Landesregierung muss Windenergieausbau durch echte Akzeptanzoffensive ermöglichen

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Wibke Brems 5-23

I.         Ausgangslage
Situation der Windenergie in NRW
Die Windenergie ist eine tragende Säule der Energiewende in Deutschland und in NRW. Ohne sie sind die Ziele der Bundesregierung zur Reduktion der Treibhausgase und zum Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht erreichbar. Für die Erreichung des bundesdeutschen Ziels, 65 Prozent Erneuerbarer Energie am Stromverbrauch im Jahr 2030 sicherzustellen, trägt auch das Land Nordrhein-Westfalen als wichtigste Energieregion in Deutschland große Verantwortung. Die aktuellen Ausbauzahlen zeigen, das Nordrhein-Westfalen dieser Verantwortung derzeit nicht gerecht wird. So lag der Anteil Erneuerbarer Energien am Stromverbrauch in NRW im Jahr 2018 erst bei 13 Prozent. Die Landesregierung steht mit ihrem Bekenntnis, den Bericht der Kohlekommission eins zu eins umsetzen zu wollen, im Wort, den Ausbau der Windenergie in Nordrhein-Westfalen in Zukunft wieder zu ermöglichen. Denn ohne diesen werden die Ausbauziele nicht erreichbar sein.
In den Jahren der rot-grünen Landesregierung konnte der Zubau von Windenergieanlagen kontinuierlich von 49 im Jahr 2010 auf zuletzt 312 Anlagen mit fast 870 Megawatt gesteigert werden. Mehr als 20.000 Arbeitsplätze generierten im Jahr 2017 Investitionen von rund einer Milliarde Euro (https://www.lee-nrw.de/wp-content/uploads/2019/03/LEE-NRW-EE-Bilanz-NRW-2018-NRW-final.pdf). Doch im Jahr 2018 erfolgte ein massiver Einbruch. Der abrupte Rückgang des Ausbaus um über 60 Prozent auf nur noch ungefähr 100 Anlagen im Jahr 2018 ist zum Teil durch die Einführung der Ausschreibungen auf Bundesebene begründet. Er ist aber auch Ausdruck, wie stark die Verunsicherung durch die Maßnahmen und Äußerungen der Landesregierung bereits ist. Dabei sind die für die Windenergie negativen Änderungen im Landesentwicklungsplan noch nicht in Kraft getreten.

Windenergiepotenzial in NRW

Das Landesumweltamt LANUV hat bereits 2012 in einer Potenzialstudie nachgewiesen, dass Nordrhein-Westfalen mit einer relativ geringen Flächeninanspruchnahme von 1,6 Prozent der Landesfläche (54.000 Hektar) etwa 28 Terawattstunden (TWh) Strom aus Windenergie erzeugen könnte. Unter den damaligen Regelungen möglich wären sogar 113.000 Hektar und fast 10.000 Anlagen. Mit den aktuell installierten etwa 3.700 Windenergieanlagen mit 5.800 Megawatt installierter Leistung ist das theoretische Potenzial also gerade einmal zu einem Drittel ausgeschöpft.
Die schwarz-gelbe Landesregierung sorgt jedoch seit Regierungsantritt bewusst für Verunsicherung bei allen Akteuren. Zunächst durch die Formulierung im Koalitionsvertrag, einen rechtssicheren Mindestabstand von Windenergieanlagen zu Wohnbebauung von 1.500 Metern einzuführen, anschließend mit der Einführung eines theoretischen diesbezüglichen Beispiels im Windenergieerlass und schließlich mit dem Kabinettsbeschluss für Änderungen am Landesentwicklungsplan, in welchem wieder ein Abstand von 1.500 Metern, wo möglich, gefordert wird. Es ist offenkundig, dass ein solcher Abstand im dichtbesiedelten Nordrhein- Westfalen zu einer dramatischen Reduktion des Potenzials führen muss. Hinzu kommen widersprüchliche Signale des Wirtschaftsministers zum weiteren Ausbau der Windenergie in NRW. Fest steht, dass eine Verdopplung der installierten Leistung innerhalb von fünf Jahren einen jährlichen Zubau von etwa 1.200 Megawatt bedeuten würden, was 30 Prozent mehr wäre als im bisherigen Rekordjahr 2017.
Ein solcher Zubau wäre energie- und klimapolitisch notwendig und wünschenswert, jedoch reichen rhetorische Mittel nicht aus – die Rahmenbedingungen müssen auch auf Landesebene grundlegend optimiert werden. Darüber hinaus bedarf es auf Bundesebene umfassender Veränderungen, wie die dauerhafte Erhöhung der Ausschreibungsvolumina, um die Ausbauziele von NRW und Deutschland zu realisieren.

