Den schlafenden Riesen Geothermie wecken – kommunale und industrielle Wärme­wende in Nordrhein-Westfalen voranbringen

Antrag der Fraktionen von CDU und GRÜNE im Landtag

Portrait Michael Röls

I. Ausgangslage

Nordrhein-Westfalen hat eine lange Tradition in der Erkundung und Erschließung seines Un­tergrunds. Jahrhundertelang wurden untertägig Rohstoffe gefördert und für Menschen, Wirt­schaft und Industrie nutzbar gemacht. Nun streben wir an, erste klimaneutrale Industrieregion Europas zu werden. Unsere Energieversorgung werden wir zukünftig nicht mehr durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe aus dem Erdreich, sondern durch die Nutzung erneuerbarer Energien in allen Sektoren gestalten.

Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Wärmesektor verstärkt in den Blick genommen werden. Der Wärmemarkt, zu dem Raumwärme, Warmwasser und Prozesswärme zählen, hat deutsch­landweit einen Anteil von rund 40 Prozent an den energiebedingten CO2-Emissionen. In Nord­rhein-Westfalen hat die Industrie einen verhältnismäßig großen Bedarf an Prozesswärme. Chemiebranche, Eisen- und Stahlindustrie, aber auch Zement-, Papier-, Keramikindustrie usw. sind große Verbraucher. Sie nutzen derzeit zu überwiegendem Anteil Kohle, Gas und Öl als Energieträger. Auch die Raumwärmebereitstellung wird bislang durch fossile Energieträger dominiert.

Nordrhein-Westfalen ist auch das Land der verdichteten Räume und großen Fernwärmelei-tungssysteme. Aufgrund des Ausstiegs aus der Verfeuerung fossiler Rohstoffe müssen für viele der derzeit betriebenen Wärmesysteme Ersatzlösungen gefunden werden. Die leitungs­gebundene Wärmeversorgung durch Nah- und Fernwärmenetze ist für die Erreichung von Kli­maneutralität im Wärmemarkt insgesamt von zentraler Bedeutung. Für ihre Erzeugung kristal­lisieren sich unter anderem die mitteltiefe und tiefe Geothermie als eine vielversprechende Technologie heraus.

Für ein Gelingen der kommunalen und industriellen Wärmewende muss also die Geothermie insgesamt stärker in den Blick genommen werden. Dies bezieht sich auf alle Anwendungsfor­men – die oberflächennahe Geothermie, die mitteltiefe Geothermie und die Tiefengeothermie. Oberflächennahe Geothermie kann dabei für Einzelobjekte oder öffentliche Gebäude wie bspw. Schulen zum Einsatz kommen, mitteltiefe Geothermie in Quartieren, Niedertemperatur-prozessen oder Gewerbegebieten und Tiefengeothermie für die leitungsgebundene Wärme­versorgung oder industrielle Prozesswärme. Während die oberflächennahe Geothermie, von der man bis zu einer Tiefe von 400 Metern spricht, in den letzten Jahren mit einem starken

Zubau von Wärmepumpen sehr viel stärker in die Praxis und damit in den Fokus der Öffent­lichkeit gerückt ist, wird über die mitteltiefe und tiefe Geothermie bisher weitgehend nur in Fachkreisen gesprochen.

Von Tiefengeothermie spricht man ab einer Tiefe von mehr als 1.000 Metern. Dort liegen die hydrothermalen Lagerstätten, die ohne künstliche neue Fließwege erschlossen werden können. Über den Untergrund in Nordrhein-Westfalen in diesen Lagen liegen bislang – insbe­sondere außerhalb der ehemaligen Bergbauregionen – nur unzureichende Erkenntnisse vor, anders als beispielsweise in den Niederlanden. Dabei sind gute Kenntnisse über die geother­mischen Eigenschaften des Untergrunds, die durch seismische Messungen oder Bohrungen gewonnen werden können, unerlässlich für die sichere und effiziente Erschließung der Tiefengeothermie. Je tiefer im Untergrund, desto höher die Temperatur: Pro 100 Meter Tiefe steigen die anzutreffenden Temperaturen um ca. 3 °C. In 5.000 Metern Tiefe herrschen im Durch­schnitt Temperaturen von rund 160 °C. Die lokalen Bedingungen können aber aufgrund der unterschiedlichen geologischen Strukturen davon abweichen und müssen vorab erkundet wer­den. Diese Energie steht rund um die Uhr und unabhängig von der Jahreszeit zur Verfügung und versiegt aufgrund des hohen Dargebots quasi nicht.

