Fußball-WM in Brasilien – Zirkus ohne Brot

Josefine Paul & Martina Maaßen zum Beginn der WM

Portrait Josefine Paul

Gut investiertes Geld glaubten bei der Vergabe 2007 sowohl die Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees, als auch die damalige Regierung unter Präsident Lula. Die WM, so der Tenor der Verantwortlichen, werde die erstarkte Wirtschaft Brasiliens weiter ankurbeln und die Entwicklung des Landes gerade im sozialen und gesellschaftlichen Bereich massiv voran bringen. Schließlich könnte das fußballverrückte Brasilien, das bei allen Spielen der Seleção (=brasilianische Fußballnationalmannschaft; deutsch: Auswahl) kollektiv mitfiebert, bangt und feiert, den Anschub gerade in der Infrastruktur und im Tourismus gut gebrauchen.
Sieben Jahr später scheint die rosige gemalte Zukunft stark verblasst. Die mediale Kritik an den Schattenseiten des Großereignisses hält bis heute an. Anders als Präsident Lula versprach, werden nun faktisch 80 Prozent der Kosten durch die öffentliche Hand bezahlt. Von der „WM des Privatsektors“ für die keinen Centavo an öffentlichem Geld ausgeben werden sollte, kann also nicht die Rede sein. Vielmehr ist absehbar, dass die brasilianische Bevölkerung, jetzt wie in den kommenden Jahren, die Zeche der WM zahlen wird. Die Befürchtungen von neuen (gewalttätigen) Großdemonstrationen, wie bereits während des Confed-Cups sind durchaus berechtigt. Im ganzen Land ist der Slogan der Protestbewegung „Não vai ter copa!“ (Die WM wird es nicht geben!) als Graffiti an Häuserwänden und öffentlichen Gebäuden zu lesen. Eine vielschichtige Aussage, über die es nachzudenken gilt.
Keineswegs ist die brasilianische Bevölkerung vom Fußballfieber geheilt. Gerade in den Städten, in denen die Spiele stattfinden werden, sind ganze Straßenzüge mit Wimpeln und Fahnen geschmückt. Die Menschen fiebern dem Turnier entgegen. Gleichzeitig merkt die Bevölkerung aber gerade in den Großstädten, dass ihnen ein „Zirkus ohne Brot" vorgesetzt wird, wie es die brasilianische Fußballlegende Socrates bereits 2007 befürchtete.
Die drängen Probleme der siebtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt wurden nach der Vergabe der Weltmeisterschaft nicht angepackt. Vielmehr kann in Brasilien ein Phänomen beobachtet werden, wie es auch bei anderen sportlichen Großereignissen auftritt: Während der zuständige Sportverband – in diesem Fall die Fifa – sicherstellt, dass die Investitionskosten und Risiken auf Seiten des Gastgeberlandes und die Profite auf ihrer Seite liegen, versuchen die Gastgeberländer – in diesem Fall Brasilien – bestehende (gesellschaftliche) Probleme möglichst klein zu halten und ihr Image aufzubessern. Beiden Akteuren ist so an einem reibungslosen Ablauf des perfekten Sportevents gelegen. Nicht umsonst fand die Fifa erste drastische Worte bezüglich Vetternwirtschaft, Korruption und Misswirtschaft in Brasilien, als die Gefahr bestand, dass wichtige Infrastrukturmaßnahmen nicht rechtzeitig zur WM fertig gestellt würden. Während der gegenüber der Fifa selbst getätigte Verdacht der Korruption tot geschwiegen wird, kritisierten hochrangige Fifa-Funktionäre unverblümt vor allem die Langwierigkeit demokratischer Entscheidungswege in Brasilien. Tief blicken lässt auch die jeweilige Sichtweise auf die Protestbewegung, die von breiten Teilen der brasilianischen Gesellschaft getragen wurde und noch immer wird. Die Regierung stuft sie eben nicht als in einer Demokratie legitime Meinungsäußerung, sondern als terroristische Bewegung ein. Schnell wurde der gesetzliche Rahmen in Form einer Einschränkung des Demonstrations- und Versammlungsrecht geschaffen, um ihr mit ordnungspolitischen Maßnahmen beizukommen. Fifa-Präsident Blatter sah den Fußball während des Confed-Cups gar als Opfer der sozialen Unruhen. Damit verweigert er einen klaren Blick auf den Zusammenhang zwischen der WM und den Protesten im ganzen Land.
