Wiederaufbau gestalten – den Hochwasserschutz für morgen sicherstellen!

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Norwich Rüße

I. Klimawandel ist Gegenwart und Zukunft

Die Klimakrise ist längst in Nordrhein-Westfalen angekommen. Hitzewellen, Wasserknappheit, Starkregen, Hochwasser und Waldbrände stellen Kreise, Städte und Gemeinden jetzt und in Zukunft vor immer neue Herausforderungen. Die Auswirkungen eines solchen Ereignisses können dramatisch sein. Das haben zuletzt die Überschwemmungen im Juli 2021 in Nord­rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und angrenzenden europäischen Ländern deutlich gezeigt: Allein 49 Tote in NRW, zahlreiche zerstörte Dörfer, unbewohnbare Häuser, Schäden an Stra­ßen und Schienenwegen, Ernteausfälle sowie unzählige Folgeschäden für die Natur und Um­welt. Aktuell gehen Schätzungen davon aus, dass allein der Wiederaufbau der zerstörten Ver­kehrswege etwa zwei Milliarden Euro kostet.1 Der Gesamtverband der Deutschen Versiche­rungswirtschaft schätzt für versicherte Schäden eine deutschlandweite Schadenshöhe von 4,5 bis 5,5 Milliarden Euro, wovon etwa ein Drittel auf Nordrhein-Westfalen entfällt.2 Am 9. August bezifferte die Landesregierung das Ausmaß an Gesamtschäden auf voraussichtlich mehr als 13 Milliarden Euro.3 Hinzu kommen noch das immense, nicht bezifferbare Ausmaß an Um­weltschäden und die immateriellen Schäden für die Menschen, durch erlebtes Leid und den Verlust von Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Gegenstände von persönlichem Wert und Heimat.

Im letzten Jahrzehnt gab es immer wieder starke Unwetter mit schweren Folgen in ver­schiedensten Regionen unseres Bundeslandes: Münster (2014), Wachtberg und Bonn-Bad Godesberg (2010, 2013, 2016), Düsseldorf (2016), Wuppertal (2018) sowie nun zuletzt im Juli 2021 vor allem im Bergischen Land und der Eifel. Besonders schwer getroffen wurden der Kreis Euskirchen, der Rhein-Erft-Kreis, der Rhein-Sieg-Kreis sowie die Stadt Hagen. Solche Extremwetterereignisse sind – genau wie die Trockenheit in den Vorjahren – eine Folge jähr­lich langanhaltender gleichbleibender Witterungsverhältnisse, die mit großer Wahrscheinlich­keit durch die Abschwächung des Jetstreams hervorgerufen werden. Aufgrund der bereits un-umkehrbar eingetretenen klimatischen Veränderungen werden diese Wetterereignisse zuneh­men, eine weitere Erderwärmung wird sie noch zusätzlich verstärken. Und der neueste Bericht  des IPCC verdeutlicht: Bereits 2030, zehn Jahre früher als bislang prognostiziert, droht eine Erderwärmung um 1,5 Grad Celsius.4

Eine im Auftrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Landtag NRW erstellte Studie zeigt, wie NRW auf den 1,5-Grad-Pfad kommen kann und dass NRW bis 2040 klimaneutral werden kann.5 Jedoch werden sich selbst bei solchen im Vergleich zu aktuellen Maßnahmen deutlich erhöhten Anstrengungen zur Eindämmung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius die Aus­wirkungen des Klimawandels noch weiter verstärken. Daraus folgt: Sowohl ein konsequenter Klimaschutz als auch Klimafolgenanpassung sind dringend notwendig. Das klimapolitische Verzögern, Taktieren und Nichthandeln seit über 30 Jahren macht eine Anpassung an sich verändernde Klimabedingungen unumgänglich.

Die Kommunen haben in diesem Anpassungsprozess eine Schlüsselrolle und brauchen fach­liche und finanzielle Unterstützung: Vor Ort müssen sie die Anstrengungen zur Eindämmung der globalen Erwärmung verstärken, gleichzeitig müssen sie sich auf die Veränderungen ein­stellen. Hier erhalten im Konflikt widerstreitender Interessen und vielfach schwieriger Haus­haltslagen Klimaschutz und Klimaanpassung noch zu oft nicht die notwendige Priorität. Dabei führen die jüngsten Ereignisse vor Augen, dass massive Investitionen in die Prävention gut angelegtes Geld sind – auch wenn sie Naturkatastrophen nur abmildern und nie ganz verhin­dern können.