Die Tiefengeothermie ist in Teilen von Deutschland, insbesondere in Süddeutschland, bereits erfolgreich als Wärmequelle etabliert. In Deutschland werden derzeit rund 40 Anlagen mit einer installierten Wärmeleistung von ca. 400 MW und einer elektrischen Leistung von rund 45 MW sicher betrieben. Die Herstellungskosten liegen bei ca. 2-2,5 Mio. Euro pro installierte Leistung von 1 MW. Dies ergibt Erzeugungskosten von unter 30 Euro/MWh – eine im Vergleich mit konventionellen Energieträgern gute Wirtschaftlichkeit.

Das technische Potenzial der tiefen Geothermie für industrielle Wärme und Kälte wird von der Fraunhofer-Gesellschaft grob auf 130 TWh pro Jahr in Deutschland geschätzt. Damit könnte theoretisch ein Viertel des industriellen Bedarfs gedeckt werden. Insbesondere in der Nah­rungsmittelindustrie, im Metallbau oder im Gartenbau kann diese Technologie zum Einsatz kommen, da die dort benötigten Temperaturen zumeist weniger als 100 °C betragen. In wei­teren industriellen Prozessen besteht für die Tiefengeothermie in Verbindung mit einer Hoch­temperatur-Wärmepumpe ebenfalls ein großes Potenzial, beispielweise in vielen Anwendun­gen der Papierindustrie und in der Kunststoffproduktion.

Der kommunale Wärmebedarf in Deutschland wird auf 788 TWh pro Jahr geschätzt. Die Wär­mewende stellt die Städte vor besondere Herausforderungen. Dort, wo Nah- oder Fernwärme­netze bestehen und ein geeigneter Untergrund bzw. geothermische Nutzungshorizonte vor­handen sind, liegen aber auch große Chancen, mit der Geothermie einen Beitrag zur Dekarbonisierung zu leisten.

Die Zukunftskoalition von CDU und GRÜNEN will das Potenzial der Geothermie in Nordrhein-Westfalen heben und damit einen wichtigen Schritt in Richtung klimaneutrale Industrieregion gehen. Dafür setzen wir uns ambitionierte und mutige Ausbauziele.

Ein Hindernis für die Tiefengeothermie ist bislang oft die mangelnde Datenverfügbarkeit und fehlendes Wissen über die geologischen Verhältnisse in großen Tiefen vor Ort. In den letzten beiden Jahren hat der Geologische Dienst Nordrhein-Westfalen in zwei Regionen seismische Untersuchungen durchgeführt. Im Pilotprojekt im zentralen Münsterland („Seismik Münster-land“) wurden im September 2022 erste Ergebnisse vorgelegt und ein umfassendes zweidi­mensionales Bild des Untergrundes erstellt. Infolge der guten Ergebnisse machen sich die Stadt Münster und die Stadtwerke auf den Weg, die mitteltiefe und tiefe Geothermie zu er­schließen. Münster ist Modellregion in Nordrhein-Westfalen. Im Projekt „Seismik Rheinland“ wurde im Oktober 2022 zwischen Düsseldorf und Duisburg sowie in Krefeld und dem Kreis Viersen mit seismischen Messungen nach geothermischen Potenzialen gesucht. Die ersten Ergebnisse liegen nach nur fünf Monaten Datenanalyse vor und bestätigen die vermuteten Potenziale. Wir wollen die gute Arbeit des Geologischen Dienstes fortsetzen und ausbauen. Die geothermische Charakterisierung des Untergrundes sollte weiter vorangetrieben werden. Da, wo die Kapazitäten des Geologischen Dienstes an ihre Grenzen stoßen, soll dem Geolo­gischen Dienst ermöglicht werden, auf die Dienstleistungen Dritter zurückzugreifen. Ziel ist, eine so gute Erkenntnislage wie in den Niederlanden zu erreichen und die gewonnenen Daten allen Interessierten zur Verfügung zu stellen. Für die oberflächennahe Geothermie existiert beim Geologischen Dienst seit Jahren das Portal „Geothermie in NRW – Standortcheck“. Im Januar 2023 hat der Geologische Dienst das Portal um die Bereiche „Mitteltiefe und Tiefe Geothermie“ erweitert und mit bereits vorhandenen Daten befüllt. Das Portal wird sukzessive weiter aufgebaut.

