Schulen und Kommunen zahlen für die Versäumnisse der Landesregierung – Ministerin Gebauer muss dringend nachsteuern

Antrag der Fraktionen von GRÜNEN und SPD

I.       Ausnahmesituation Pandemie
Die Corona-Pandemie stellt alle politischen Ebenen und Bildungseinrichtungen vor ungeahnte Herausforderungen. Es wird deutlich, dass manche Akteurinnen und Akteure den Herausforderungen besser gewachsen sind als andere. Bei der Digitalisierung in der Bildung gibt es Schulträger, die frühzeitig auf eine gute digitale Infrastruktur gesetzt haben und Schulen, die mit pädagogischen Konzepten und gelebter Praxis sich dem Lernen in der digitalen Welt gestellt haben. Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte, die solche Bedingungen hatten, konnten besser mit dem Lernen im Shutdown umgehen, als diejenigen, die keine adäquaten Bedingungen und eingeübte Praxis hatten. Somit wird es zum Schicksal für Kinder und Jugendliche in welcher Stadt sie leben, und auf welche Schule sie gehen. Das darf nicht sein,
Der Bund hat im Mai die Mittel des Digitalpaktes mit einem Sofortprogramm erhöht, damit Kinder und Jugendliche aus einkommensschwachen Familien mit digitalen Endgeräten versorgt werden können. Das ist ein guter und begrüßenswerter Schritt. Allerdings hängt die Wirksamkeit dieser Maßnahme davon ab, wie schnell die Schulträger auf diese Mittel zugreifen können. Für Schulen und Schülerinnen und Schüler spielt es also eine Rolle, in welchem Bundesland sie leben. Die Landesregierung NRW war den Herausforderungen nicht so gut gewachsen wie andere. Während andere Bundesländer den Bundeszuschuss noch aus eigenen Mitteln verdoppelten, gab NRW nur 50% dazu. Während andere Bundesländer die Verwaltungsvereinbarung mit dem Bund umgehend dem Landtag zuleiteten und eine Förderrichtlinie vorausgreifend vorbereitet haben, brauchte das Schulministerium sechs Wochen und noch mal einen Monat, um die Förderrichtlinie zur Weitergabe an die Schulträger zu veröffentlichten. Damit war NRW das letzte Bundesland – mit gravierenden Auswirkungen auf die Beschaffung der Geräte, die möglichst schnell zum Einsatz kommen sollen.
Die Schulträger sind bei Beschaffungen in dem Umfang selbstverständlich an die Regeln zur Ausschreibung und den damit verbundenen Fristen gebunden. Außerdem müssen die Geräte für den Einsatz konfiguriert und gewartet, in die Administration eingebunden werden. Bei der Organisation dieser Aufgabe sind Schulen nach wie vor sich selbst überlassen: Weder gibt es zuverlässig eine Ansprechperson in der Kommunalverwaltung noch gibt es eine Freistellung für Lehrkräfte, die sich der Aufgabe annehmen.
Der Ärger der Schulträger ist verständlich, zumal der WDR in der Aktuellen Stunde vom 16.07.2020 berichtet: „Yvonne Gebauer will, dass die Schulen jetzt Laptops und Computer bestellen, damit das mit dem Online-Unterricht demnächst besser läuft.“ Zum Zeitpunkt dieser Äußerung war die Förderrichtlinie noch nicht veröffentlicht. Die Ministerin macht ihre Hausaufgaben nicht, weiß aber was andere tun sollen. Dass Schulträger skeptisch sind, was das Vertrauen auf mündliche Zusagen angeht und lieber die konkreten Förderrichtlinien abwarten, hat auch mit der Erfahrung mit dieser Landesregierung zu tun. Schon bei dem großangekündigten Ferienprogramm hatte die Landesregierung gezeigt, wie man eine gute Idee so schlecht administriert, dass am Ende wenig bis nichts herauskommt. Die Förderrichtlinie kam sage und schreibe am letzten Schultag heraus. Da war es für Träger illusorisch noch Angebote für die Ferien auflegen zu können. Zumal vorher auch nicht klar war, wer antragsberechtigt sein wird: Schulträger oder auch freie Träger der Jugendhilfe, der Kultur, des Sports. Bei den Mitteln zur Digitalisierung ist die Frage der Folgekosten eine nicht unerhebliche und zur Zeit umstritten zwischen Kommunalen Spitzenverbänden und Land.
