Warum wir auch 2012 einen Coming-Out-Tag brauchen

Josefine Paul erklärt zum Coming-Out-Day

Portrait Josefine Paul

Wir schreiben das Jahr elf nach Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft. Doch noch immer streitet sich die Politik heftig über die Ausweitung der Rechte für Lesben und Schwule, die in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Ob die Anpassung des Steuerrechts oder das Adoptionsrecht, die Bundesregierung weigert sich standhaft, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Regenbogenfamilien als gleichwertige Verantwortungsgemeinschaften wie Ehen und heterosexuelle Familien anzuerkennen. Die aus konservativen Kreisen vorgebrachten Argumente gegen die Gleichstellung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften mit der Ehe oder gar die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, lassen tief blicken in eine Gesellschaft, die sich mit der Akzeptanz unterschiedlicher Lebensentwürfe und Lebensmodelle noch immer schwer tut.
Laut der Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer, betrachten es noch immer 25,3 Prozent der Bevölkerung als „ekelhaft, wenn Homosexuelle sich in der Öffentlichkeit küssen“. Und immerhin noch 15,8 Prozent finden Homosexualität gar „unmoralisch“.
Die politische Debatte der letzten Wochen und Monate legt nahe, dass diskriminierende Äußerungen gegenüber homosexuellen Lebensweisen in vielen Fällen noch als legitime politische Meinungsäußerung bewertet werden. Nach dem jüngsten Interview im Jugendmagazin Fluter der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), in dem ein anonymer Bundesligaprofi zu seiner Homosexualität Stellung nimmt, überschlugen sich die Medien einmal mehr in Berichten und Kommentaren zum ewigen „Gegensatzpaar“ Männerfußball und Schwulsein.
Die Debatten und die mediale Aufregung zeigen: Normal ist anders! Homosexualität ist in diesem Land weiterhin gesellschaftlicher Diskussionsgegenstand. Es ist auch im Jahr 2012 für viele Lesben, Schwule, Bi-, Trans* oder Intersexuelle (LSBTI) nicht selbstverständlich, sich in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Sportverein zu outen. Mehr als die Hälfte der lesbischen Frauen beispielsweise, hat für sich entschieden, ihre gleichgeschlechtliche Lebensweise am Arbeitsplatz geheim zu halten. Diese Entscheidung ist aber nur scheinbar eine freiwillige Entscheidung im Umgang mit dem eigenen Privatleben, denn hinter diesem Entschluss steht in den allermeisten Fällen die Angst vor negativen Reaktionen oder Konsequenzen im Job. Dieses Verstecken eines Teils der eigenen Identität kostet viel Kraft. Kraft, die natürlich für den Job fehlt. Das ist auch aus ökonomischer Perspektive eine „loose-loose-Situation“, denn welcher Konzern möchte schon auf die Produktivität seiner Angestellten verzichten.
Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beschwören daher seit längerem das Konzept des Diversity-Management. Dieses Konzept kommt ursprünglich aus der Wirtschaft und bedeutet im Kern, die Vielfalt zum Wohle des Konzerns zu nutzen. Auch wenn es dabei natürlich in erster Linie um ökonomische Interessen geht, so ist dies doch ein wichtiger Schritt und Anreiz, Vielfalt endlich als Chance und gesellschaftliche Ressource zu begreifen.
Politisch bedeutet das, dass die Politik die Herausforderung einer vielfältigen Gesellschaft endlich annehmen muss. Das Ziel einer Diversity-Politik muss es sein, dass alle Menschen in der Gesellschaft eine Chance auf Teilhabe, Repräsentation und Entfaltung bekommen. Für LSBTI bedeutet das in erster Linie gesellschaftliche und politische Anerkennung. Wo „schwul“ immer noch unterhinterfragt Schimpfwort Nummer eins auf deutschen Schulhöfen ist, da gilt es noch einiges an pädagogischer Aufklärungsarbeit zu leisten, damit LSBTI-Jugendliche sich eben nicht verstecken müssen, sondern offen ihren Lebensentwurf für sich entdecken und leben können.
Es gibt noch einiges zu tun und deshalb brauchen wir einen Coming-Out-Tag.  

Zum Weiterlesen:
Hier findet Ihr die offizielle Seite des Coming-Out-Day e.V. mit der Geschichte des Tages und weiteren Informationen zu UnterstützerInnen, Aktionen, Forderungen und Zielen: http://www.coming-out-day.de/

Kontakte – Links – Anlaufstellen

Lesbischer Dachverband (NRW)
Vertritt in Organisationen lesbische Interessen, aber auch Kontaktstelle für alle Fragen rund um lesbisches Leben in NRW: http://www.lesben-nrw.de/uns.htm Die Wirtschaftsweiber
Netzwerk lesbischer Fach- und Führungskräfte aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Sie beschäftigen sich beispielsweise mit Fragen des „Out-im-Office“: http://www.wirtschaftsweiber.de/
Schwulen Dachverband „Schwules Netzwerk“
Hier laufen die Fäden schwulen Lebens in NRW zusammen: http://www.schwul-nrw.de/front_content.php Völklinger Kreis
Berufsverband für schwule Führungskräfte: http://www.vk-online.de/
SchLAu
SchLAu steht für Schwul Lesbisch Bi Trans* Aufklärung in NRW. Im Zentrum der Arbeit von SchLAu steht die Begegnung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Lesben, Schwulen, Bisexuellen oder Trans*. Ziel des Projektes ist es, Vorurteile und Berührungsängste abzubauen. Derzeit gibt es in NRW zwölf lokale Teams, die für Termine angefragt werden können: http://www.schlau-nrw.de/index.php Anyway
Das Anyway in Köln ist wohl das älteste und größte LSBTTI-Jugendzentrum in NRW. Hier können sich LSBTTI-Jugendliche treffen, sich austauschen, gemeinsame Aktivitäten planen, aber auch Unterstützung und Beratung erhalten: http://www.anyway-koeln.de/jugendliche/

Zentren und Treffs für LSBTTI-Jugendliche in NRW:

Das Puls in Düsseldorf: http://www.sljd.de/
Der Sozialvereine für Lesben und Schwule (SVLS) betreibt mehrere Jugendzentren in Essen, Gelsenkirchen, Mülheim und ganz frisch in Krefeld: http://jugend.svls.de/
Das Sunrise in Dortmund: http://www.sunrise-dortmund.de/
Mit dem Track gibt es in Münster nun zumindest einen wöchentlichen Treff, der Jugendlichen aus der Regionen einen Anlaufpunkt bietet: http://www.track-muenster.de/track/track_munster.html