Vermuten Kommunen, Unternehmen oder andere Akteure ein geothermisches Potenzial im Untergrund, stehen zunächst hohe Investitionen in vertiefende Untersuchungen an. Ein be­sonderes wirtschaftliches Risiko stellt dabei vor allem die Fündigkeit bei ersten Erkundungs­bohrungen dar. Wird mit der Bohrung das vermutete geothermische Potenzial nicht in entspre­chender Qualität oder Quantität angetroffen, drohen hohe Verluste, die für ein mittelgroßes Stadtwerk durchaus einem ganzen Jahresergebnis entsprechen können. Es gilt zu verhindern, dass dieses Risiko Investitionen verhindert.

Das Fündigkeitsrisiko stellt das zentrale Investitionshemmnis hinsichtlich der Marktentwick­lung der Geothermie dar. Insofern bedarf es mehrerer paralleler Ansätze, um dieses Risiko zu minimieren. Die deutliche Verbesserung der Erkenntnislage über die geothermischen Poten­ziale durch seismische Erkundungen (2D- und ggf. 3D-Erkundung) in aussichtsreichen Regi­onen muss weiter vorangetrieben werden. Die Zukunftskoalition hat zur Förderung von Einzel­vorhaben der Tiefengeothermie bereits Mittel im Haushalt bereitgestellt. Zudem soll eine „NRW Explorationsstrategie“ entwickelt werden und ausreichend finanziell ausgestattet wer­den, die geeignete Standorte für Explorationsbohrungen identifiziert und das Ziel verfolgt, im Rahmen dieser Strategie entsprechende Tiefbohrungen zur Aufsuchung geothermisch nutz­barer Gesteinshorizonte auch in Nordrhein-Westfalen zu realisieren.

Darüber hinaus sollte ein weiteres strategisches Instrument zur Reduzierung des Fündigkeitsrisikos bei Probebohrungen auf Bundesebene entwickelt werden.

Der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren in Nordrhein-Westfalen wird zum Gelingen der Wärmewende eine entscheidende Rolle zukommen. Dabei gilt es, Prozesse schnellstmög­lich zu vereinheitlichen, zu digitalisieren und zu straffen. Gleichzeitig müssen Genehmigungs­behörden auf kommunaler Ebene sowie bei den Bezirksregierungen personell und technisch in die Lage versetzt werden, so effizient wie möglich zu arbeiten. Des Weiteren liegt ein maß­geblicher Hebel zur Beschleunigung und Erleichterung von Geothermie-Genehmigungsver­fahren auf der Bundesebene, wozu es einer Überprüfung und ggf. Anpassung und Harmonisierung der gesetzlichen Grundlagen, u. a. im Bereich des Bergrechts und des Bau­rechts bedarf. Auch die Weiterentwicklung und der Vollzug des Landesrechts spielen dabei eine wichtige Rolle. Bestehende Handreichungen und Vollzugsvorgaben sollen hinsichtlich der Beschleunigungsmöglichkeiten geprüft und ggf. angepasst werden.

Akzeptanz in der Bevölkerung spielt beim Einsatz der mitteltiefen und tiefen Geothermie eine zentrale Rolle. Das Land sollte deshalb in der Öffentlichkeit für die Vorzüge der Geothermie werben, aber auch eine differenzierte Betrachtung der Risiken der unterschiedlichen Verfah­ren der Tiefengeothermie vornehmen und Kommunen und andere Akteure informieren und motivieren, Projekte umzusetzen. Sicherheitsstandards sind im Kontext der Akzeptanz und zum Schutz der natürlichen Ressourcen maßgeblich. Zur Akzeptanzsicherung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen, insbesondere des Grund- und Trinkwasserschutzes, sind Geothermiebohrungen in Trinkwasserschutzgebieten der Wasserschutzzonen I und II ebenso wie der Einsatz von umweltschädlichen Verfahren sowie Bau- und Betriebsstoffen auszu­schließen.

Auch eine umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung soll möglichst frühzeitig durchgeführt wer­den. Die ersten mitteltiefen und tiefen Geothermieprojekte sollen zudem wissenschaftlich be­gleitet werden. Auch gilt es, ausreichende Monitoring-Programme zur Überwachung der Maß­nahme aufzubauen. Hierbei gilt es, die mikroseismische Aktivität mittels ausreichender Anzahl an Messstationen, aber auch Bodenbewegungen bspw. mittels Fernerkundungsmethoden zu überwachen.

Die Zukunftskoalition wird den schlafenden Riesen Geothermie in Nordrhein-Westfalen we­cken, den Ausbau der Geothermie beschleunigt und entschlossen fortsetzen und die Wärme­wende in unserem Land voranbringen.