Bundesregierung bremst die Windenergie aus

Mit der Einführung von Ausschreibungen im Jahr 2017 wurden einer dynamischen Zukunftsbranche Fesseln angelegt. Ein jährliches Ausschreibungsvolumen von weniger als 3.000 Megawatt (brutto), zielt nicht darauf ab, Klimaschutzziele zu erreichen, sondern einzig darauf, den Zubau an Windenergieanlagen aus politischen Gründen drastisch zu begrenzen. Da weder eine Erhöhung um stillgelegte Anlagen, noch um nicht realisierte Leistung erfolgt, reduziert sich der tatsächliche (Netto-)Zubau weiter. Hier braucht es eine dauerhafte und deutliche Erhöhung der Ausschreibungsvolumina, die die Erreichung des 65-Prozent-Ziels ermöglichen. Fehlgeleitete Regelungen für Bürgerenergie haben zusätzlich zu dramatischen Marktverzerrungen geführt, die nur teilweise durch zusätzliches Ausschreibungsvolumen geheilt werden konnten. Ein alternatives Verfahren, um echten Bürgerenergieprojekten wieder mehr Marktchancen zu ermöglichen, wurde noch immer nicht eingeführt. Die Unterdeckung in den letzten Ausschreibungsrunden zeigt zudem, dass es flächendeckend Probleme bei der Erteilung von Genehmigungen gibt, aber auch dass die aktuellen Marktbedingungen für viele Projekte nicht attraktiv genug sind.

Begründung für Windverhinderungspolitik ist vorgeschoben

Die Begründungen der Landesregierung für ihre Windenergieverhinderungspolitik, man wolle mit einem festen Mindestabstand von 1.500 Metern die Akzeptanz für die Windenergie erhalten, sind leider so eindimensional wie fachlich haltlos. Die Bundesregierung weist in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion (Bundestagsdrucksache 19/3053) darauf hin: „Nach Kenntnis der Bundesregierung ist kein Zusammenhang zwischen der ländereigenen Festlegung erhöhter Mindestabstände und einer höheren Akzeptanz empirisch nachgewiesen worden.“
Und auch eine aktuelle Untersuchung des Umweltbundesamtes zu den Auswirkungen pauschaler Mindestabstände warnt vor dem Instrument: „Aus Sicht des Umweltbundesamts stellen pauschale Siedlungsabstände daher nicht nur ein ungeeignetes Instrument zur Steigerung der Akzeptanz gegenüber der Windenergienutzung dar, sondern sie gefährden eine erfolgreiche, die Belange von Mensch und Umwelt gleichermaßen berücksichtigende Umsetzung der Energiewende in substantieller Weise.“
Dass die Landesregierung wider besseren Wissens an ihren Plänen festhält, offenbart, dass die Erhöhung der Akzeptanz nur ein vorgeschobenes Argument ist und es ihr im Kern um die ideologiegetriebene Verhinderung der Windenergie geht. Würde es der Landesregierung tatsächlich um eine Erhöhung der Akzeptanz vor Ort gehen, würde sie andere Maßnahmen vorschlagen, die die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner und Kommunen tatsächlich zu Beteiligten an den Projekten machten, wie es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD im Bund im Grunde nach angelegt ist.