II. Klima- und Hochwasserschutz sind Daueraufgaben für Jahrzehnte

In der Zeit von 2010 bis 2017 hat die rot-grüne Landesregierung verschiedene Maßnahmen ergriffen, um Nordrhein-Westfalen besser gegen Extremwetterereignisse zu wappnen. Bau-und Umweltministerium erarbeiteten gemeinsam ein Handlungskonzept Starkregen. In das Landeswassergesetz (LWG) wurden zentrale Elemente des Hochwasserschutzes gemäß der europäischen Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie (HWRM-RL) aufgenommen. Ebenso wurde erstmals die Erstellung von Hochwassergefahren- und -risikokarten sowie von Hochwasserrisikomanagementplänen umgesetzt. Es wurde mehr Personal im Hochwasserschutz eingesetzt und die Klimaanpassung in das Klimaschutzgesetz und den Klimaschutzplan auf­genommen.

Die schwarz-gelbe Landesregierung jedoch hat in der aktuellen Legislatur wertvolle Zeit ver­schwendet. Statt die begonnenen Anstrengungen auszubauen und zu intensivieren, hat sie viele Punkte wie die Fortschritte im Landeswassergesetz oder die Flächenbegrenzung im Lan-desentwicklungsplan – ihrem Credo der Deregulierung und sogenannten Entfesselungspolitik folgend – wieder rückabgewickelt. Jahrelang haben CDU/FDP Hochwasserschutz nahezu ausschließlich als Erhöhung und Sicherung von Deichmaßnahmen verstanden – und nicht als ganzheitlichen Hochwasserschutz auch in der Fläche. Die Planung und der Bau von Hoch-wasserrückhalteräumen und Deichrückverlegungsmaßnahmen am Niederrhein, die einen wichtigen Beitrag zu überregionalen und internationalen Hochwasserschutz darstellen, ist un­ter schwarz-gelb ins Stocken geraten. 2018 wurde die Überarbeitung des Starkregen-Konzep­tes angekündigt, diese ist jedoch bis heute nicht erfolgt. Zudem werden die sogenannten ver­tieften Prüfungen von Stauanlagen an vielen Talsperren in NRW nicht fristgerecht umgesetzt.6 Insgesamt gehört das Talsperrenmanagement daher dringend auf den Prüfstand. Den großen Ankündigungen im schwarz-gelben Koalitionsvertrag von 2017, z. B. den Hochwasserschutz gerade auch an kleinen Gewässern zu verbessern, sind keine Taten gefolgt.

Die Versäumnisse der vergangenen Jahre sind umso dramatischer, da Klimaschutz, Klimaan­passung und präventiver Hochwasserschutz Daueraufgaben für die nächsten Jahrzehnte sind. Es ist klar, dass solche immensen Schäden durch Starkregen- und Hochwasserereignisse wie zuletzt im Juli 2021 auch z. B. durch technische Schutzmaßnahmen nie vollständig verhindert werden können. Doch wie schnell in Hochwasservorsorge investiert wird und Maßnahmen umgesetzt werden, wird ausschlaggebend dafür sein, welche Schäden in welchem Ausmaß in Zukunft entstehen bzw. verhindert werden. Nicht bei allen Orten, die so stark getroffen wurden, haben die gleichen Ursachen eine Rolle gespielt. Es bedarf eines Zusammenspiels von Kli­maschutz und -anpassung, Hochwasserschutz, nachhaltiger Flächennutzung und Katastro­phenschutz – und eines Umdenkens: Es wäre ein großer Fehler, nach der Flut alles einfach wieder aufzubauen und weiterzumachen wie zuvor. Wir müssen unsere Städte widerstands­fähiger machen!

