Modellversuch kontrollierte Cannabis-Abgabe: Schwarzmarkt bekämpfen, Jugendschutz und Prävention stärken

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Mehrdad Mostofizadeh

I.       Ausgangssituation: Schwarzmarkt
Cannabis ist die am häufigsten konsumierte illegale Droge in allen Altersgruppen. Laut Drogen-  und  Suchtbericht  2019  haben   31,9   Prozent   der   Erwachsenen   im   Alter   von 18 – 59 Jahren schon einmal Cannabis konsumiert. Unter  den  jungen  Erwachsenen (18 – 25 Jahre) war das mit 40,5 Prozent besonders häufig der Fall. Der Anteil der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren, die schon einmal Cannabis konsumiert haben, stieg in den letzten Jahren von 6,7 Prozent (2011) auf 9,6 Prozent (2018). Der Anteil jener Jugendlichen, die in den letzten 30 Tagen Cannabis konsumiert haben, liegt bei 3,1 Prozent. Gleichbleibend regelmäßig konsumieren 1,2 Prozent dieser Altersgruppe. Gerade bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann ein regelmäßiger und häufiger sowie ein hochdosierter Cannabiskonsum gesundheitsschädlich sein. Er kann zu abfallender Hirnleistung (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Problemlösefähigkeit und Denkleistung) führen. Anders als bei Opiaten und Alkohol führt eine Überdosis jedoch nicht zum Tod.
Gesundheitliche Risiken durch Cannabiserwerb auf dem Schwarzmarkt
Die Zahlen zeigen, dass die Prohibition das Ziel, Jugendliche vor dem Konsum von Cannabis zu schützen, nicht erreicht. Gleichzeitig werden Erwachsene, die in der überwältigenden Mehrheit maßvoll konsumieren, durch die Verbotspolitik kriminalisiert. Besonders fatal ist, dass das Verbot und die damit einhergehende Beschaffung von Cannabis auf dem Schwarzmarkt die Gesundheit der Konsumentinnen und Konsumenten zusätzlich gefährdet, da Cannabismittel oft durch die Beimischung von Glas, Blei oder andere Substanzen verunreinigt sind und die Höhe des Wirkstoffgehalts unbekannt ist. Außerdem wird Cannabis auf illegalen Märkten auch an Kinder und Jugendliche verkauft.
Das Verbot von Cannabis wird deshalb sowohl von Sucht- als auch von Rechtsexpertinnen und -experten seit Jahren kritisch gesehen, weshalb die Fraktionen von GRÜNEN, Linken und FDP jeweils Vorschläge zur kontrollierten Abgabe in den Bundestag eingebracht haben. In der Anhörung am 27.06.2018 haben die geladenen Sachverständigen insbesondere die negativen Folgen des Schwarzmarktes (fehlender Jugendschutz und Gesundheitsgefährdung) betont.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), äußerte sich in der Presse mit der Forderung, ideologische Debatten zu beenden und die Frage in den Mittelpunkt zu stellen, welcher Weg die Gesundheit insbesondere von Jugendlichen am besten schütze. Daraufhin wurde offenbar auch in der CDU die bestehende Verbotspolitik hinterfragt (siehe
z.B. ZEIT-Online vom 25.10.2019 „Union diskutiert über kontrollierte Cannabis-Freigabe“).
Strafrecht als ungeeignetes Mittel zur Eindämmung des Cannabis-Konsums
Bereits 2013 hatten 122 Strafrechtsprofessorinnen und -professoren des Schildower Kreises in einer Resolution zur „Notwendigkeit der Überprüfung der Wirksamkeit des Betäubungsmittelgesetzes“ eine offene Diskussion über die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums gefordert, da die bisherige Drogenprohibition gescheitert, sozial schädlich und unökonomisch sei. In einer Anhörung im Bundestag am 27.06.2018 (Protokoll Nr. 19/18) erläuterte der Initiator dieser Resolution, Professor Böllinger, dass aus straf- und verfassungsrechtlicher Sicht das Verbot des Besitzes und Konsums von Cannabis gar nicht bestehen dürfe. Die Bürgerinnen und Bürger müssten das Recht haben, selbst zu entscheiden, ob ihnen der Konsum schadet oder nicht. Mit der aktuellen Gesetzeslage schade allerdings der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern, da der Schwarzmarkt und seine negativen Begleiterscheinungen durch die Kriminalisierung erst erzeugt werden.
Ein Verbot hält weder Jugendliche noch Erwachsene wirksam vom Konsum ab, wie die Zahlen in Deutschland zeigen. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht sieht in ihrem Bericht „Cannabis legislation in Europe“ von 2018 keinen klaren Zusammenhang zwischen Änderungen in der Cannabis-Gesetzgebung europäischer Länder und der Häufigkeit des tatsächlichen Konsums in der jeweiligen Bevölkerung.
Laut Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2017 nahmen die Verdachtsfälle konsumnaher Cannabis-Delikte – also Besitz, Erwerb und Abgabe geringfügiger Mengen sowie ähnliche Delikte  –   in  den  Jahren   von   2008  bis   2017  kontinuierlich   zu.  Im  Jahr 2017  wurden
166.236 Verdachtsfälle solcher Delikte festgestellt. Gegenüber 2016 bedeutet dies einen Anstieg um 14 Prozent. Da es sich bei den Straftatbeständen nach dem Betäubungsmittelgesetz um Kontrolldelikte handelt, ist die Zunahme auf vermehrte Tätigkeit der Polizei zurückzuführen. Denn Anzeigen in diesem Bereich gibt es so gut wie keine. Auf der anderen Seite stiegen die Verdachtsfälle von Cannabis-Handelsdelikten von 2016 auf 2017 nur um 2,1 Prozent auf 32.546 Fälle im Jahr 2017. Damit waren die Konsumentinnen und Konsumenten von der Tätigkeit der Polizei deutlich stärker betroffen als Cannabis- Händlerinnen und -Händler. So verwies der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) im Jahr 2018 in der medialen Debatte um den Gesetzentwurf der GRÜNEN-Bundestagsfraktion zum Cannabiskontrollgesetz  noch   einmal  auf   seine  Stellungnahme   von   2014   zum Antrag „Beabsichtigte und unbeabsichtigte Auswirkungen des Betäubungsmittelrechts überprüfen“, Ausschussdrucksache 18(14)0067(6), in der es heißt, dass durch die Bearbeitung der hohen Zahl von Konsumentendelikten „Ermittlungsressourcen für die Bekämpfung des Handels mit und des Anbaus von BtM unnötig gebunden werden“.
Der personelle Aufwand und damit die Kosten für die Strafverfolgung von Cannabiskonsumdelikten betreffen nicht nur die Polizei, sondern auch Staatsanwaltschaften und Gerichte. Bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis fiele die Strafverfolgung von Konsumentinnen und Konsumenten legal erworbener Cannabismittel weg, so dass die frei werdenden Kapazitäten effizienter für den Kampf gegen den illegalen Handel mit Cannabis eingesetzt werden könnten. Dies bekräftigte die „Neue Richtervereinigung“ in ihrer schriftlichen Stellungnahme für eine Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestags am 16.03.2016 (Ausschussdrucksache 18(14)0162(16)).
Erste Daten aus Kleinen Anfragen aus Baden-Württemberg (Drucksache 16/6094), Bremen (Drucksache 19/2023) und Niedersachsen (Drucksache 18/3217) zeigen, dass die Kosten für die Strafverfolgung illegaler Drogen um ein Vielfaches höher liegen als die Ausgaben für Präventions- und Aufklärungsprogramme gegen illegale und legale Drogen. Aus gesundheitspolitischer Sicht ist dies ein deutliches Missverhältnis, das die Präventionsarbeit erheblich schwächt.
In Deutschland ist der Widerspruch im staatlichen Handeln hinsichtlich der Gesundheitsgefährdung legaler Drogen wie Tabak und vor allem Alkohol im Vergleich zu Cannabis so auffällig, dass jede glaubwürdige Suchtprävention scheitern muss. Deshalb wird die derzeitige rechtliche Lage von vielen Expertinnen und Experten als unverhältnismäßig und als eine verfassungswidrige Kriminalisierung freier (erwachsener) Bürgerinnen und Bürger bewertet, die lediglich sich selbst, nicht aber andere schädigen. Außerdem verhindert das Verbot eine zielgruppenspezifische Aufklärung und Prävention.

