Eileen Woestmann: „Noch immer fehlt es an der öffentlichen und gesamtgesellschaftlichen Anerkennung für diesen Beruf“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum "Kita-Kollaps"

Portrait Eileen Woestmann

Eileen Woestmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich erinnere mich noch gut an meine beiden Erzieherinnen im Kindergarten, an das gemeinsame Obstgarten-Spielen und das Draußen-Sein, an das Gefühl, willkommen zu sein und erfahren zu dürfen.

Es gibt wohl keinen anderen Beruf, bei dem man so früh kleine Menschen begleiten darf und vor allem in Erinnerung bleibt. Erzieherin und Erzieher zu sein, ist ein Beruf mit Mehrwert. Kinder begleiten zu dürfen, ihnen die Welt zu zeigen und Grenzen zum Wachsen zu setzen, eine Vertrauensperson für die schönen kleinen Kindergeschichten zu sein oder auch Bindungsperson zu werden, ist eine wertvolle und verantwortungsvolle Aufgabe.

Nichtsdestotrotz fehlt es immer noch an der öffentlichen und gesamtgesellschaftlichen Anerkennung für diesen Beruf.

Damit sich das ändert, genau dafür werden Erzieherinnen und Erzieher gerade laut. Das ist richtig, wichtig und absolut unterstützenswert.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Wir haben verschiedene Probleme, mit denen sich die Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren konfrontiert sehen mussten. Dazu gehört die Coronapandemie, die für die Fachkräfte, die Träger und die Eltern, aber vor allem auch die Kinder eine echte Herausforderung war. Der Fachkräftemangel und die saisonal bedingten Krankheitsausfälle verschärfen die aktuellen Probleme massiv. Diese Herausforderungen sehen wir. Wir gehen sie auch an.

Applaus ist immer ganz nett. Aber Wertschätzung zeigt sich natürlich auch in der Bezahlung. Aus diesem Grund ist die Tarifsteigerung im öffentlichen Dienst der Kommunen auch ein richtiger und wichtiger Schritt und wird auch von der Grünenfraktion begrüßt.

Dennoch ist es durchaus interessant, dass die SPD und auch die FDP vor einigen Wochen noch gegen den Landeshaushalt der Koalition geklagt haben, weil sie eine Verletzung der Schuldenbremse sehen,

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Das ist Verfassungsbruch, keine Verletzung der Schuldenbremse!)

hier und heute aber eine Überbrückungsfinanzierung in Höhe von 500 Millionen Euro fordern.

(Beifall von den GRÜNEN – Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Ihr hattet 1,9 Milliarden Euro Überschuss im letzten Jahr!)

Ich gehe einmal davon aus, dass Ihnen vollkommen klar ist, dass das nicht aus bereits bestehenden Haushaltsmitteln genommen werden kann.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Marcel Hafke [FDP]: Der Finanzminister hat doch ein paar Milliarden gefunden! – Christian Dahm [SPD]: 1,9 Milliarden Euro!)

Einerseits sind Sie gegen ein Sondervermögen und klagen. Andererseits fordern Sie eines. Das ist doch ein sehr unlogischer Schlingerkurs, den Sie da fahren.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich glaube, dass wir zu einer differenzierten und vor allem ehrlichen Debatte über die Finanzierung von Kindertagesstätten zurückkehren sollten.

Ich führe auch viele Gespräche mit verschiedenen Kita-Trägern – mit städtischen, mit privaten, mit kirchlichen. In meinen Gesprächen gibt es genau zwei Beschreibungen der aktuellen Situation. Es ist entweder top, oder es ist flop. Das hängt nicht vom Träger und nicht vom Standort ab. Es ist ziemlich querbeet, und es ist sehr unterschiedlich.

Es gibt Träger, die mir berichten, dass sie mit dem aktuellen KiBiz super zurechtkommen und keine freien Stellen haben. Sie finanzieren Verwaltungsassistent*innen und auch hauswirtschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, teilweise sogar Hausmeisterinnen und Hausmeister, alles über das KiBiz.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Lassen Sie uns mal gemeinsam zu dem Träger gehen!)

Es gibt aber auch Kitas, die mir sagen, sie könnten ihre Stellen nicht besetzen, die Finanzierung reiche vorne und hinten nicht, und sie würden sogar überlegen, die Trägerschaft abzugeben.