Der Wiederaufbau sollte sich auf die Zukunft ausrichten, die Erkenntnisse des Sommers 2021 und der letzten Jahre weisen uns dabei den Weg. Statt immer mehr Ausnahmegenehmigun­gen in Risiko- oder Überschwemmungsgebieten zu erteilen, sollte wieder das Gleichgewicht von bebautem und unbebautem Raum fokussiert werden. Die Einschränkung des Flächenver­brauchs, ein konsequenter Regenrückhalt in Hochwasserentstehungsgebieten, eine nachhal­tige Waldbewirtschaftung, die Renaturierung, eine wassersensible Planung und technische Maßnahmen wie Notwasserwege, Überstaubereiche, Entlastungskanäle, flutfähige Brücken, hochwasserangepasste Gebäude und ein an den Klimawandel angepasstes Talsperrenmanagement sind wichtige Instrumente, um künftige Extremwetterereignisse abzumildern oder zu verhindern. Kommunen und Privatleute benötigen dabei fachliche und finanzielle Un­terstützung durch das Land. Beim Hochwasserschutz für morgen muss die Landesregierung insgesamt mehr Verantwortung übernehmen und darf Kreise und Kommunen nicht länger al­leine lassen.

III.        Der Landtag stellt fest

  1. Aktuell sind die Menschen damit beschäftigt, die unmittelbaren Folgen der Hochwas­serkatastrophe zu verarbeiten. Dafür brauchen sie Zeit und verdienen Unterstützung.
  2. Den Einsatzkräften von Feuerwehren, anerkannten Hilfsorganisationen, Technischem Hilfswerk, Polizei, Rettungsdiensten und Bundeswehr gilt unser Dank für ihren Einsatz in den betroffenen Gebieten.
  3. Die Solidarität mit den betroffenen Regionen zeigt sich in einem enormen Einsatz von spontanen Helferinnen und Helfern (z. B. aus der Bevölkerung, Landwirtschaft, Hand­werk und Baubranche), die teilweise mit eigenem Gerät vor Ort unterstützen, die Schä­den zu beseitigen.
  4. Um die Schäden durch Extremwettereignisse zukünftig abzumildern und bestenfalls zu verhindern, bedarf es der koordinierten Zusammenarbeit vieler Akteurinnen und Ak­teure.
  5. Für die Weiterentwicklung insbesondere der betroffenen Regionen muss es endlich ein Umdenken bei der Flächennutzung geben. Denn die jüngsten Ereignisse haben erneut bewiesen: Die Natur nimmt sich ihren Raum. Bebauungen von Hochwasserflä­chen und weitere Flächenversiegelungen stehen dem jedoch entgegen.
  6. Hochwasser infolge von Stark- und Dauerregen kann überall auftreten, nicht nur ent­lang der großen Flüsse. Deshalb müssen die Einzugsbereiche kleiner Nebengewässer zukünftig in der Risikobetrachtung stärker berücksichtigt werden.
  7. Das jüngste Hochwasser vom Juli 2021 ging über die in den Hochwassergefahrenkarten ausgewiesenen Extrembereiche zum Teil deutlich hinaus. Die in Hochwassergefahrenkarten ausgewiesenen Flächen für „HQextrem“7 müssen überprüft werden.
  8. Nachhaltigkeit und Resilienz sind zwingend Ziele moderner Stadtentwicklung im Zuge des Klimawandels. Dies gilt auch und insbesondere beim Wiederaufbau der jetzt be­troffenen Regionen.
  9. Der Wiederaufbau im Rheinischen Revier sollte eng verzahnt werden mit den An­strengungen zum Strukturwandel. Ein Nebeneinander von unterschiedlichen Projek­ten und Förderungen, ohne dass diese sich ergänzen, ist nicht sinnvoll.
  10. Neben dem wichtigen ökologischen und planerischen Hochwasserschutz wird es ab­sehbar weiteren Bedarf für technische Hochwasserschutzmaßnahmen geben, um Schäden in Zukunft zu begrenzen.
  11. Zunehmende Starkregenereignisse wie in Wuppertal im Sommer 2018 oder in großen Teilen von Nordrhein-Westfalen in diesem Sommer zeigen: Talsperren müssen ganz­jährig auch dem Hochwasserschutz dienen.
  12. Kommunen, Privatpersonen sowie Unternehmen müssen sich mit den Gefahren des Klimawandels auseinandersetzen und die Erkenntnisse in ihren Planungen berück­sichtigen. Die öffentliche Hand sollte hierzu Unterstützung anbieten.

