Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt bringen Opfer in eine seelische Ausnahmesituation, in der ihre körperliche und seelische Integrität massiv angegriffen werden. Häufig leiden die Opfer noch Jahre später an den physischen und psychischen Folgen der Tat. Dabei muss immer wieder betont werden: unabhängig von Aussehen, Alter, Kleidung, sexueller Orientierung, körperlicher Verfassung, Auftreten und sozialem Status kann jede Frau Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Besonders erschreckend muten die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik an. Allein im Jahr 2012 wurden insgesamt 2.255 Vergewaltigungen und besonders schwere Fälle sexueller Nötigung in NRW registriert. Gegenüber dem Vorjahr war das eine Steigerung um 17 Prozent und die höchste Zahl in den vergangenen zehn Jahren. Besonders erschreckend ist zudem, die nach Ansicht von Expertinnen und Experten um ein vielfaches höhere Dunkelziffer.
Doch warum bleiben auch im Jahr 2013 immer noch viele Übergriffe sexualisierter Gewalt unentdeckt? Maßgeblich verantwortlich hierfür ist die extrem niedrige Anzeigenquote bei Sexualstraftaten. In Fällen von körperlicher Gewalt erstatteten laut Studien nur 15 Prozent der Frauen eine Anzeige, bei sexualisierter Gewalt lediglich 8 Prozent. Das heißt: Gegen 92 Prozent der Täter und Täterinnen werden erst gar keine Ermittlungsverfahren eingeleitet. Der Grund für die geringe Anzeigenbereitschaft liegt häufig in Angst und Scham der Betroffenen davor, dass niemand ihnen glaubt oder ihnen eine Mitverantwortung für das Geschehene gegeben wird. Viele Opfer schweigen jahrelang. Besonders gering ist die Anzeigebereitschaft grundsätzlich dann, wenn Opfer und Täter bzw. Täterin in (enger) persönlicher Bindung zueinander stehen. Ein Konflikt der bei sexualisierter Gewalt, nicht nur besonders häufig auftritt, sondern auch das gefährliche Potenzial eines sich verfestigten Abhängigkeitsverhältnisses von Opfer zu Täter/ Täterin birgt.
Weiterhin problematisch sind die hohe Zahl der eingestellten Verfahren und eine auch im europäischen Vergleich geringe Verurteilungsquote (13 Prozent) bei angezeigten Vergewaltigungen. Grundsätzlich ist der Nachweis einer Vergewaltigung sehr schwierig und muss bestenfalls unmittelbar erfolgen. Den Opfern wird in der seelischen Ausnahmesituation direkt nach der Tat Enormes abverlangt: Sie müssen, den Weg in Behörden und Kliniken bewältigen, um dort völlig fremden Menschen detailliert von der Vergewaltigung zu berichten.
Der Faktor Zeit spielt hierbei eine wichtige Rolle: Je schneller sich ein Opfer fachkundige Hilfe holt und die Spuren der Tat, wie Sperma, Blutspuren, Kratzer, innere Verletzungen als Beweise sichern lässt, desto wahrscheinlicher kann der Täter/ die Täterin später überführt werden. Erfolgt die Beweissicherung nach Ablauf der ersten zwölf Stunden, können häufig keine gerichtlich verwertbaren Spuren mehr sichergestellt werden.
Um hier etwas Entlastung zu ermöglichen, wollen wir mit der Möglichkeit der Anonymen Spurensicherung (ASS) ein niedrigschwelliges, flächendeckendes Hilfsangebot und eine Alternative zur unmittelbaren Anzeige/ Strafverfolgung durch die Polizei bereitstellen. Zukünftig können so in NRW relevante DNA-Spuren wie Sperma und Hautpartikel oder Fotos von Verletzungen von entsprechend geschultem medizinischen Personal gesichert, als beweisfähiges Material chiffriert und in den rechtsmedizinischen Instituten des Landes anonym aufbewahrt werden. Entscheidet sich ein Opfer schließlich später zu einer Anzeige, werden die Beweismittel wieder dem entsprechenden Namen zugeordnet. Nur so kann den Opfern, die sich in dieser psychischen Ausnahmesituation befinden, die erforderliche Zeit gegeben werden, sich in Ruhe für oder gegen eine Anzeige zu entscheiden, ohne dass wichtige Beweise für eine spätere Strafverfolgung verloren gehen. Die Möglichkeit einer Strafverfolgung innerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist bei Vergewaltigng ist damit sichergestellt.
Die dafür notwendigen finanziellen Mittel für Schulungen, eine fachgerechte Spurensicherung, die Begleitung der Opfer und eine Information der Bevölkerung über die Möglichkeit der Spurensicherung wollen wir für den Landeshaushalt 2014 bereitstellen.