Echte Akzeptanz durch mehr Bürgerbeteiligung

Bürgerwindprojekte, also mehrheitlich von Bürgerinnen und Bürgern aus dem direkten Umfeld der Standorte getragene Windenergieprojekte, können diese Voraussetzungen vollumfänglich erfüllen. Die direkte Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern und Kommunen an Windenergieanlagen führt nachweislich zu mehr Akzeptanz. Doch die fehlerhaft definierten Bürgerenergieausnahmen im Rahmen der EEG-Ausschreibungen drohen derartige Projekte aus dem Markt zu drängen. Schleswig-Holstein zeigt, wie solche Projekte sinnvoll unterstützt werden können, indem Bürgerenergieprojekte vom Land in der Projektentwicklungsphase mit Risikokapital unterstützt werden, welches im Falle einer erfolgreichen Umsetzung zurückgezahlt werden muss (https://www.schleswig-
holstein.de/DE/Landesregierung/V/Presse/PI/2018/0718/180706_Buergerenergiefonds.html;jsessionid
=40C3F678BD41BC51EE4B2FBBF0F5DE9D)
2. Zusätzlich braucht es aber für diese Projekte eine neu gestaltete Ausnahmeregelung im EEG, die kleine Projekte, wie von der EU ermöglicht, von Ausschreibungen um Förderberechtigungen ausnimmt.
Vorreiter im Bereich der Akzeptanzsicherung für Windenergieprojekte in NRW ist der Kreis Steinfurt, wo seit 2011 nur noch Windenergieprojekte realisiert werden, welche den Bürgerwindleitlinien des Kreises entsprechen. Die zentralen Aspekte sind eine konzeptionelle Beteiligung aller Gruppen im Umfeld der Anlagen, von Grundeigentümern über Anwohnerinnen und Anwohner bis hin zu den Kommunen; eine finanzielle Beteiligung der Anwohnerinnen und Anwohner mit einer geringen Mindestbeteiligung und der Verhinderung von Mehrheitsbeteiligungen sowie die Einbeziehung von lokalen Stadtwerken und Banken als Partner, um die regionale Wertschöpfung zu erhöhen (http://www.nlf-buergerwind.de/media/nlf/documents/leitlinien-buergerwindpark.pdf).
Auch wenn die Leitlinien für eine bundesweit einheitliche Anwendung nicht ausreichend konkret sein dürften, muss die Überzeugung, die hinter diesen Leitlinien steht, doch durch geeignete Instrumente auf alle Projekte im Land übertragen werden: Wer auf die Anlagen schaut, muss auch von diesen profitieren.
Die Landesregierung muss sich auf Bundesebene für einheitliche Regelungen einsetzen, die tatsächlich die Akzeptanz erhöhen. Neben der Unterstützung von echten Bürgerwindprojekten, muss es auch ökonomische Vorteile für die Anwohnerinnen und Anwohner geben, die nicht in die Anlagen investieren können oder wollen. Dies kann beispielsweise sichergestellt werden, indem Wertschöpfung teilweise an die Standortkommunen fließt. Denn an vielen Kommunen geht die Wertschöpfung aus der Windenergie noch zu sehr vorbei.
Selbst vom Bundesverband Windenergie wurde der Vorschlag gemacht, einen festen Anteil am jährlichen Umsatz für die Stärkung der regionalen Wertschöpfung zu investieren (https://www.wind-energie.de/fileadmin/redaktion/dokumente/publikationen-oeffentlich/themen/04-
politische-arbeit/01-eeg/20190130_-_RegWirG_final.pdf). Ein verwandter Vorschlag einer Sonderabgabe an die Standortkommunen wurde bereits Anfang 2018 von der Agora Energiewende unterbreitet (https://www.agora-
energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2017/Akzeptanz_Windenergie/Agora_Akzeptanz_Onshore_Win denergie_WEB.pdf).
Neben einer stärkeren ökonomischen Teilhabe der Anwohnerschaft und den Standortkommunen muss aber auch die frühe und bisher freiwillige Öffentlichkeitsbeteiligung stärker institutionalisiert werden und um Elemente wie die Bürgervertrauensperson ergänzt werden.
Viele Anwohnerinnen und Anwohner wünschen sich auch, durch günstige Preise für lokalen Windstrom zu profitieren (https://www.fachagentur-
windenergie.de/fileadmin/files/Veroeffentlichungen/FA_Wind_Umfrageergebnisse_Herbst_2018.pdf)6. Mit der Einführung regionaler Herkunftsnachweise wurde durch die Bundesregierung der Versuch unternommen, regionalen Grünstrom kenntlich zu machen. Jedoch ist das Instrument in der Anwendung komplex und bietet für die beteiligten Akteure keinerlei wirtschaftliche Vorteile. Es ist daher fraglich, ob über dieses Instrument vergünstigte Stromtarife für die Anwohner von einzelnen Windparkbetreibergesellschaften angeboten werden. Daher braucht es ein einfach handhabbares Modell, mit welchem der Windstrom transparent und vergünstigt an die Menschen in der Umgebung abgegeben werden kann.
Die Landesregierung muss auf Bundesebene darauf drängen, dass die AG Akzeptanz der regierungstragenden Bundestagsfraktionen sich mit den genannten Vorschlägen dezidiert auseinandersetzt und kurzfristig einen geeigneten Instrumentenmix empfiehlt, der auf pauschale Abstandsvorgaben aus den oben genannten Gründen verzichtet. Es ist bezeichnend für die Blockadehaltung der Bundesregierung bei Energiewende und Klimaschutz, dass die Arbeitsgruppe nicht in der Lage war, wie vorgesehen bis Ende März Vorschläge für akzeptanzfördernde Maßnahmen zu formulieren. Die Landesregierung muss sich daher umgehend in die Diskussionen auf Bundesebenen einbringen und für die bundeseinheitliche Einführung von Instrumenten eintreten, die tatsächlich die Akzeptanz für den Ausbau der Windenergie erhöhen, statt diesen durch pauschale Abstandsvorgaben faktisch zu verhindern.