Die Landesregierung wird aufgefordert:

IV. a Den Wiederaufbau vorsorgend zu gestalten:

  1. Die Rahmenbedingungen sind für eine konsequente hochwasserangepasste Sied­lungsplanung neu zu setzen. Dazu gehört auch, Ausnahmeregelungen zur Auswei­sung von neuem Bauland in hochwassergefährdeten Gebieten und zur Erteilung von Baugenehmigungen zu streichen. § 73 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) des Bundes muss auf seinen Kern, Hochwasserrisikogebiete von Bebauung freizuhalten, zurück­geführt werden. Die in Nordrhein-Westfalen voraussichtlich wenigen notwendigen Er­satzbauten für völlig zerstörte Häuser, die im „HQ 100”-Bereich liegen, sollen nur in wenigen und gut begründeten Ausnahmefällen gestattet werden. Dabei sind für die raumordnerische Abwägung die Hochwassergefahrenstufe und die Betroffenheit der Schutzgüter zu berücksichtigen.
  2. Eigentümerinnen und Eigentümern von nicht sanierbaren Gebäuden, die im Hochwasserrisikogebiet standen, soll die größtmögliche Unterstützung gewährt werden, um schnellstmöglich an anderer Stelle in räumlicher Nähe wiederaufzubauen. Dafür müs­sen ggf. die baurechtlichen und raumordnerischen Rahmenbedingungen so angepasst bzw. ausgelegt werden, dass den Hochwassergeschädigten zügig ein Alternativange­bot gemacht werden kann. Dazu gehört auch, dass die Regionalplanungsbehörden sehr kurzfristig entsprechende Baureserveflächen darstellen, vorrangig aus dem Sied­lungsbestand. Soweit es sich nicht um Naturschutz- oder FFH-Gebiete handelt, sind dort kurzfristig Möglichkeiten für Ersatzneubauten zu schaffen, wenn die öffentliche Hand Flächen kaufen oder in Erbpacht nehmen kann. Für diese Arbeiten sind durch die Landesregierung unmittelbar die notwendigen personellen Kapazitäten zu schaf­fen.
  3. Für Wohngebäude, Gewerbeimmobilien und damit verbundene Siedlungsinfrastruktur, die wirtschaftlich vertretbar wiederhergestellt werden können, ist eine zweckgerichtete Nutzung aus dem Sondervermögen der „Aufbauhilfe 2021“ zur Unterstützung der Wie­derherstellung der vom Starkregen und Hochwasser zerstörten Infrastruktur zu ge­währen. Die Landesregierung muss sich über den Bundesrat dafür einsetzen, dass die Elementarschadensversicherung zum Standard wird.
  4. Bei Gebäuden und Grundstücken, die zwar bei den aktuellen Ereignissen nicht betrof­fen waren, aber trotzdem in Risikogebieten stehen, sind Alternativen zu Heizöl und anderen wassergefährdenden Substanzen zu fördern und zu unterstützen, um Um­weltschäden im Extremfall zu verhindern.
  5. Kritische Infrastruktur wie Stromversorgung muss beim Wiederaufbau so hochwasser­sicher wie möglich gestaltet werden. Das gilt insbesondere für sensible Einrichtungen wie etwa Kranken- und Pflegeheime und Schulen.
  6. Beim Wiederaufbau der Verkehrsinfrastruktur ist der Bau und die Streckenführung ggf. so anzupassen, dass eine erneute Beschädigung durch Hochwasser und Starkregen-ereignisse weitgehend ausgeschlossen ist oder zumindest abgemildert werden kann. Beim Wiederaufbau der Schienenstrecken ist zu prüfen, ob ein zweigleisiger Ausbau und eine Elektrifizierung direkt mit umgesetzt werden können. Beim Wiederaufbau der Straßeninfrastruktur ist auch die bislang vorhandene Fahrradinfrastruktur zeitgleich wiederherzustellen. Außerdem ist zu prüfen, ob bislang fehlende straßenbegleitende Radwege beim Wiederaufbau der Straßen direkt mit gebaut werden können.

