise das, was wir verpasst haben, in geraffter Form nachholen.

Die Prager Botschaft
Das Abendprogramm in Prag hatte es dann aber in sich: Besuch der berühmten deutschen Botschaft in Prag, wo Zehntausende DDR Bürger im Herbst 1989 die Botschaft stürmten und ausharrten, um in den Westen zu kommen. Auf dem Balkon der Botschaft wurde vom damaligen Außenminister Hans-Dietrich Genscher wohl einer der berühmtesten Sätze der Wiedervereinigung gesprochen: »Wir sind zu ihnen gekommen, um ihnen mitzuteilen, dass heute ihre Ausreise möglich geworden ist.«. Eine Gedenktafel – auf dem Balkon der Botschaft – erinnert heute an diese historische Phase in der deutschen Geschichte. Selbstverständlich durfte auch die Delegation auf dem Balkon stehen. Anschließend bei einem Abendessen mit dem deutschen Botschafter, Arndt Freytag Freiherr von Loringhoven, wurde das Thema Erinnerungskultur, das Deutsch-Tschechische Verhältnis sowie die aktuelle politische Lage beleuchtet. Außerdem berichtete Freiherr von Loringhoven von der großen Feier in Prag anlässlich des 30. Jahrestages der berühmten Genscher Worte vom 30. September 1989, wo er selbst noch einmal persönlich mit dem amtierenden Außenminister die Botschaft in Prag besuchte.
Stefan Engstfeld & Mehrdad Mostofizadeh: » Die Prager Botschaft ist ein Teil der deutschen Geschichte. Im inneren der Botschaft hängen Fotos aus der Zeit der Besetzung vom Herbst 1989. Das sind dramatische Dokumente. Ein Wunder, dass damals kein Blut geflossen ist und alle DDR Bürgerinnen und Bürger ausreisen konnten. Auch der Balkon der Botschaft ist Teil der deutschen Erinnerungskultur. Aber auch die Zeit der deutschen Besetzung in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit unfassbaren Gräueltaten. Wir sind dankbar, dass sich auch die deutsch-tschechischen Beziehungen heutzutage normalisiert haben und die Lehren der Geschichte gezogen wurden und heute beide Völker gemeinsam am Haus Europa bauen. «


3. Tag: Auschwitz

Auschwitz I
Das Stammlager Auschwitz I gehörte zum Lagerkomplex Auschwitz und war eines der größten deutschen Konzentrationslager. Nach der Besetzung Polens wurde es 1940 westlich von Krakau in der Nähe der Stadt Oświęcim (Auschwitz) errichtet und diente fünf Jahre als Konzentrations- und Arbeitslager. Über dem Haupteingang des Stammlager I prangt das zynische Motto „Arbeit macht frei“. Teile des Lagerkomplexes Auschwitz sind heute Museum bzw. Gedenkstätte an die Schrecken des Nationalsozialismus.

Kranzniederlegung an der Todeswand
Im Stammlager I gab es die sogenannte „Schwarze Wand“ oder auch „Todeswand“. Zwischen 1941 und 1943 wurden an dieser Wand circa 20.000 Menschen durch Genickschuss hingerichtet. Die Todesurteile wurden zum Teil durch ein im KZ Auschwitz ansässiges Polizeistandgericht gefällt, oft über hundert an einem Tag. Die „Schwarze Wand“ wurde originalgetreu nachgebaut und befindet sich im Hof des Stammlager I zwischen Block 10 und Block 11. Zum Gedenken an die Opfer werden hier Kränze niedergelegt.

Vernichtungslager Birkenau
Das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau war das größte deutsche Vernichtungslager. Es wurde drei Kilometer entfernt vom Stammlager I in Auschwitz erbaut. Insgesamt wurden 1,1 Millionen Menschen in Birkenau ermordet, davon eine Million Juden. Während die Nationalsozialisten den größten Teil dieser Menschen direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordeten, starben etwa 200 000 als „arbeitsfähig“ selektierte durch Unterernährung, Misshandlung oder an den Folgen der an ihnen durchgeführten medizinischen Versuche.
Das Vernichtungslager ist heute Museum und Gedenkstätte in einem. Viele Teile des Konzentrationslagers sind heute noch erhalten oder wurden originalgetreu ergänzt.
Seit dem Jahr 2007 wurde es von der UNESCO unter dem Namen „Auschwitz-Birkenau- deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager (1940-1945)“ zum Weltkulturerbe erklärt. 

Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim/Auschwitz
Auf Anregung der „Aktion Sühnezeichen“ hin wurde in Oświęcim die Internationale Jugendbegegnungsstätte Oświęcim/Auschwitz gegründet und 1998 fertiggestellt. Die Jugendbegegnungsstätte dient als Bildungs- und Begegnungsort für Jugendliche aus aller Welt, die sich über die Geschichte der nationalsozialistischen Gräueltaten im Konzentrationslager Auschwitz und anderen Orten informieren und bewusst auseinander setzen wollen.
Stefan Engstfeld und Mehrdad Mostofizadeh: »Das, was wir im KZ Auschwitz und im Vernichtungslager Birkenau erfahren haben, können wir nicht in Worte fassen. Es übersteigt jede Vorstellungskraft. Nach dem Besuch will man nur schweigen. Jedes Wort ist zu viel. Täglich teilen tausende – oft junger Menschen aus ganz Europa – diese Erfahrung. Es bleibt unser Auftrag, diese Erinnerung aufrecht zu erhalten. Die engagierte und couragierte Leitung durch Herrn Dr. Piotr Cyvinski beeindruckte ebenso wie die hoch kompetente Arbeit in der Gedenkstätte. 
Die noch vor der Wende gegründete Jugendbegegnungsstätte in Oswiecim nur 1,5 km der Gedenkstätte Auschwitz entfernt, ist ein erfreuliches Beispiel für die erfolgreiche Arbeit der Völkerverständigung. Der Leiter Leszek Szuster berichtete uns von der aktiven Arbeit von Zeitzeugen mit jungen Menschen.«


2. Tag der Reise: Warschau

Im Institut für Nationales Gedenken
Der zweite Tag der Informationsreise begann mit einem Besuch des Instituts für Nationales Gedenken – Kommission für die Verfolgung von Verbrechen gegen das polnische Volk. Das Institut erforscht die neuste Geschichte Polens und beschäftigt sich mit der Aufarbeitung der Verbrechen aus der Zeit des zweiten Weltkriegs und des Kommunismus. Es ist das große Archiv der polnischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Forschungseinrichtung, Verlag, Bildungszentrum sowie eine Art Staatsanwaltschaft, die die Täter aus den jeweiligen Epochen verfolgt.

Museum des Warschauer Aufstandes
Zweiter Vormittagstermin war das Museum des Warschauer Aufstandes (poln. Muzeum Powstania Warszawskiego). Dieses Geschichtsmuseum, thematisiert die Ereignisse des Warschauer Aufstandes, der vom 1. August bis zum 2. Oktober 1944 dauerte. Hier starben innerhalb von zwei Monaten im Jahr 1944 Zehntausende von Polen, die sich gegen die deutsche Besatzung aufgelehnt hatten.

Denkmal Warschauer Aufstand
Anschließend Kranzniederlegung am Denkmal des Warschauer Aufstands, welches erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs möglich war zu errichten.

Lebhaft und kontrovers war die Diskussion anschließend im Deutschen Historischen Institut über die deutsch-polnische Erinnerungspolitik und Erinnerungskultur. Kaum ein Thema kann die deutschen und polnischen Emotionen so schnell hochkochen lassen wie der Blick auf die Geschichte des zweiten Weltkriegs.
Stefan Engstfeld: »Mich hat die Kranzniederlegung am Denkmal des Warschauer Aufstands sehr berührt. Einerseits einer der wichtigsten Momente für die Geburt eines Nationalgefühls für die neue polnische Republik, andererseits ein Denkmal für die unbegreifliche Schreckensherrschaft der Deutschen in Polen. Mehr als 60 Jahre nach Ende des zweiten Weltkriegs grenzt es fast an ein Wunder, dass Polen und Deutsche heutzutage so gute Beziehungen pflegen. Die Gräuel der Deutschen ist vor Ort zum Anfassen nah und sprengt doch die eigene Vorstellungskraft. «
Mehrdad Mostofizadeh: »Die wiederaufgebaute Altstadt in dem heutigen bunten Warschau ist  – angesichts der barbarischen Zerstörungen im zweiten Weltkrieg – Hoffnung und Mahnung. Frieden und Stabilität muss in Europa immer wieder hart erarbeitet werden, wie auch die aktuellen Ereignisse zeigen. Hieran mäßigend mitzuwirken, ist gerade für uns Verpflichtung.«