II.      Prävention und Jugendschutz stärken

Die gesundheitlichen Gefahren von Cannabis und anderen Drogen – ob legal oder illegal – dürfen nicht gering geschätzt oder verharmlost werden. Deshalb ist es wichtig, die mit dem Konsum dieser Substanzen verbundenen Risiken so gering wie möglich zu halten.
Da diese Gefahren für Kinder und Jugendliche besonders folgenreich sind, weil sich ihr Gehirn noch in der Entwicklung befindet und für Störungen besonders anfällig ist, muss der Zugang zu Drogen und Suchtmitteln für Minderjährige verboten sein. Bei einer kontrollierten Abgabe muss dieses Verbot durch bestimmte Maßnahmen, z.B. ein Werbeverbot, einen Mindestabstand der Verkaufsstellen zu Schulen und Jugendeinrichtungen und der Zugangskontrollen mit Altersnachweis durchgesetzt werden.
Auch die Suchtprävention bei Kindern und Jugendlichen soll ausgebaut werden. Hier sieht der
„Aktionsplan gegen Sucht Nordrhein-Westfalen“ Verbesserungsbedarf besonders im sektorenübergreifenden Zusammenwirken des gesundheitlichen und psychosozialen Hilfesystems mit der Kinder- und Jugendhilfe sowie dem schulischen und außerschulischen Bereich.
Erwachsene müssen ebenfalls umfassend über die Risiken des Konsums aufgeklärt und als Konsumentinnen und Konsumenten mit wichtigen Verbraucherinformationen versorgt werden, um verantwortungsvoll mit Cannabis umgehen zu können. Teil der Information und Aufklärung muss bei der kontrollierten Abgabe von Cannabis über Angaben zu den Inhaltsstoffen, die Konzentration der Wirkstoffe, informative Beipackzettel, Warnhinweise und Qualitätsstandards erfolgen.
Für Süchtige ist es wichtig, ohne Stigmatisierung Hilfe suchen und notwendige Behandlungen erhalten zu können. Konzepte und Lösungsansätze müssen den komplexen Ursachen und Entwicklungen der individuellen Abhängigkeitsgeschichte Rechnung tragen und Kompetenzen im verantwortungsvollen Umgang mit dem Suchtmittel vermitteln. Ein Cannabisverbot ist kontraproduktiv und kann umgehende medizinische Hilfe bei Überdosierungen oder Vergiftungen verhindern.