IV. b Der Natur wieder mehr Raum zu geben:

  1. Eine verbindliche Höchstgrenze für den Flächenverbrauch ist als Ziel der Landespla­nung im Landesentwicklungsplan (LEP) zu verankern, um mehr naturnahe Flächen zu bewahren, die Niederschläge aufnehmen können.
  2. Instrumente wie ein verstärktes Flächenrecycling sind konsequent zur Anwendung zu bringen sowie eine landesweite Entsiegelungsplanung zeitnah zu entwickeln, damit der Flächenverbrauch in NRW schrittweise auf maximal fünf Hektar pro Tag und bis 2035 auf null abgesenkt wird.
  3. Durch nachhaltigen Waldumbau und -bewirtschaftung sowie eine angepasste landwirt­schaftliche Nutzung sind die Bodenverdichtung zu begrenzen, die Wasserversickerungs- und -rückhaltefähigkeit zu erhöhen und der Erosionsschutz zu stärken.
  4. Hochwasserschutzmaßnahmen sind zu priorisieren und es ist dafür zu sorgen, dass zu schützende Überschwemmungsgebiete, Altarme und Retentionsflächen sowie flussgebietsbezogen und kommunale Grenzen ausgehend von der Landesentwicklungsplanung übergreifend zügig als Ziele in die Regionalplanung eingepflegt werden.
  5. Das Vorkaufsrecht des Landes von Flächen zugunsten der naturnahen Gewässerent­wicklung (ehemals § 73 LWG) ist wieder einzuführen und durch ein Vorkaufsrecht für Maßnahmen des Hochwasserschutzes zu ergänzen, um Fortschritte bei der Flächen­inanspruchnahme im Rahmen der Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zu erzielen und dringend benötigte Retentionsflächen zu gewinnen.
  6. Die vorgenommene Änderung von § 83 LWG zur Festsetzung und vorläufigen Siche­rung von Überschwemmungsgebieten ist wieder rückgängig zu machen, sodass Flächen, die dem Hochwasserschutz dienen, vor entgegenstehenden Nutzungen ge­schützt werden können. Der Schutz vor baulicher Entwicklung und Bodenverdichtung in Hochwasserentstehungsgebieten (§78 WHG) ist zu verbessern, wie auch Maßnah­men zum Wasserrückhalt.
  7. Der vorliegende Entwurf des 3. Bewirtschaftungsplanes zur Umsetzung der WRRL muss nachgebessert werden, um die Zielsetzung – ein guter ökologischer Zustand in allen Gewässern – so bald wie möglich zu erreichen. Effekte der Umsetzung der WRRL können Synergien für einen ökologischen Hochwasserschutz erzeugen und vice versa.

IV. c Kommunen nachhaltig zu entwickeln:

  1. Der Förderaufruf „Grüne Infrastruktur NRW“ ist über die EFRE-Mittel hinaus auszu­bauen. Als Fördervoraussetzung ist festzusetzen, dass es vor Ort ein kommunales Konzept für klimaaktive Grünflächen (inkl. blauer Infrastruktur) geben muss. Es ist an­zustreben, dass künftig alle Kommunen entsprechende Konzepte für grüne und blaue Infrastruktur entwickeln und umsetzen und hierfür vom Land die notwendige Unterstüt­zung erhalten. Die kommunale Freiraum- und Grünordnungsplanung ist hierfür materi­ell wie personell zu stärken.
  2. Die Landesbauordnung ist dahingehend zu verändern, dass bei Neubauten Dach- und Fassadenbegrünung ab einer bestimmten Flächengröße verbindlich vorgeschrieben ist und sofern keine Begrünung des Grundstücks geplant ist, eine Begrünungspflicht für die baulichen Anlagen und das Gebäudeumfeld vorzusehen.
  3. Durch ein neues Förderprogramm „Wassersensible Stadt“, angelehnt an das Konzept Schwammstadt, sollen Kommunen Maßnahmen umsetzen können, mit denen das Re­genwasser gespeichert werden kann. Bei den Projekten vor Ort soll Hochwasser­schutz, Abwasserplanung und Stadtplanung/-umbau miteinander verzahnt werden. Eine besondere Rolle spielen dabei klimawirksame Quartiere in Risikogebieten, für die Musterlösungen und gute Praxis in entsprechenden Reallabore erarbeitet werden sol­len.
  4. Der Bereich der Regenwasserbewirtschaftung und Abwasserplanung muss neu ge­dacht werden. So sollte zum Beispiel eine ortsnahe Versickerung von Regenwasser grundsätzlich ermöglicht werden. Dafür gilt es § 49 Abs. 4 LWG anzupassen. Ebenso sollte die in der jüngsten LWG-Novelle nach hinten verschobene Frist zur hochwasser­sicheren Nachrüstung von Abwasseranlagen in „HQ100“-Gebieten wieder verkürzt und ggf. auf „HQextrem“-Gebiete ausgeweitet werden (§ 84 Abs. 3 LWG), um Umweltschä­den zu vermeiden.