1. Tag der Reise: Warschau

Mehrdad Mostofizadeh und Stefan Engstfeld in der Deutschen Botschaft
Der erste Tag im Warschau stand im Zeichen der komplizierten jüdisch-polnischen Geschichte. Begonnen hat der Tag allerdings mit einem Austausch mit dem deutschen Botschafter in Polen, Herrn Rolf Wilhelm Nikel. Die Themen drehten sich unter anderem um den aktuellen Stand der deutsch-polnischen Beziehungen und die Situation in der Ukraine.
Zweite Station war das Museum der Geschichte der polnischen Juden mit anschließender Kranzniederlegung am Denkmal der Ghetto-Helden und Besuch des Denkmals zum Andenken an den Kniefall Willy Brands in Warschau.

Museum für Jüdische Geschichte

Das Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos

Vor dem Denkmal des Kniefalls von Willy Brandt
Die Geschichte der Juden in Polen ist knapp 1000 Jahre alt. Vor allem im Handel und in den Städten spielten Juden eine wichtige Rolle. Nach dem Ersten Weltkrieg war Polen Heimat der weltweit größten jüdischen Gemeinde. Während im Osten des Landes viele Juden im Shtetl lebten, entwickelte sich in Städten wie Warschau und Krakau eine bürgerliche Mittelschicht. Diese vielfältige jüdische Welt ist im Holocaust fast vollständig ausgelöscht worden: Die Nationalsozialisten ermordeten zwischen 1939 und 1945 etwa 90 Prozent der über drei Millionen polnischen Juden. In Warschau wurden 1940 alle Juden in ein Ghetto auf engstem Raum zusammengepfercht. Dort lebten über 410.000 Juden, ab Mitte November 1940 durch eine drei Meter hohe Mauer vom Rest der Stadt abgeriegelt.
Im Rahmen der »Aktion Reinhardt«, der planmäßigen Ermordung der Juden im Generalgouvernement, begann am 22. Juli 1942 die Auflösung des Ghettos. Bis zum 12. September deportierte die SS mit Hilfe der deutschen Polizei und der jüdischen Ghettopolizei täglich bis zu 10.000 Juden in das nordöstlich von Warschau gelegene Vernichtungslager Treblinka. Anfang 1943 begann ein Aufstand der noch im Ghetto verbliebenen Juden gegen die deutschen Besatzer, der blutig niedergeschlagen wurde. Von den insgesamt etwa 400.000 Juden des Warschauer Ghettos erlebten nur ein paar Tausend das Ende des Krieges.
In den 1980er Jahren eignete sich die aus der Streikbewegung von 1980/81 heraus entstandene Oppositionsbewegung »Solidarność« nach und nach das Denkmal der Ghettohelden an. Es wurde zum Versammlungsort für Systemkritikerinnen und Systemkritiker und zu einem Symbol des Widerstands gegen das kommunistische Regime. 2013, am 70. Jahrestag des Warschauer Ghettoaufstands, wurde in unmittelbarer Nähe zum Denkmal das Museum der Geschichte der Polnischen Juden feierlich eröffnet.
Stefan Engstfeld: »Die Geschichte des Judentums ist eng mit der Geschichte Polens verknüpft. Nicht vorstellbar und auch vor Ort kaum begreifbar sind die Gräuel, die die Juden, gerade im Warschauer Ghetto, durchleiden mussten.«
Mehrdad Mostofizadeh: »Der Polenfeldzug Deutschlands war mit unfassbaren Verbrechen an der Zivilbevölkerung verbunden. Die Niederschlagung des polnischen Aufstands bedeutete fast die Auslöschung der Europäischen Metropole Warschau, wie uns die filmischen Bilder des Museums eindrucksvoll näher brachten. «
 
Im Jüdischen Historischen Institut
Abgerundet wurde der Tag mit einem Besuch des Jüdischen Historischen Instituts – eine der wichtigsten Forschungseinrichtungen zum Thema Juden in Polen.