Vertrauen in den Öffentlichen Nahverkehr stärken – Fahrgäste wieder zurück gewinnen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

I. Ausgangslage
Seit Beginn der Corona-Pandemie leiden die öffentlichen Verkehrsmittel sowohl im Nah- wie im Fernverkehr unter einem Rückgang der Fahrgäste. Zurzeit fahren etwa ein Viertel weniger Menschen Bus und Bahn als noch im letzten Jahr. Viele sind aufs Fahrrad und Auto umgestie­gen, durch den verstärkten Trend zu Homeoffice gibt es insgesamt weniger Pendlerinnen und Pendler, die täglich zur Arbeit fahren. Hauptgrund für den Fahrgastrückgang scheint jedoch zu sein, dass die Menschen ein erhöhtes Ansteckungsrisiko mit Covid-19 bei der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs befürchten. Doch dafür gibt es bislang keine Anhaltspunkte. Das Ro­bert-Koch-Institut sieht keine Gefahr eines erhöhten Risikos (https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/38_20.pdf), der Verband der Verkehrsunter­nehmen VDV und die Deutsche Bahn verweisen auf eigene Erkenntnisse und internationale Studien, die diese Einschätzung belegen (https://www.vdv.de/presse.aspx?id=7044be2d-9670-4309-91a1-089d5d13c817&mode=detail).
Verschiedene Gründe sprechen dafür, dass auch in Corona-Zeiten die Nutzung des ÖPNVs sicher ist. Zum einen gehen die Türen ständig auf und zu, so dass es ausreichende Belüftung und Luftaustausch gibt. Zum anderen wird nur selten gesprochen, so dass es nur zu einem geringen Ausstoß an Aerosolen kommt, die als Hauptansteckungsquelle gelten. Bei konse­quenter Einhaltung der Maskenpflicht ist die Gefahr einer Ansteckung deshalb nur sehr gering, vor allem auch, weil die meisten Menschen nur relativ kurze Zeit in Bussen oder Bahnen ver­bringen. Der Verband der Verkehrsunternehmen VDV und die Deutsche Bahn (https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Wissenschaftliche-Stu-die-Keine-Anzeichen-fuer-erhoehte-Corona-Gefahr-bei-Zugpersonal–5581064) bestätigen diese Annahmen, da das eingesetzte Personal – auch das mit unmittelbarem Kontakt zu Fahr­gästen – weniger häufig mit Corona infiziert sei als der Durchschnitt der Bevölkerung (https://www.vdv.de/presse.aspx?id=fcc0c57e-8746-438f-b034-2d73d956a5b0&mode=detail&corian-der=V3_e9b693c1-fdbb-4745-a3b5-b4fcffb7717a).
Ein erhöhtes Risiko besteht laut Ansicht der Expertinnen und Experten nur, wenn Busse und Bahnen zu voll sind. Dies ist vor allem morgens ein Problem, wenn sich sowohl Pendlerinnen und Pendler als auch Schülerinnen und Schüler in den Fahrzeugen drängen und der erforder­liche Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden kann. Deshalb setzen wir GRÜNE uns ve­hement dafür ein, dass die Schülerverkehre entzerrt werden, zum Beispiel durch die Teilung von Klassen in Präsenz- und Heimarbeitsgruppen und die Entzerrung der Schulanfangszeiten.
Auch sollten Beschäftigte im öffentlichen Dienst und Unternehmen verstärkt die Möglichkeit bekommen, von zuhause zu arbeiten oder flexiblere Bürozeiten zu nutzen, damit die Fahr­zeuge des ÖPNVs in den Stoßzeiten nicht überfüllt sind.
Um das Vertrauen der Fahrgäste in die Sicherheit des ÖPNVs wieder zu stärken, müssen die Landesregierung, Verkehrsverbünde und die Verkehrsunternehmen jetzt Maßnahmen ergrei­fen. Dazu gehört unter anderem, dass Busse und Bahnen nicht überfüllt sind, dafür müssen in den Spitzenzeiten mehr Fahrzeuge eingesetzt und die Fahrpläne an veränderte Arbeits- und Schulzeiten angepasst werden. Außerdem müssen die Verkehrsunternehmen in Zusammen­arbeit mit den Ordnungsämtern und der Polizei dafür sorgen, dass alle Fahrgäste Masken tragen und dies auch entsprechend kontrollieren. Die vorhandenen und gut funktionierenden Hygienekonzepte der Verkehrsunternehmen müssen den Fahrgästen transparent gemacht werden und stärker für die sichere Nutzung von Bussen und Bahnen geworben werden.
Für diese wichtigen und zusätzlichen Aufgaben der Verkehrsunternehmen muss es vom Land auch finanzielle Unterstützung geben, damit die Verkehrsangebote dauerhaft aufrecht erhalten werden können. Denn die rund 25 Prozent weniger Fahrgäste, die der ÖPNV seit Beginn der Corona-Pandemie im Schnitt verzeichnet, führt natürlich auch zu Mindereinnahmen und finan­ziellen Problemen, insbesondere bei den Kommunen. Um die ausbleibenden Fahrgäste wie­der zurück zu bekommen und hoffentlich auch zukünftig neue ÖPNV-Nutzer/-innen zu gewin­nen, müssen unbedingt auch die Ticketangebote der neuen Situation angepasst werden. So sollen in ganz NRW Fahrgäste mit einem Monats- oder Wochenticket, die wegen Homeoffice nicht mehr täglich fahren, flexible und günstige Konditionen erhalten. Unbedingt vermieden werden muss auch, dass aufgrund des Fahrgastrückgangs und der erhöhten Anforderungen wieder allein die (noch verbliebenen) Fahrgäste durch Preiserhöhungen zur Kasse gebeten werden. Hier wäre schon längst eine Reform der ÖPNV-Finanzierung überfällig, durch die Pandemie kommen die Defizite des bisherigen Finanzierungsmodells noch deutlicher zutage.
