Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus – Erinnern heißt Verantwortung zu übernehmen

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, FDP und GRÜNEN

Portrait Wibke Brems 5-23

I. Ausgangslage

Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau befreit. Seit 1996 ist dieser Tag bundesweit der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus ist Teil der historischen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland – Verantwortung ge­genüber den Opfern und Hinterbliebenen des Nationalsozialismus, aber auch Verantwor­tung das Versprechen „Nie wieder!“ einzulösen.

In den sieben Vernichtungslagern und über tausend Konzentrations- und Nebenlagern wur­den mehrere Millionen Menschen ermordet. Die genaue Zahl der Todesopfer in Konzentra­tionslagern ist nicht bezifferbar. Schätzungen des United States Holocaust Memorial Mu­seum zufolge sind allein im Vernichtungslager Auschwitz mehr als eine Million Menschen ermordet worden. Die meisten von ihnen waren Jüdinnen und Juden. Etwa sechs Millionen wurden während der Zeit des Nationalsozialismus ermordet.

Zu den Opfern des nationalsozialistischen Terror-Regimes gehören auch Sintizze und Sinti, Romnja und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, Kriegsgefangene, politische Gegnerinnen und Gegner, Zeugen Jehovas sowie Vorbestrafte und als „Asozi­ale“ diffamierte Menschen.

Die unendliche Grausamkeit der nationalsozialistischen Ideologie manifestiert sich in sei­nen Opfern und dem unermesslichen Leid der Überlebenden und Angehörigen. Die Hin­terbliebenen der Opfer und auch die nachfolgenden Generationen leiden auch fast 80 Jahre nach Ende des Nationalsozialismus noch unter diesen Verbrechen.

Das Erinnern an die Shoah ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung und Pflicht, damit sich dieses Menschheitsverbrechen nie wiederholen kann. Die Lehre aus den Verbrechen des Nationalsozialismus muss das unverrückbare Einstehen für Demokratie, Menschenrechte und Frieden sein. Jeder Mensch muss frei von Angst und Diskriminierung leben können. Das solidarische Miteinander in einer vielfältigen demokratischen Gesell­schaft und das Eintreten gegen Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und jede Form von Menschenfeindlichkeit ist die Leitlinie unseres Handelns als Demokratinnen und Demo­kraten.

Antisemitismus ist in unserer Gesellschaft verbreitet. Er äußert sich in unterschiedlichen For­men. Zusätzlich zum völkisch-rassistischen Antisemitismus sind der sekundäre Antisemitis­mus sowie der israelbezogene Antisemitismus verbreitet.

Nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sehen sich Jüdinnen und Juden An­feindungen und Angriffen gegenüber. Jedoch wurde im Zeitraum unmittelbar nach dem An­griff auf Israel ein siebenfacher Anstieg der antisemitischen Vorfälle festgestellt, wie aus dem zweiten Lagebericht von RIAS NRW hervorgeht. 92 Prozent der Vorfälle haben einen Bezug zum Überfall der Hamas. Bereits zuvor stellte der vierte Bericht der Antisemitismusbeauf-tragten des Landes Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2022 fest, dass sich Antisemitismus immer häufiger gewalttätig manifestiert.

Der Schutz jüdischen Lebens hat aufgrund unserer historischen Verantwortung einen be­sonderen Stellenwert. Er ist nicht nur Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sondern der gesam­ten Gesellschaft. Antisemitische Äußerungen dürfen nie unwidersprochen bleiben. Alle De­mokratinnen und Demokraten sind aufgefordert, menschenverachtenden Äußerungen und versuchten Diskursverschiebungen entgegenzustehen. Klar ist: Antisemitismus hat in Deutschland nichts verloren. Das Existenzrecht des Staates Israels ist deutsche Staatsräson und nicht verhandelbar.

Der 27. Januar ist die dringende Mahnung, das Versprechen „Nie wieder!“ ernst zu nehmen. Die rechtsterroristischen Anschläge und Anschlagsplanungen der letzten Jahre, wie auch die jüngsten Ereignisse infolge des antisemitischen Massakers der Hamas, zeigen deutlich, dass dieses Versprechen niemals zur Floskel verkommen darf, sondern jeden Tag aufs Neue gefordert ist. Hass und Menschenverachtung muss entschieden widersprochen wer­den. Unsere Gesellschaft ist heute von einer hohen Diversität geprägt. Menschen unter­schiedlichster Religionszugehörigkeit und Weltanschauung, sexueller und geschlechtlicher Identität, Herkunft und Hautfarbe leben friedlich zusammen. Sie alle verdienen Respekt und Anerkennung als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.

Die im Grundgesetz verankerten Menschenrechte zu verwirklichen bedeutet, sich gegen An­tisemitismus, Antiziganismus, Rassismus, Islamfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit, Ableismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu stellen.

II. Beschlussfassung
Der Landtag stellt fest:

  1. Die Erinnerung an die Shoah gehört zum gesellschaftlichen Grundkonsens unseres demokratischen Rechtsstaats.
  2. Der Landtag verurteilt die Verbrechen des Nationalsozialismus.
  3. Die historische Verantwortung für den Schutz und die Förderung jüdischen Lebens und des Lebens von Sinti und Roma in Nordrhein-Westfalen ist eine Leitlinie für das Wirken und Handeln des Landtags von Nordrhein-Westfalen.
  4. Die Stärkung demokratischer Grundwerte bleibt eine Daueraufgabe für alle demokrati­schen Institutionen.

Der Landtag beauftragt die Landesregierung,

  1. die Erinnerung an die Shoah und die weiteren Verbrechen der NS-Zeit wach zu halten und die Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus voranzutreiben. Dazu gehört die Unterstützung und Weiterentwicklung der Arbeit der Gedenkstätten, Erinne­rungsorte, Museen und weiterer zivilgesellschaftlicher Akteure, insbesondere vor dem Hintergrund der sinkenden Zahl von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen.
  2. Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung jüdischen Lebens in Nordrhein-Westfa­len fortzuführen und verstärken.
  3. die Arbeit der Antisemitismusbeauftragten weiter zu unterstützen und zu stärken.
  4. die Auseinandersetzung mit allen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeind­lichkeit voranzutreiben und geeignete Maßnahmen gegen Diskriminierung umzuset­zen und dabei zivilgesellschaftliche Gruppen einzubeziehen.
  5. die politische Bildung in Nordrhein-Westfalen weiter zu stärken und dabei den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus beizubehal­ten.
  6. die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der eigenen Geschichte der Behörden des Landes Nordrhein-Westfalen, insbesondere in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, öffentlicher Verwaltung und im Bildungsbereich weiter voranzutreiben und dabei auch Zusammenhänge mit aktuel­len gesellschaftlichen Entwicklungen einzubeziehen.