IV. d Das Hochwasser- und Starkregenrisikomanagement zu verbessern:

  1. Mit Blick auf die weitere Risikovorsorge und vor dem Hintergrund, dass die Landesre­gierung selbst von einem bisher nicht prognostizierbaren Hochwasserrisiko und ent­sprechenden Regenmengen (HQ10.000) spricht, ist es nötig, alle bestehenden Geneh­migungen, insbesondere solche mit wasserrechtlichem Bezug, für noch nicht begon­nene Bebauungen in Hochwasserrisikogebieten sowie für Abgrabungen auf ihr Hoch­wasserrisikopotenzial zu überprüfen. Die Prüfung muss vor diesem Hintergrund auch beinhalten, ob Genehmigungen gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 3 („nachträglich eingetretene Tatsachen“) und 5 („schwere Nachteile für das Gemeinwohl“) des Verwaltungsverfahrensgesetzes widerrufen werden müssen.
  2. Die Starkregenereignisse der letzten Jahre sind in der ursprünglich bis Ende 2021 ab­zuschließenden Fortschreibung der Hochwasserrisikomanagementpläne zu berück­sichtigen. Eine Neubestimmung der Risikogebiete ist vorzunehmen. Insbesondere klei­nere Gewässer müssen hier neu bewertet und ggf. als Risikogewässer eingestuft wer­den, zudem muss auch für sie ein Hochwasserprognosesystem entwickelt werden.
  3. Kommunen und Kreise sind dabei zu unterstützen, Wissen aus Hochwassergefahren-und Hochwasserrisikokarten sowie Starkregenrisikokarten präventiv in Planungspro­zesse berücksichtigen und in der Krise abrufen zu können. Die Bevölkerung muss für eine adäquate Eigenvorsorge ebenfalls für die bestehende Hochwasser- und auch Starkregengefährdung sensibilisiert werden, beispielsweise beim Wohnortwechsel und/oder Grundstückserwerb. Dafür brauchen sie auch einen niedrigschwelligen Zu­gang zu relevanten Informationen.
  4. Kommunen muss auch außerhalb der signifikanten Hochwasserrisikogebiete weiter­gehende Unterstützung als bislang zukommen, um eigene Maßnahmen des Starkregenrisikomanagements, d. h. zum Schutz vor Überflutungen durch Starkregen und un­kontrollierbare Oberflächenabflüsse (unabhängig von Flüssen oder Bächen), ergreifen zu können. Die Erstellung von Starkregenrisikomanagementkonzepten sollte unter der Voraussetzung des Konnexitätsausgleichs verpflichtend werden. Eine bundesweit ein­heitliche Darstellungsweise der Starkregengefahrenkarten und eine Abstimmung mit Hochwassergefahrenkarten ist dabei anzustreben.
  5. Das Handlungskonzept Starkregen aus dem Jahr 2016, welches wesentliche Bau­steine für den kommunalen Hochwasserschutz und das Starkregenmanagement ent­hält, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Extremereignisse fortzuschreiben.