Der Ärger der Schulträger geht aber noch weiter. Obwohl der Zeitdruck eindeutig auf die Trägheit dieser Landesregierung zurückzuführen ist, müssen nun die Schulträger schauen, wie sie die Frist zur Abrechnung bis zum 31.12.2020 einhalten können. Das wird als Provokation empfunden.
Aber mit den Mitteln für die digitale Ausstattung ist es noch nicht getan. Die Schulen warten auch auf verbindliche Standards für die Anwendung. Nun hatte Ministerin Gebauer Handreichungen angekündigt, die sie aber der Presse weder am 16.07.2020 noch bei ihrer eigenen Pressekonferenz vom 03.08.2020 vorstellen konnte. Da waren sie noch nicht fertig. Was ihr aber offensichtlich besonders wichtig war, war die Aussage, dass nun auch im Distanzlernen wieder Fünfen gegeben werden können. Das erinnert an die fatale Fokussierung auf Prüfungen vor der Regelöffnung der Schulen. Die Bildungsungerechtigkeiten werden nicht systematisch angegangen, die unterschiedliche didaktische Vorbereitung von Kollegien hat Auswirkungen auf die Qualität des Fernunterrichts, für den allerdings den Schülerinnen und Schülern Noten verteilt werden sollen. Videokonferenztools und Messenger sind in den Medien versprochen, liegen aber erwartungsgemäß zum Schulstart nicht vor.
Lehrkräfte warten dringend auf neue und umfangreichere Fortbildungsangebote, die auch Coaching beinhalten. Längst hätten erfahrene Akteure und Akteurinnen im Bereich der Bildung in der digitalen Welt in einer über die Landeseinrichtungen hinaus für ein Fortbildungsnetzwerk gewonnen werden müssen, das die systematische Fortbildung in NRW für die Schulen vorantreibt.
Für diese Fortbildung und Entwicklung von didaktisch eingebetteten hybridem Unterricht, benötigen die Schulen jetzt die Zeit, damit im Weiteren größtmögliche Unterrichtskontinuität gesichert wird.
Eltern, Schülerinnen und Schüler sind zurecht empört, weil sie sehen, dass ihre Befürchtungen wahrgeworden sind. Nach den Ferien wird so weitergemacht wie die Schulzeit vor den Ferien geendet hat. Das Ministerium hat keinen Plan B, der möglichst allen Kindern und Jugendlichen so viel guten Präsenzunterricht wie möglich und den notwendigen Gesundheitsschutz für alle in der Schule gewährleistet.
Angesichts steigender Infektionsraten, besonders auch in NRW, hat die Ministerin als Notmaßnahme am 3.8.2020 die Maskenpflicht ausgerufen, um ihre Vorstellung vom Regelunterricht zu retten und die eigenen Versäumnisse zu kaschieren.
In Gesprächen mit den Verbänden hatte sie in der Woche zuvor diese Maßnahme noch abgelehnt. Nach erheblicher Kritik, dass stundenlanges Maskentragen eine Qual sei, mahnte Staatssekretär Richter dann in der Pressekonferenz am 11.8. mit, die Schulen zu Maskenpausen ggf. größere Räume aufsuchen oder ins Freie gehen. Gerade große Schulen reiben ich angesichts solcher Äußerungen nur noch die Augen. Insgesamt sind die notwendigen Hygienemaßnahmen sehr zeitintensiv und fordern einen hohen Personaleinsatz. Regelunterricht nach Stundentafel – all das bleibt weitgehend eine Illusion.
Die Ausweitung der Hitzefrei-Regelung auf die Sekundarstufe II erfolgt nur nach öffentlichem Druck. Auch gibt angesichts der Hitzetage keine landeweite Weisung, die auch Klarheit für alle Beteiligten in einer auch gesundheitlich sehr belastenden Situation schafft.
Das Ministerium muss sich endlich von der Vorstellung eines Regelunterricht unter Coronabedingungen verabschieden und mit Verve an den notwendigen Alternativen arbeiten.
In der Bildungswissenschaft wird einhellig festgestellt, dass Bildungsungerechtigkeit durch Corona verstärkt wird. Neben der Frage der Ausstattung von Kinder aus einkommensschwachen Familien, müssen auch die Lernbedingungen im häuslichen Umfeld, der Zugang zu einer digitalen Infrastruktur (z. B. WLAN) und die Kompetenzen im Umgang mit digitalen Geräten beachtet werden.
