Langfristige Auswirkungen des Braunkohle-Abbaus auf NRW

Neue Erkenntnisse aus Sachsen

Seitdem wurden Milliarden in die Rekultivierung der alten Tagebaugebiete investiert. Doch das Rätselraten, wie sicher diese Gebiete sind, ist groß. Wir haben mit Experten und Betroffenen gesprochen. Das sind die wichtigsten Ergebnisse. 

Grundbrüche und Abrutschungen

Das Foto zeigt die Grüne Besuchergruppe mit Simone Peter, Bundesvorsitzende, Oliver Krischer, stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion, Antje Hermenau, Spitzenkandidatin der Grünen in Sachsen und unserer Braunkohle-Expertin aus NRW, Gudrun Zentis, am Bergener See. Der See ist ein Beispiel für die drohenden Gefahren bei der Nachfolgennutzung. Zwischen 1955 bis 1983 wurde dort Braunkohle gefördert. Trotz abgeschlossener Sanierung ereignete sich am Ufer des Sees am 13. Oktober 2010 eine Rutschung  von 1,8 Kilometern Länge und 600 Metern Breite. Durch die entstehende Flutwelle wurden 84 Schafe getötet. Vier LKW-Fahrer konnten sich gerade noch rechtzeitig zu Fuß retten, ein LKW-Fahrer kletterte auf das Dach seines LKW und konnte dort mit einem Hubschrauber vor der Schlammlawine gerettet werden. Die halb verschütteten LKW sind heute noch zu sehen. Es gilt als außerordentlicher Glücksfall, dass niemand zu Tode gekommen ist. Ursache für die Abrutschung war unter anderem der Wiederanstieg des Grundwassers. Dadurch entstand ein Grundbruch auf einer Kippenfläche, auf der gerade weitere Erdmassen abgelagert wurden. Die Sanierung muss nun durch aufwendige Spezialsprengungen zur Verdichtung des Untergrundes erfolgen. Die Kosten allein für den Bergener See werden mit mindestens 110 Millionen Euro taxiert. Zahlen muss der Bund über die LMBV. Kein Experte hat mit einem Grundbruch in dieser Region, erst recht nicht in diesem Ausmaß, gerechnet, er kam völlig unerwartet. Inzwischen wird das Risiko weiterer Grundbrüche als hoch eingeschätzt. Dabei haben auch in Sachsen der Bergbaubetreiber Vattenfall und insbesondere die CDU immer wieder die Attraktivität der Region für den Tourismus propagiert. Heute zeigt sich: 60 Prozent der Seen in der Lausitzer Seenlandschaft sind nicht zugänglich. Im Abstand von 50 Metern warnen Schilder mit „Lebensgefahr – Betreten verboten!“
Auch wenn die Kippe am Bergener See aus den 1980er Jahren stammt, zeigt das überraschende Ereignis, dass auch 20 Jahre nach dem Ende der DDR die Bergexperten der LMBV das Gelände nicht im Griff haben. Neben dem Ausmaß des Grundbruchs überraschte vor allem, dass die Kippe anders als in Nachterstedt sehr flach war (keine 10 Meter über dem Seespiegel). Wenn schon solche flachen Kippen beim Wideranstieg des Grundwassers durch einen Grundbruch abrutschen können, wie groß ist erst die Gefahr unserer Kippen im rheinischen Revier, die viel höher und steiler sind? Es stellt sich die Frage, ob die Böschungen unserer Riesenrestseen beim Wiederanstieg des Grundwassers beherrschbar sind.

Wiederanstieg des Grundwassers über Flur-Niveau

In Nordrhein-Westfalen wird bisher davon ausgegangen, dass nach der Zeit des Abpumpens das Grundwasser beim Wiederanstieg keine Gefahr für die Gebäude bedeutet, da es nicht über den bisherigen Stand ansteigt. Das Gegenteil zeigt sich am Beispiel Sachsen: In Neustadt an der Spree (Foto: Gudrun Zentis am Schöpfwerk der Stadt Neustadt) ist das Grundwasser nach dem Ende der Sümpfungen in Relation zu den Häusern höher angestiegen. Häuser, die vor Beginn des Tagebaus errichtet wurden, haben nun Wasser in den Kellern. Diese Situation ist nicht verwunderlich, da sich der Erdboden durch den Tagebau und die jahrzehntelange Sümpfung in Teilbereichen um mehrere Meter senkt. Auch im Rheinischen Revier sind das laut Experten teilweise bis zu mehrere Meter. Dementsprechend ist der Grundwasserstand später höher als vorher und bedroht die Menschen in Sachsen ebenso wie im Rheinischen Revier. In Neustadt an der Spree (Sachsen) zeigt sich auch, dass ein in den 1990er Jahren errichtetes Neubaugebiet in einem damals trockenen Auengebiet heute komplett im Wasser steht. Einzelne Häuser mussten angehoben werden, so dass der Keller zum Erdgeschoss wurde, damit sie wieder nutzbar sind. Mit großem Aufwand baut die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV)* ein Entwässerungssystem (eine Art Ringdrainage als Grabensystem) um den Ort, damit die Häuser nicht im Wasser stehen. Auch im Ort Senftenberg in Brandenburg an der Grenze zu Sachsen sind 850 Gebäude bedroht. Diese Beispiele vermitteln uns eine Ahnung davon, welche Auswirkungen der Tagebau durch den Wiederanstieg des Grundwassers im Rheinischen Revier haben kann.