Sicherlich, die sozialen Probleme im Land sind nicht durch die WM entstanden. Und doch müssen sich Fifa und die brasilianische Regierung den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die Augen davor (zu lange) verschlossen haben. Fakt ist: Brasiliens Regierung erlies in den letzten fünf Jahren zahlreiche Ausnahmen von wichtigen demokratisch Regeln. Tausende Brasilianerinnen und Brasilianer wurden für den Bau der Stadien von ihren Grundstücken vertrieben. Entgegen der bestehenden Gesetzeslage, mit Hilfe des Militärs, ohne Entschädigung und häufig auch ohne rechtzeitige Vorankündigungen. Die Straßenhändlerlinnen und Straßenhändler, die üblicherweise das Fußballerlebnis in Brasilien durch den Verkauf von Fanartikel, kleinen Snack und Getränken direkt vor den Stadien mit bestimmen, werden während der Turnierzeit durch eine Bannmeile vom Profit fern gehalten. Gleichzeit werden die offiziellen Sponsoren der WM Profite in Milliardenhöhe einfahren. Die 24.000 Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Großbaustellen arbeiten nicht nur ohne faire Bezahlung und Gesundheitsvorsorge. Vielmehr halten auch die Sicherheitsbedingungen keinen international anerkannten Standards stand. Es ist darum auch nicht verwunderlich, dass sich besonders in den letzten Monaten, in denen auf den meisten Baustellen rund um die Uhr und unter hohen Zeitdruck gearbeitet wurde, die schweren Verletzungen und sogar tödlichen Unfällen häufen. Kaum werden die Arbeitsbedingungen und -verträge von offizieller Seite überprüft oder gar ernsthaft die Beseitigung bestehender Mängel eingefordert. Selbst die angepriesene Verbesserung der Infrastruktur, durch neue Buslinien, Straßen, Hotels und Sportstätten scheint kaum nachhaltig. Straßen und Buslinien verbinden eher Stadien, Hotels und Flughäfen, statt Wohn- und Arbeitsviertel. Zudem wurden die Preise für den öffentlichen Nahverkehr im vergangenen Jahr erhöht, einer der Auslöser für die Massenproteste. Auch dass in Brasilien nicht acht – wie von der Fifa gefordert – sondern gleich 12 WM-Stadien gebaut bzw. umgebaut werden, kann nicht auf der Habenseite verbucht werden. Bei vielen ist die Anschlussverwendung mehr als fraglich. Nur am Rande benannt und doch so wichtig sind die nicht getätigten Investitionen der Regierung im Bildung- und Gesundheitssektor, für die gleichzeitig die finanziellen Mittel fehlen.
Auch wenn also viele Probleme abseits der Weltmeisterschaft liegen, so hat diese sie nicht abgeschwächt und zu lösen versucht, sondern vielfach sogar verschärft. Weder die Fifa noch die nationale Regierung nahmen und nehmen die Lebenswirklichkeit der brasilianischen Bevölkerung ernst. Ganz sicher wird sie mit ihrer berechtigten Kritik am „Zirkus ohne Brot“ nicht verstummen und erfährt Unterstützung durch namenhafte Akteure, wie beispielsweise den Internationalen Gewerkschaftsbunds IGB und der Bau- und Holzarbeiterinternationale (BHI). Sie fordern die Fifa vehement auf, auf die Einhaltung internationaler Arbeitsstandards bei der Ausrichtung von Fußballweltmeisterschaften zu bestehen. Absehbar ist leider, dass diese Forderung auch für die kommenden Weltmeisterschaften in Russland und vermutlich Katar erhoben werden muss. Die Welt sollte nicht nur der Begeisterung der Brasilianerinnen und Brasilianer für die Seleção Respekt zollen, sondern auch ihrem anhaltenden Kampf für mehr Gerechtigkeit und Demokratie. Er wird nach Einschätzung von Expertinnen und Experten auch während der WM nicht verstummen. Die Weltmeisterschaft in Brasilien findet statt! Für wen und wie sollte in Zukunft schon bei der Vergabe deutlich werden und den Grundsätzen des Fair-Play genügen!