Da sich die Erkenntnisse über das geringe Ansteckungsrisiko im ÖPNV im Wesentlichen auf Daten der Verkehrsunternehmen und internationale Studien stützen, wäre es sinnvoll, wenn die Landesregierung gemeinsam mit den Verkehrsverbünden ein eigenes Gutachten in Auf­trag geben würde, welches das Infektionsrisiko im ÖPNV in Nordrhein-Westfalen wissen­schaftlich genau untersucht und dessen Ergebnisse dem Landtag und der Öffentlichkeit vor­gestellt werden.
Ohne zurück gewonnenes Vertrauen in den Öffentlichen Nahverkehr kann die Mobilitätswende in NRW nicht gelingen. Ohne einen starken, gut ausgebauten und vor allem von den Fahrgäs­ten gut angenommenen ÖPNV rücken die Klimaschutzziele in noch weitere Ferne. Dies kön­nen wir uns in NRW angesichts der drohenden Klimakrise keinesfalls leisten, hier ist alles zu tun, um das Klima auch im Verkehrsbereich nachhaltig zu schützen.
II.     Der Landtag stellt fest
·             Die Corona-Pandemie führt zu einem veränderten Verkehrsverhalten, unter dem vor allem der öffentliche Nahverkehr zu leiden hat.
·             Der Öffentliche Nahverkehr hat im Rahmen der Mobilitätswende eine entscheidende Be­deutung zur Bekämpfung der Klimakrise.
·             Das Vertrauen der Fahrgäste, sicher und ohne erhöhtes Ansteckungsrisiko Busse und Bahnen nutzen zu können, muss wieder erlangt werden.
·             Es bedarf mehr Anstrengungen als bisher, um in den Spitzenzeiten überfüllte Fahrzeuge zu vermeiden.
·             Die Verkehrsunternehmen brauchen stärkere finanzielle Unterstützung, um die bisherigen Defizite auszugleichen und das Angebot nicht nur aufrecht zu erhalten sondern auszuweiten, damit wieder mehr Fahrgäste den ÖPNV dauerhaft nutzen und sie den er­forderlichen Sicherheitsabstand einhalten können.
·           Die konsequente Durchsetzung der Maskenpflicht trägt entscheidend dazu bei, das An­steckungsrisiko im ÖPNV nach wie vor gering zu halten.
·           Die bisherigen Tarifstrukturen reichen nicht aus, um flexibel auf die Situation eingehen zu können, hier sind neue und individuelle Formate gefragt.
·           Die schon angelaufene Öffentlichkeitskampagne, die für den ÖPNV als Verkehrsmittel wirbt und Unsicherheit in der Bevölkerung und Angst vor erhöhtem Ansteckungsrisiko durch Aufklärung begegnet, ist notwendig.
·           Ein wissenschaftliches Gutachten, das die Situation in NRW genau untersucht und die bisherigen Annahmen und Studien untermauert, kann hilfreich sein.
III. Der Landtag beschließt:
Die Landesregierung wird aufgefordert:
·           Die erhöhten finanziellen Bedarfe der Verkehrsunternehmen zur Aufrechterhaltung des regulären Fahrplans plus notwendiger zusätzlicher Verkehre zur Verhinderung überfüllter Züge zu ermitteln.
·           Sich beim Bund für eine Verlängerung der Bund-Länder-Vereinbarung zur Kompensie-rung der coronabedingten finanziellen Ausfälle auch für 2021 im ÖPNV einzusetzen und entsprechende Landesmittel ergänzend dazu bereit zu stellen.
·           Mit diesen auch die erhöhten Bedarfen an zusätzlichen Verkehren, die Umsetzung von Hygienekonzepten und die Kontrollen der Maskenpflicht auszugleichen.
·           In ganz NRW in Zusammenarbeit mit den Verkehrsverbünden flexible, an individuellen Bedarf der Fahrgäste orientierte und preiswerte Ticketlösungen auf den Weg zu bringen.
·           Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im öffentlichen Dienst des Landes verstärkt Homeofficelösungen und mobiles Arbeiten zu ermöglichen, die Büroanfangs- und -endzeiten so flexibel wie möglich zu gestalten, dabei eine Vorbildfunktion einzunehmen und bei der Wirtschaft in NRW für ebensolche Maßnahmen zu werben.
·           Die Schulanfangszeiten und Klassenstärken so zu entzerren, dass Schülerinnen und Schüler nicht mehr Gefahr laufen, in überfüllte Busse und Bahnen steigen zu müssen.
·           Ein Gutachten in Auftrag zu geben, das die Ansteckungsrisiken im ÖPNV in NRW wissen­schaftlich untersucht und die Ergebnisse dem Landtag und der Öffentlichkeit bekannt zu machen.