Hier muss die Gesellschaft auf Ausgleich und auf alternative Unterstützungen setzen. Das ist entscheidend für die Frage, ob es in NRW „weltbeste Bildung“ gibt, und nicht die Tatsache, ob jetzt auch wieder Fünfen im Fernunterricht verteilt werden können.
Inklusive Bildungsprozesse und Lernbedingungen werden von der Landesregierung stiefmütterlich behandelt. Inklusion verliert immer mehr. Auch hier zeigt sich das unreflektierte Verständnis eines „Regelunterrichts“.

II.      Der Landtag fordert die Landesregierung auf:

·           unverzüglich mit den Fachverbänden von Eltern, Lehrkräften, Landesschüler*innenvertretung und der Bildungswissenschaft Maßnahmen zum Ausgleich der Bildungsungerechtigkeiten beim Distanzlernen zu erörtern und zeitnah umzusetzen,
·           unterstützende Kräfte für das Lernen in der digitalen Welt zu gewinnen und entsprechende Kooperationen mit Hochschulen und anderen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteuren abzuschließen,
·           die Einrichtung eines funktionierenden und vor allem datenschutzkonformen digitalen Klassenzimmers
·           mehr und systematische und verbindliche Fortbildungsangebote für das Lernen in der digitalen Welt zu schaffen und den Schulen dafür Zeit zu geben. und den Umgang mit der entsprechenden Soft- und Hardware zu schaffen.
·           Mit den großen Betreibern in Kontakt zu treten, um für benachteiligte Kinder und Familien Angebote zur Bereitstellung von digitaler Infrastruktur, wie einem W-LAN Zugang, zu schaffen
·           Dafür zu sorgen, dass die Mittel zum Ausbau der digitalen Infrastruktur (Soft- und Hardware, sowie Fortbildungen) an den Schulen, für die Lehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler kein Einmaleffekt bleiben, sondern kontinuierlich und den aktuellen Bedingungen angepasst, aufgestockt werden.
·           Mit einer einheitlichen Richtlinie, sowie einer Kostenverteilungen für die Wartung und den Support der Hard- und Software, dafür zu sorgen, dass die Kommunen nicht auf den Folgekosten der Digitalisierung sitzen bleiben
·           Erfolgreiche und erprobte Konzepte im Bereich des digitalen Lernens und Lehrens aus den Kommunen zu identifizieren und diese flächendeckend auf das ganze Land auszuweiten und zur Verfügung zu stellen.
·           Eine Teamentwicklung von Präsenz-/Fernunterricht und weiterem Personal zur Unterstützung von Lernprozessen in Kleingruppen zu unterstützen.
·           Den Schulen sofort unterstützendes Personal zur Verfügung zu stellen, um Entlastung beim organisatorischen Aufwand bei den Hygienemaßnahmen und notwendigen Aufsichten zu gewährleisten.
·           Die Schulleitungen umgehend personell zu unterstützen, die gerade durcharbeiten und Aufgaben, wie das Verfassen und Erheben von Daten zeitweise auszusetzen.
·           durch die Bildung kleiner fester Lerngruppen das Maskentragen im Unterricht entbehrlich zu machen.
·           organisatorische Möglichkeiten für die Schulen zu schaffen, Schichtunterricht, Epochen und fächerübergreifenden Blockunterricht, sowie pädagogische Freiheit bei der Bildung von Lerngruppen auch jahrgangsübergreifend zu gestalten, wenn dadurch kleine stabile Lerngruppen ermöglicht werden.
·           zusätzliche Räume für den Unterricht im Verbund mit den kommunalen Spitzenverbänden zu gewinnen (in Vereinsheimen, Bürgerhäusern, Kirchengemeinden usw.) und außerschulische Lernorte zu fördern.
·           in Absprache mit dem Wissenschaftsministerium und den Bildungs-wissenschaften an den Hochschulen in NRW, Studierende im Praxissemester und darüber hinaus zur Lernbegleitung zu gewinnen
·           mit den Schulträgern in Verhandlungen einzutreten, welche Unterstützung sie benötigen, um die Digitalisierung auch personell dauerhaft meistern zu können.