Wir stellen also fest, dass das KiBiz sehr unterschiedlich gelebt wird und dass Kindertageseinrichtungen und Träger aber auch unterschiedliche Bedingungen haben. Damit ist es sehr schwierig, die eine Lösung zu präsentieren.

Die gleiche Kontroverse der Debatte erleben wir in Bezug auf den Fachkräftemangel. Auch hier gibt es zwei Seiten, die sich mit verschränkten Armen gegenüberstehen.

Das Team „Qualität“ sagt deutlich: In den Kitas dürfen ausschließlich Fachkräfte arbeiten. Jede Quereinsteigerin, jeder Quereinsteiger bedeutet eine Verschlechterung der Betreuung, der Bildung und der Erziehung. Damit wird der Beruf der Erzieher*in weiter abgewertet.

Das Team „Betreuung“ hält dagegen und sagt: Hauptsache, die Kinder sind betreut. Es ist wichtig, dass Eltern sich jetzt auf die Betreuungszeiten verlassen können.

Ich sage Ihnen ehrlich, dass ich eher zum Team „Qualität“ gehöre. Nichtsdestotrotz müssen wir anerkennen, dass die Lösung gerade in der aktuellen Lage irgendwo dazwischen liegen muss – im Einsatz von Ergänzungskräften und multiprofessionellen Teams, in mehr Flexibilität.

Dann müssen wir auch darüber sprechen, welche Aufgaben Erzieherinnen zusätzlich zu ihrer eigentlichen pädagogischen Arbeit haben: Verwaltung, mal den Raum durchfegen, Essen bereitstellen usw.

Genau hier kann Entlastung ansetzen. Es ist notwendig, dass wir Menschen in die Kitas bringen, die genau diese Arbeiten übernehmen.

Anscheinend ist es bei den Oppositionsparteien gerade so, dass sie sich gegenseitig überbieten müssen. Dabei wird dann bei Anträgen munter voneinander abgeschrieben – erfreulicherweise auch aus Anträgen von uns, von Schwarz-Grün –, oder es werden Forderungen einfach noch einmal gestellt, die bereits gestellt wurden und aktuell im Verfahren sind. Das kann man so machen, hilft aber, glaube ich, nicht.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Einfach mal zustimmen! Dann müssten wir es nicht mehr beantragen!)

Dennoch müssen wir auch hier wieder zu mehr Sachlichkeit zurückkehren. Uns wurde im letzten Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend dargestellt, wie komplex der Ablauf ist, um eine Förderrichtlinie zu erstellen.

Ich muss gestehen: Meine bisherige Vorstellung ging davon aus, dass es deutlich einfacher und unkomplizierter ist.

Demnach hätten sich meiner Meinung nach ein paar Mitarbeiterinnen aus den Ministerien zusammengesetzt, eine bereits bestehende Förderrichtlinie zusammen umgeschrieben und diese dann dem Finanzminister gegeben. Der hätte dann gesagt: Okay, das ist ganz gut; aber da muss noch eine andere IBAN rein. – Und dann ist das Ganze fertig.

Turns out: Meine Vorstellung entspricht nicht wirklich der Realität. So einfach ist das nicht.

Ich bin mir sicher, dass es nicht nur mir so geht. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten gerne Herrn Müller von der SPD: Hier lernt man ja immer noch was dazu. – Ich gebe ihm da uneingeschränkt recht.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Wie wäre es mit Erlaubnis von Herrn Müller?)

Ich weiß nicht, wie oft ich hier schon gestanden habe, um über die anstehende KiBiz-Novellierung zu sprechen. Vielleicht adaptieren wir jetzt einmal alleine die Komplexität der Förderrichtlinie auf das Erstellen eines neuen Gesetzes mit Fördersystematik. Spätestens dann müsste uns allen klar sein: Mal eben schnell wird so ein KiBiz nicht novelliert werden.

Es geht hier also nicht darum, dass wir als Koalition oder Frau Ministerin Paul die KiBiz-Novellierung nicht wollen oder sie böswillig in die Länge ziehen wollen. Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Die KiBiz-Novellierung wird nur durch den Versuch, sie herbeizureden, auch nicht früher kommen, liebe SPD und FDP.

(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE])

Wir werden die Anträge daher ablehnen. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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