Intensive Nachbereitung nach Polizeieinsatz auf Schalke geboten

Stellungnahme

Portrait Josefine Paul

Angesichts der verstörenden Bilder und den vielen Augenzeugenberichten können wir den großen Unmut und die Diskussion über den Polizeieinsatz in der Schalker Arena sehr gut nachvollziehen. Eine intensive Nachbereitung des Einsatzes innerhalb der Polizei ist notwendig, auch in Hinblick auf zukünftige Polizeieinsätze bei Fußballspielen. Neben der internen polizeilichen Nachbereitung ermittelt die Staatsanwaltschaft sowohl gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie gegen Fans von Schalke 04 und PAOK Saloniki. Gegenüber dem Innenministerium haben wir deutlich gemacht, dass bei der Nachbereitung auch Vertreterinnen und Vertreter der organisierten Fanszene einbezogen werden müssen.

Nachbetrachtungen zum Polizeieinsatz auf Schalke
Die Hauptkritik bezieht sich auf die Entscheidung der Polizei, in den Schalker Fanblock zu gehen, um die dort gezeigte mazedonische Flagge zu entfernen. Damit sollte eine Beruhigung im aufgebrachten Gästeblock der Fans von PAOK Saloniki hergestellt werden. Dass gegen die Schalker Fans vorgegangen wurde, die mit legalen Mitteln provozierten, anstatt gegen die Fans von PAOK Saloniki, von denen eine Gefährdung der Sicherheit anderer ausging, verletzt verständlicher Weise das Gerechtigkeitsempfinden. Den Schluss, dass der Einsatz nicht verhältnismäßig war, können wir  daher gut nachvollziehen. Um die aufgeheizte Stimmung zu deeskalieren und akute Gefahren abzuwehren (nach Polizeiangaben drohte die Stürmung des Platzes durch die Fans von PAOK Saloniki), haben die Schalker Fanbeauftragen zunächst mit Verweis auf die Hausordnung und im Dialog versucht zu erreichen, dass die Fahne nicht weiter gezeigt wird. Dies gelang auch unter Androhung von polizeilichen Maßnahmen nicht. In einer solchen Situation kann die Polizei zum Zwecke der akuten Gefahrenabwehr Maßnahmen gegen die provozierende Gruppe (den sogenannten „Zweckveranlasser“) ergreifen – auch wenn von dieser Gruppe keine direkte Störung ausgeht. Die Entscheidung in den Schalker Fanblock zu gehen, wurde nach Angaben der Polizei getroffen, um das Stürmen des Platzes durch die griechischen Fans und damit größeren Gefahren für Leib und Leben abzuwenden. In der Nachbereitung des Einsatzes muss überprüft werden, ob und welche anderen Möglichkeiten zur Gefahrenabwehr bestanden – auch im Hinblick auf weitere Polizeieinsätze in Stadien. Denn das Eindringen von Polizeikräften in einen Fanblock bleibt aus unserer Sicht einsatzstrategisch problematisch, weil es keinesfalls zur Deeskalation beiträgt. Zur Nachbereitung gehört auch die Frage, welche Maßnahmen ergriffen wurden, um mäßigend auf die Fans von PAOK Saloniki einzuwirken. Auch der Pfeffersprayeinsatz muss thematisiert werden. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss bei einem Polizeieinsatz immer das mildeste zur Verfügung stehende Mittel angewandt werden. Ob dies bei diesem Einsatz der Fall war, muss ebenfalls überprüft werden. Die Gefährdung Unbeteiligter muss möglichst ausgeschlossen werden. In dieser dynamischen Situation wurde Pfefferspray auch zur Eigensicherung der PolizeibeamtInnen angewandt. Wir bedauern sehr, dass Unbeteiligte bei diesem Einsatz zu Schaden gekommen sind.
Fatal war aus unserer Sicht das Kommunikationsdesaster: Obwohl der Stadionsprecher seitens der Polizei aufgefordert wurde, einen Appell an das gesamten Stadion zu richten, die Flagge herunterzunehmen, erfolgte nur eine Durchsage an die Nordkurve, die Eingänge freizumachen. Der eigentliche Hintergrund des Einsatzes wurde nicht weiter erläutert. Das hatte natürlich zu Folge, dass der Polizeieinsatz im Schalker Fanblock für den Großteil der Zuschauerinnen und Zuschauer völlig unerwartet kam. Die betroffenen Fans sind jedoch zuvor mehrfach vom Ordnerdienst aufgefordert worden, die Flagge zu entfernen. Ausdrücklich wurde angekündigt, dass andernfalls ein Eindringen der Polizei in den Fanblock stattfinden würde.
Im Innenausschuss am 12. September 2013 kündigte Innenminister Ralf Jäger an, dass die Polizeihundertschaften zukünftig keine Ordnertätigkeiten auf Schalke mehr wahrnehmen würden. Verantwortlich für die Durchsetzung des Hausrechts in Stadien sind zunächst die jeweiligen Vereine. Bisher wurde dieser Verantwortung in den meisten Stadien nur unzureichend nachgekommen – es fehlen oftmals qualifizierte Ordnerdienste. Der gesetzliche Auftrag, bei Gefährdung der öffentlichen Sicherheit tätig zu werden, blieb von Jägers Ankündigung aber unberührt. Notwendig gewesen wäre aus unserer Sicht allerdings eine Absprache über dieses Vorhaben mit den Vereinsverantwortlichen und anderen Akteuren. Inzwischen gibt es eine Vereinbarung zwischen dem Verein FC Schalke 04 und dem Innenministerium, dass die Polizei auch weiterhin im Stadion eingesetzt wird, die Anzahl der Polizeikräfte aber reduziert werden soll. Auch aus unserer Sicht ist es erstrebenswert, dass die Polizei zukünftig weniger in Stadien präsent ist. Entsprechende Konzepte sollten in Kooperation und in der Kommunikation mit den Vereinen und den FanvertreterInnen erarbeitet werden und so zur Deeskalation beitragen.