Konflikte mit dem Naturschutz entschärfen

Der Widerstand von Anwohnern gegen Windenergieprojekte hat in den vergangenen Jahren an Schärfe gewonnen. Eine vergleichbare Entwicklung ist leider auch zwischen Windenergieprojektentwicklern und dem Naturschutz zu beobachten. Eine zunehmende Anzahl an Baugenehmigungen wird einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen.
Die Landesregierung sollte im Dialog zwischen Windenergiebranche und Naturschutzverbänden nach Lösungen suchen, die auf der einen Seite den berechtigten Interessen des Naturschutzes Rechnung tragen, aber auf der anderen Seite auch dem Interesse der Investoren nach Planungs- und Investitionssicherheit entsprechen. Ein vielversprechender Ansatzpunkt ist die Standardisierung der Untersuchungsmethoden und Zertifizierung der Gutachter zur Naturverträglichkeit, wodurch sich die Rechtssicherheit der Planungen erhöhen würde (https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/erneuerbareenergien/Dokumente/BfNErneuerbareEnergienReport2
019_barrierefrei). Zu prüfen wäre, inwiefern durch eine frühzeitige institutionalisierte Abstimmung zwischen Planungsträger und dem Artenschutz die Planungssicherheit im weiteren Verlauf verbessert werden könnte. Hierbei sollte die Landesregierung mit eigenen Initiativen und im engen Dialog mit den Beteiligten Akteuren vorangehen.
Um Verfahrensfehler zu vermeiden und die Verfahrensdauer zu reduzieren, sollten zudem Genehmigungsbehörden mit mehr Personal ausgestattet werden und auch einfacher externen professionellen Sachverstand hinzuziehen können8. Anders ist die für die extrem ambitionierten Ausbauziele der Landesregierung notwendige Anzahl an Genehmigungen nicht zu erreichen.

II.       Beschlussfassung

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,
1.       die Änderungen am Landesentwicklungsplan zu stoppen,
2.       ein schlüssiges Konzept vorzulegen, wie der Bestand an Windenergiekapazität in NRW in fünf Jahren verdoppelt werden kann,
3.       Bürgerenergieprojekte durch ein Landesförderprogramm nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins in der Projektentwicklung zu unterstützen,
4.       Mindestkriterien für die konzeptionelle und finanzielle Beteiligung der Bevölkerung im Umfeld der Windenergieanlagen und der Standortkommunen               zu entwickeln,
5.       die Genehmigungsbehörden in die Lage zu versetzen, schnelle und rechtssichere Genehmigungen auszustellen sowie
6.       im Dialog mit den beteiligten Akteuren die Planungs- und Rechtssicherheit bei der Artenschutzprüfung für Windenergieplanungen zu verbessern.
Der Landtag beauftragt die Landesregierung, sich auf Bundesebene
7.       dafür einzusetzen, dass die AG Akzeptanz umgehend weitgehende Vorschläge für finanzielle Beteiligungsmöglichkeiten für die Menschen in den Standortkommunen und die Erhöhung der regionalen Wertschöpfung formuliert,
8.       für eine frühe und umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des BImSchG- Antragsverfahrens einzusetzen,
9.       für eine Befreiung kleiner Bürgerenergieprojekte von den EEG-Ausschreibungen und eine dauerhafte Erhöhung der EEG-Ausschreibungsmengen einzusetzen.