III.    Modellversuch

Über Modellversuche besteht die Möglichkeit, wissenschaftlich zu überprüfen, ob eine kontrollierte Abgabe von Cannabis – unter Einhaltung des Jugend- und Verbraucherschutzes – einen risikoärmeren Konsum fördert und negative Effekte des Verbotes verringert oder  gar beseitigt werden können. Die kontrollierte Abgabe muss in ein Gesamtkonzept zur Sicherstellung eines umfassenden Jugend- und Verbraucherschutzes sowie zur Suchtprävention eingebettet sein und wissenschaftlich begleitet und evaluiert werden.
In Bremen und Berlin gibt es Intentionen, entsprechende Modellprojekte durchzuführen. Auch einige Kommunen in Nordrhein-Westfalen sprechen sich für die Durchführung von Modellprojekten aus. Bisherige Anträge dafür wurden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) jedoch abgelehnt. Wissenschaftlich begleitete Modellprojekte sind aber auch dann sinnvoll, wenn sie über einen rein medizinischen Zweck hinausgehen, denn alle Erkenntnisse, die zum Beispiel zu den gesellschaftlichen Folgen einer Freigabe entstehen, können zu einem gesundheitlichen Mehrwehrt beitragen.

IV.    Feststellungen

Der Landtag stellt fest:
1.      Ziel der Drogen- und Suchtpolitik in NRW ist es, den Willen zu einem Leben ohne Suchtmittel zu stärken. Die Menschen, die dennoch Drogen gebrauchen, sollen zu einem verantwortlichen Umgang mit Drogen befähigt werden.
2.      Eine erfolgreiche Sucht- und Drogenpolitik erfordert differenzierte und aufeinander abgestimmte Ansätze der Verhaltens- und Verhältnisprävention, wobei der strikten Beachtung des Jugend- und Verbraucherschutzes eine besondere Bedeutung zukommt. Die Bedingungen und der Verlauf, unter denen sich die Suchtproblematik für die betroffene Person vollzieht, sind sehr unterschiedlich. Deshalb sind differenzierte und zielgruppenspezifische Präventions- und Hilfemaßnahmen notwendig, die auch kontinuierlich weiterentwickelt werden müssen.
3.      Dem Schutz von Minderjährigen muss stärker Rechnung getragen werden als bisher. Die Prohibitionspolitik hat sich als ungeeignet erwiesen.
4.      Vor dem Hintergrund des ambivalenten Umgangs mit Suchtmitteln in unserer Gesellschaft ist es geboten, ein Modellprojekt durchzuführen, mit dem überprüft wird, ob mit einer kontrollierten Abgabe von Cannabis unter Einhaltung des Jugend- und Verbraucherschutzes ein risikoärmerer Konsum gefördert werden kann.

V.     Forderungen

Die Landesregierung wird aufgefordert,

1.      sich für die Durchführung eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojektes zu einer kontrollierten Abgabe von Cannabis unter gesundheitlichen und sozialen Aspekten bei Einhaltung des Jugendschutzes und des Verbraucherschutzes in Kooperation mit interessierten Kommunen einzusetzen;
2.      auf Bundesebene – zum Beispiel durch eine Bundesratsinitiative – eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen zum Umgang mit Cannabis anzustoßen und so zunächst Modellversuche und bei positiven Ergebnissen die kontrollierte Abgabe zu ermöglichen;
3.      eine Fachkonferenz zur verantwortungsvollen Regulierung von Cannabis unter Beteiligung aller relevanten Akteurinnen und Akteure wie den Trägern der Drogen- und Suchthilfe, Expertinnen und Experten zum Thema Drogen und Sucht, Polizei und Ordnungsbehörden zu initiieren.