Differenzierte Debatte statt polemischer Anträge
Den Anträgen von CDU und Piratenfraktion in der Plenarsitzung am 26. September 2013 zum Polizeieinsatz auf Schalke konnten wir wegen der größtenteils populistischen, überzogenen und wenig innovativen Forderungen nicht zustimmen.
Der Antrag der CDU-Fraktion „Polizei-Boykott für Spiele der Fußball-Bundesliga wäre unverantwortlich“ (Drucksache 16/4013) überrascht in seinem Tenor schon sehr, wenn man sich die ansonsten geäußerten Schreckensszenarien über gewalttätige Fußballfans in deutschen Stadien, die von der CDU in NRW in regelmäßigen Abständen beschworen werden, vor Auge führt. Normalerweise sind es im Weltbild der NRW-CDU die Fans, die einen rechtsfreien Raum wollen, nun ist es Innenminister Ralf Jäger, der ihn angeblich einführt. Dabei wird völlig verkannt, dass niemals von einem allgemeinen Rückzug der Polizei bei Fußballspielen die Rede war.
Der Antrag „Kein Maulkorb für Kritiker – Öffentliche Kritik an Polizeieinsätzen muss weiter möglich sein (Drucksache 16/4022)“ der Piratenfraktion bietet leider weniger mit innovativen Lösungsansätzen auf, als vielmehr mit Polemik und Altbekanntem. Vorrangig beschäftigt er sich mit der Behauptung, die NRW-Polizei würde keine Fehlerkultur aufweisen und Innenminister Ralf Jäger Kritik an Polizeiansätzen mit allen Mitteln verhindern. Selbstverständlich bedarf es der kritischen Nachbereitung von Polizeieinsätzen und einer Fehlerkultur innerhalb der Polizei. Die Nachbereitung sollte aber nach unserer Auffassung nicht über die Medien geschehen, sondern im Dialog mit allen Beteiligten. Die Stärkung dieses Dialogs ist aus unserer Sicht zentral für eine dauerhafte und lösungsorientierte Verständigung. Unbeachtet bleibt von den Piraten allerdings, dass es bereits auf kommunaler Ebene in Form der Öffentlichen Ausschüsse für Sport und Sicherheit (ÖÄSS) derlei gibt. In ihnen wird seit Jahren und äußerst bewährt zusammen gearbeitet. Aus unserer Sicht ist dies der richtige Ort, um dauerhaft und spieltagsunabhängig lokale Lösungen zu entwickeln. Wir bedauern es sehr, dass nach wie vor nicht in allen ÖASS Fans beteiligt sind. Leider ist dies auch teilweise auf die Verweigerungshaltung der Fans zurückzuführen.