II. Beschlussfassung

Der Landtag stellt fest:

  • Die Geothermie weist in Nordrhein-Westfalen hohe Potenziale für die Wärmewende auf, die erschlossen werden sollen.
  • Im dicht besiedelten Nordrhein-Westfalen mit bereits partiell sehr gut ausgebauten Wär­menetzen kann Geothermie einen wichtigen Beitrag für die kommunale Wärmewende leisten.
  • Geothermie kann auch bei der industriellen Wärmewende in Nordrhein-Westfalen einen wichtigen Beitrag auf dem Weg zur klimaneutralen Industrieregion leisten.
  • Geothermie liegt daher im überragenden öffentlichen Interesse.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung aus vorhanden Haushaltsmitteln,

  • einen Masterplan Geothermie zu entwickeln und ambitionierte, landesbezogene Aus­bauziele zu definieren.
  • die geothermische Charakterisierung des Untergrundes durch den Geologischen Dienst mit seismischen Messungen zur deutlichen Verbesserung der Erkenntnisse über den Untergrund und die geothermischen Potenziale beschleunigt fortzusetzen.
  • Möglichkeiten der Unterstützung des Geologischen Dienstes durch Dritte noch intensiver zu nutzen.
  • eine „NRW Explorationsstrategie“ zu entwickeln, die geeignete Standorte identifiziert und für deren Erkundung durch Tiefbohrungen sorgen soll.
  • durch das Land bzw. den Geologischen Dienst oder Dritte gewonnene Geodaten nach dem Vorbild der Niederlande kostenfrei, einfach und digital zur Verfügung zu stellen und die entsprechenden Plattformen kontinuierlich weiterzuentwickeln.
  • ein Rechtsgutachten zur Identifikation von Beschleunigungsmöglichkeiten für Genehmi­gungsverfahren im Rahmen des geltenden Rechts und zur Erarbeitung von Vorschlägen zu ggf. erforderlichen Änderungen einschlägiger rechtlicher Regelung erarbeiten zu las­sen.
  • sich auf Bundesebene für eine Überprüfung, Anpassung und Harmonisierung der ge­setzlichen Grundlagen, u.a. dem Naturschutz- und Baurecht einzusetzen, die auf eine Beschleunigung und Erleichterung von Geothermie-Genehmigungsverfahren abzielt; zudem soll die anstehende Novellierung des Bundesberggesetzes genutzt werden, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Dabei ist sicherzustellen, dass der Beitrag der Geothermie zu einer umweltfreundlichen Energieversorgung geleistet werden kann,indem die Grundsätze des Wasserrechts in Form des Besorgnisgrundsatzes und Vor­sorgeprinzips beachtet werden.
  • auch auf Landesebene die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Bereich Geothermie weiter voranzutreiben.
  • zur Akzeptanzsicherung und zum Schutz der natürlichen Ressourcen, insbesondere des Grund- und Trinkwasserschutzes, sind Geothermiebohrungen in Trinkwasserschutzge­bieten der Wasserschutztonen I und II ebenso wie der Einsatz von umweltschädlichen Verfahren sowie Bau- und Betriebsstoffen auszuschließen.
  • die ersten Tiefengeothermieprojekte mit wissenschaftlichen Studien zu begleiten, um insbesondere die Umweltauswirkungen inklusive Grundwassermonitoring zu evaluieren.
  • in Beteiligungsprozessen mit Bürgerinnen und Bürgern, Kommunen, Versorgungsunter­nehmen, Umweltverbänden, Wasserwirtschaft und Wissenschaft die Chancen und Risi­ken für die Tiefengeothermie in Nordrhein-Westfalen mit der Landesgesellschaft Energy4Climate zu erörtern, um ein gemeinsames Verständnis mit den Stakeholdern und Beteiligten zu entwickeln.
  • sich auf Bundesebene für die bessere Ausgestaltung des Rechtsrahmens für Unter­grundspeicher einzusetzen.
  • sich auf Bundesebene für die Einführung eines Instruments zur finanziellen Reduzierung des Fündigkeitsrisikos einzusetzen.
  • sich auf Bundesebene für eine Berücksichtigung Nordrhein-Westfalens innerhalb der Bundes-Erdwärmekampagne und somit für die Erkundung von Modellregionen in Nord­rhein-Westfalen sowie für die Beibehaltung und Verstetigung der Förderbedingungen (insb. Bundesförderung für effiziente Wärmenetze, BEW) einzusetzen.