Verockerung durch Eisensulfid und Gefahren für das Grundwasser

Die Spree verläuft in Sachsen quer durch das Braunkohlegebiet. Seit das Grundwasser an vielen Stellen nach dem Ende des Bergbaus vor rund vier Jahren wieder oberflächennahe Bereiche erreicht hat, wird die braune Eisenbrühe diffus aus vielen Quellen in die Spree geschwemmt. Der Fluss ist braun (Foto), im Wasser lebt nichts mehr. Das Eisensulfid ist zwar nicht giftig, verklebt aber zum Beispiel die Atmungsorgane von Wassertieren.
Kein Bergbauexperte hat die Verockerung, die in den letzten drei Jahren rasant zugenommen hat und weiter zunimmt, vorausgesehen – im Gegenteil. Die Ausschwemmung soll noch Jahrzehnte anhalten. Derzeit fängt die Talsperre Spremberg große Teile der Brühe durch Absetzung ab. Wie lange das noch möglich ist, weiß niemand. In Zuflüssen der Spree wird versucht, mit aufwendigen Absetzbecken den Schlamm abzufangen. Eine weitere Folge dieses chemischen Phänomens ist, dass viele Seen pH-Werte um 3 haben und damit biologisch praktisch tot sind. Im Rheinischen Revier gibt es Verockerungen bereits bei Türnich, allerdings im Vergleich zum Osten im winzigen Maßstab. Dennoch besteht dieselbe Gefahr: Im Abraum des Tagebaus Garzweilers befinden sich ebenfalls hohe Eisen-Anteile. Um eine Verockerung dort zu verhindern, verwendet RWE intensiv Kalk und mischt ihn dem Abraum bei. Ob diese Maßnahme bei einem Wiederanstieg des Grundwassers ausreicht, um Verockerung zu verhindern, ist nach den Erfahrungen aus dem Osten, sehr fraglich.
Ein weiteres gravierendes Problem ist die Verseuchung des Grundwassers beispielsweise durch Aluminium in gelöster Form. Viele Anwohner können ihr Grundwasser nicht einmal mehr für den Garten nutzen, weil es völlig übersäuert ist. Frisches Trinkwasser muss über weite Strecken in die Region gepumpt werden. Sollte die Technik eines Tages ausfallen, ist die Region trinkwasserlos. 

Fazit

Die Erkenntnisse aus Sachsen zeigen, wie wenig die Risiken nach dem Ende des Tagebaus auch durch die ehemaligen Tagebaubetreiber eingeschätzt werden können. Wir wissen bisher viel zu wenig darüber, welche Auswirkungen der Wiederanstieg des Grundwassers und die Auffüllung von Tagebauen mit Wasser haben können. Es ist wichtig, die Erfahrungen aus anderen Ländern stärker zu nutzen, um daraus Schlüsse und die richtigen Vorsichtsmaßnahmen für das Rheinische Revier zu treffen. Einen ersten Schritt haben die Grünen im Regionalrat Köln gemacht, die ein Gutachten zur Standsicherheit der Böschungen für den Restsee in Inden in Auftrag gegeben haben. Die Frage der Standsicherheit der Böschungen wird in Nordrhein-Westfalen intensiv diskutiert und als wichtiger Punkt bei den nächsten Planungsschritten betrachtet. Auch die weiteren Risiken, die im Bereich des Wiederanstiegs des Grundwassers sowie der Befüllung der Tagebauseen in Nordrhein-Westfalen bestehen, müssen sehr genau betrachtet werden, um Gefahren und negative Auswirkungen für Natur und Menschen zu vermeiden.
Neben Fragen zu Risiken durch die Wasserhaltung nach Ende der Tagebaue, war bei allen Gesprächen in der Lausitz auch offenkundig: Das Beispiel Nordrhein-Westfalen und Garzweiler II macht den Menschen Hoffnung. Sie knüpfen neue Erwartungen daran, dass im Westen der Republik erstmals ein Tagebau verkleinert wird. Auch in Sachsen sind eigentlich keine neuen Tagebaue notwendig, weil Untersuchungen gezeigt haben, dass die bisher genehmigten Tagebauflächen für die Versorgung der Kraftwerke Boxberg und Schwarze Pumpe bis 2040/2045 ausreicht. Somit könnten die Dörfer Rohne, Mulkwitz, Mühlrose, die Ortsteile Klein Trebendorf und Schleife südlich der Bahnstrecke Görlitz-Berlin mit 1700 Einwohnern erhalten bleiben. Es ist ein Stück verkehrte Welt, dass ausgerechnet die CDU mit ihrem bisherigen Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der selbst ein Sorbe ist, diese zumeist sorbischen Dörfer auslöschen will.