IV.e Den Technischen Hochwasserschutz und das Talsperrenmanagement anzupas­sen und zu erweitern:

  1. Für technische Hochwasserschutzmaßnahmen sind umgehend Planungserleichterun­gen vorzunehmen, um langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren deutlich zu verkürzen, unter Beibehaltung der Anforderungen aus dem Naturschutz.
  2. Technische Maßnahmen wie Notwasserwege, Überstaubereiche, unterirdische Spei­cher, Entlastungskanäle, abflussverzögernde bautechnische Hindernisse im Flussbett, Abflussverlangsamung durch Beseitigung von Engstellen und Wänden und generell hochwasserangepasste Gebäude sind in Modellvorhaben zu prüfen, die möglichst kos­tengünstige und effizient umsetzbare Maßnahmen bereitstellen. In besonders gefähr­deten Lagen sind flutfähige Brücken zu bauen, die durch breiter stehende Pfeiler die Gefahr von Verklausungen mindern oder hydraulisch anhebbar sind.
  3. Ein Konzept zum Talsperrenmanagement ist zu erarbeiten, welches die voraussichtli­che Zunahme von Starkregenereignissen zukünftig ganzjährig berücksichtigt und da­mit auch im Sommer den Hochwasserschutz gewährleistet. Hierzu gehört eine Über­arbeitung der bestehenden Regeln und Bewirtschaftungspläne zu Stauhöhen, Freihalteräumen und Sedimentmanagement. Es sind ausdrücklich auch in den Sommermo­naten ausreichend Speicherreserven zur Sicherung der Unterlieger vorzuhalten.
  4. Für die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit von Talsperren sind Sanierungsbedarf und Sanierungsmaßnahmen regelmäßig zu erfassen und die Einhaltung der zeitge­rechten Prüfungen sicherzustellen. Aktuell noch ausstehende Überprüfungen müssen umgehend abgeschlossen und Mängel behoben werden.
  5. Die Planung, der Bau und die Umsetzung von Hochwasserrückhalteräumen, Deichrückverlegungen und Deichsanierungsmaßnahmen ist zu beschleunigen.

IV. f Für den Ernstfall vorzusorgen:

  1. Auf Landesebene soll ein Unwetterfonds implementiert werden, der mit bis zu einer Mil­liarde Euro ausgestattet ist und auf welchen die Kommunen, die trotz großer Anstren­gungen im Bereich Klimafolgenanpassung im Schadensfall finanziell überfordert sind, kurzfristig zurückgreifen können. Die Ausstattung erfolgt anwachsend bis 2025 zur Hälfte aus Mitteln des Landes und zur anderen Hälfte aus Mitteln, die im Rahmen des Gemeindefinanzierungsgesetzes zur Verfügung gestellt werden. Wir erwarten, dass sich der Bund mit Mitteln in gleicher Höhe im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe be­teiligt.
  2. Die Landesregierung muss sich dafür einsetzen, dass sich private und auch öffentliche Eigentümerinnen und Eigentümer von Immobilien in Zukunft (noch) mehr der Klimafolgenanpassung widmen und sofern möglich, sich gegen die Auswirkungen des Klima­wandels über Elementarschadensversicherungen absichern. Hierzu sollte die Informa­tionsvermittlung durch die Landesregierung und die Versicherungswirtschaft intensi­viert werden, u.a. mittels Werbe- und Infokampagnen.

1 https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/337277/jahrhunderthochwasser-2021-in-deutschland

2 https://www.gdv.de/de/themen/news/tiefdruckgebiet—bernd—-gdv-erhoeht-schadenschaet-zung-auf-4-5-bis-5-5-m illiarden-euro-69038

3 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMP17-137.pdf, S. 6

4 https://www.de-ipcc.de/media/content/De-IPCC_Flyer_Der_sechste_Berichtszyk-lus_des_IPCC.pdf

5 https://gruene-fraktion-nrw.de/2021/06/wie-klimaschutz-im-industrieland-nrw-gelingen-kann-das-gruene-sofortprogramm/

6 https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD17-13753.pdf

7 „HQ100“ bezeichnet ein statistisch gesehen alle 100 Jahre auftretendes Hochwasserereignis. Ein „HQextrem“ (Extremhochwasser) bezeichnet ein Hochwasser, das ca. der 1,5-fachen Abflussmenge eines HQ100 entspricht.