Forderungen an Politik, Verbände, Vereine und Fans
Die öffentliche Debatte über den Polizeieinsatz muss ebenso wie die polizeiliche Nachbereitung in eine nach vorne gerichtete Diskussion über die Verantwortung von Fans und Vereinen sowie die Aufgaben der Polizei münden. Die Grüne Landtagsfraktion hat auf Initiative von Josefine Paul bereits im Dezember 2012 ein Positionspapier „Fußballfans ernst nehmen – Gewalt verhindern“ beschlossen. Forderungen daraus lauten u.a.:

  • Vereine und Verbände müssen sich stärker als bisher ihrer Verantwortung stellen. Fußball ist in den höheren Spielklassen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Milliardengeschäft geworden. Vereine, DFB und DFL erwirtschaften zum Teil immense Gewinne. Daraus resultiert eine gesellschaftspolitische Verpflichtung zu einem verstärkten Engagement.
  • Zurzeit werden 30 Prozent der Einsatzzeiten von BereitschaftspolizistInnen in NRW im Zusammenhang mit Fußballspielen geleistet. Die Vereine stehen in der Verantwortung, für Entlastung zu sorgen. Ein wichtiger Schritt wäre die Begleitung von Fans auf Auswärtsfahrten durch geschultes, von den Vereinen bezahltes Personal. Darüber hinaus müssen die Vereine die Sicherheit der BesucherInnen im Stadion durch qualifiziertes Personal gewährleisten.
  • DFL, Politik und Polizei müssen die Kommunikation bei der Spielansetzung verbessern. Wir begrüßen die im 10-Punkte-Plan festgehaltene Absprache zwischen Polizei und DFL, am 1. Mai auf Spielansetzungen zu verzichten. An Tagen mit besonders hoher Arbeitsbelastung für die Polizei ist generell von möglichen Risikospielen abzusehen. Auch eine weitere Aufsplitterung der Spieltage auf mehrere Wochentage und unterschiedliche Anstoßzeiten ist zu vermeiden.
  • Solidarisches Verhalten mit RegelverletzterInnen, beispielsweise beim Abbrennen von Pyrotechnik auf den Tribünen, ist nicht akzeptabel. Von den Fans im Umfeld von Störern ist mehr Zivilcourage gefragt.
  • In unserem Koalitionsvertrag haben wir eine Kennzeichnungspflicht von Polizistinnen und Polizisten vereinbart. Diese Forderung soll dazu beitragen, durch transparentes staatliches Handeln das Vertrauen in die Arbeit der Polizei zu stärken.
  • Im November 2010 hat das Innenministerium NRW klare Richtlinien zum Beschwerde-management bei der Polizei erlassen. Menschen, die sich von Einsatzkräften unangemessen behandelt fühlen, haben die Möglichkeit, auf entsprechende Vorfälle hinzuweisen. Diese Möglichkeiten müssen bekannter gemacht werden.
  • Es war wichtig und richtig, dass das Ministerium für Inneres und Kommunales NRW die federführende Rolle bei der Weiterentwicklung des Nationalen Konzepts Sicherheit und Sport (NKSS) übernommen hat. Als besonders wichtig empfinden wir es, dass erstmals auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für Fanprojekte in die Erarbeitungsphase miteinbezogen wurde. Künftig müssen nicht nur die Fanprojekte, sondern auch Vertreter der organisierten Fangruppen mit an den Tisch geholt werden. Auf diese Weise erhöht sich die Akzeptanz für die beratenen Maßnahmen auch im „Lager“ der organisierten Fans.

Das Positionspapier „Fußballfans ernst nehmen – Gewalt verhindern“ kann hier heruntergeladen werden.