„Schwarz-Gelb bietet nur buntes Allerlei halbgarer Schlagwörter“

Drei Fragen an Berivan Aymaz zur schwarz-gelben Integrationspolitik

Portrait Berivan Aymaz 2021
Bleibt NRW Vorreiter im wichtigen Feld der Integration? In dieser Woche hat der neue FDP-Integrationsminister seine Schwerpunkte für die kommenden Jahre vorgestellt. Welche konkreten Rückschritte Schwarz-Gelb schon angekündigt und umgesetzt hat, erklärt die integrationspolitische Sprecherin der Fraktion, Berivan Aymaz, im Drei-Fragen-Interview.

1. Liebe Berivan, die Landesregierung hat in dieser Woche im Integrationsausschuss ihre Schwerpunkte vorgestellt. Wie bewertest Du die Ankündigungen von Minister Stamp?
Berivan Aymaz: In der Presse hat sich Minister Stamp seit seiner Amtsübernahme zunächst als Abschiebeminister präsentiert. Im Ausschuss wiederum hat er sich zum Integrationskonsens bekannt und seinen Schwerpunkt auf Integrationschancen gelegt. Allerdings liefern die Ankündigungen von Minister Stamp keine neuen integrationspolitischen Erkenntnisse, sie sind vielmehr ein buntes Allerlei von halbgaren Schlagwörtern.
In den vorgestellten Schwerpunkten finden sich aus Grüner Sicht unterstützenswerte Ansätze, wie zum Beispiel Planungen für ein Einwanderungsgesetz, für verbessertes Bleiberecht oder Erleichterungen bei der Niederlassung und Einbürgerung. Allerdings braucht der Minister dafür eine Mehrheit im Bundesrat, da sie nicht auf Landesebene geregelt werden können. In den Themenfeldern, in denen die Landesregierung dagegen konkrete Maßnahmen einleiten könnte, legt Minister Stamp keine Konzepte vor. So bleibt weiterhin offen, wie Minister Stamp zum Beispiel gegen das Problem der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt vorgehen will, nachdem die schwarz-gelbe Landesregierung als einen der ersten Schritte das anonymisierte Bewerbungsverfahren ersatzlos streichen will.
In dem neu zugeschnittenen Ressort fallen sowohl die Integrationspolitik als auch asyl- und ausländerrechtliche Fragen in die Zuständigkeit von Minister Stamp. Es bleibt aber weiterhin unklar, wie er sicherstellen will, dass seine Interessen und die der Akteur*innen der Integrationspolitik in der zuständigen Innenministerkonferenz vertreten werden, wenn er dort nicht mit am Verhandlungstisch sitzt.

2. Schon direkt nach der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages hat eine Ankündigung von Schwarz-Gelb für massive Kritik gesorgt: Sie wollen Kommunen nicht länger verpflichten, Integrationsräte einzurichten. Welche Rückschritte drohen dadurch?
Berivan Aymaz: Die Entscheidung zeigt: Für die wichtige Frage, wie politische Partizipation von Menschen mit Migrationshintergrund gelingen kann, bietet Schwarz-Gelb keine Antworten! Solange es kein kommunales Wahlrecht für Nicht-EU-Bürger*innen gibt – und genau dieses Recht hat Minister Stamp in seiner Erklärung in dieser Woche offensiv abgelehnt – brauchen wir andere Formen der politischen Teilhabe. Das sind die Integrationsräte. Sie sind kein Ersatz für das Kommunalwahlrecht, das wir GRÜNE seit Jahren fordern, aber derzeit die einzige Möglichkeit für viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit politisch vertreten zu sein.
Es war unser Erfolg, dass die rot-grüne Landesregierung das "Gesetz zur Weiterentwicklung der politischen Partizipation in den Gemeinden" verabschiedet hat. So wurde im Sinne einer Vereinheitlichung und einer erhöhten Akzeptanz der Integrationsrat als einziges Modell festgelegt und die Partizipation von Menschen ohne deutschen Pass in ganz NRW sichergestellt. Das will Schwarz-Gelb nun rückgängig machen.
Im Integrationsrat sind – im Gegensatz zu einem Integrationsausschuss – die gewählten Migrantenvertreter*innen in der Mehrheit. Im Ausschuss fühlten diese sich oft "an den Rand gedrängt". Die Mehrheitsverhältnisse sind also wichtig für ein Gremium, das eine gleichberechtigte Partizipation gewährleisten und größtmögliche Akzeptanz der Migrantenvertreter*innen haben soll.

3. Alle Expert*innen sind sich einig, dass die Integration so früh wie möglich beginnen muss. Sorgen CDU und FDP dafür?
Berivan Aymaz: Leider nein. In der Flüchtlingspolitik setzt Schwarz-Gelb bisher auf populistische Ankündigungen. Dadurch, dass CDU und FDP die Aufenthalt von Flüchtlingen in zentralen Landeseinrichtungen während der gesamten Dauer des Asylverfahrens vorschreiben wollen, verhindern sie eine frühzeitige Integration. Denn die Verfahren dauern derzeit durchschnittlich elf Monate. Das bedeutet, dass für ein Großteil der Geflüchteten der Zugang zu ehrenamtlicher Unterstützung, zu Integrationsmaßnahmen und zum Gesundheitssystem schwieriger wird. Auch ist hierbei die Frage der Beschulung von Kindern ungeklärt.
Das ist vertane Zeit in Sachen Integration, zumal viele Beispiele aus Asylverfahren immer wieder zeigen, dass die pauschale Unterscheidung zwischen Asylsuchenden mit "guter" und "schlechter" Bleibeperspektive nicht haltbar ist.
Auch die geplante Umstellung auf Sachleistungen statt des sogenannten "Taschengeldes" für Asylsuchende in den Landeseinrichtungen ist der Integration hinderlich. Selbstbestimmt das im Alltag Notwendige zu kaufen und für die eigene Versorgung verantwortlich zu sein, ist eine Grundvoraussetzung für gelingende Integration.