Initiative zur Stärkung der Sicherheit in öffentlichen Räumen im Rahmen der kommuna­len Kriminalprävention

Antrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022

I. Ausgangslage

In vielen Städten, ob kleineren oder in Großstädten, gibt es Orte, die Bürgerinnen und Bürger ungerne aufsuchen, weil sie abends und in der Nacht nicht gut genug ausgeleuchtet werden oder wegen ungünstiger Bebauung unübersichtlich oder schlecht einsehbar sind. Zu dieser Feststellung gelangt u.a. die Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfa­len“ (Bosbach-Kommission“) in ihrem Abschlussbericht (Seite 70, online abrufbar über: https://www.land.nrw/sites/default/files/asset/document/abschlussbericht.pdf). Diese Orte und solche, die keine Fluchtmöglichkeiten bieten, ungepflegt oder heruntergekommen wirken, kön­nen Unsicherheit bei Passantinnen und Passanten und den Anwohnerinnen und Anwohnern im Viertel auslösen, ihre Lebenszufriedenheit mindern und Kriminalität begünstigen.

Unsicherheit oder Unbehagen an diesen Orten empfinden verschiedene Gruppen unterschied­lich stark. Frauen und Mädchen, LSBTIQ*, Menschen mit Rassismuserfahrungen, Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen machen spezifische Erfahrungen im öffentlichen Raum, die insbesondere zu berücksichtigen sind. Die Studie „Sicherheit und Gewalt in Nord­rhein-Westfalen“ des LKA NRW ergab, dass etwa Frauen im Vergleich zu Männern nachts an öffentlichen Orten ein deutlich gesteigertes Unsicherheitsgefühl haben. Auch zeigen sie deut­lich häufiger Vermeidungsverhalten, indem sie etwa bestimmte öffentliche Orte nicht mehr auf-suchen. (https://polizei.nrw/sites/default/files/2020-11/Forschungsbericht%20Studie%20Sicher-heit%20und%20Gewalt%20in%20Nordrhein-Westfalen.pdf).

Die Angst vor Kriminalität ist zum Teil irrational, da die gefühlte Gefahr, Opfer einer Straftat werden zu können, oft größer ist als die tatsächliche Wahrscheinlichkeit oder umgekehrt. So wird beispielsweise die eigene Wohnung weit überwiegend als sicherer Ort empfunden, ob­wohl man dort viel häufiger Opfer von Straftaten werden kann, als auf öffentlichen Plätzen und Wegen. Andererseits gibt es Orte, die vermeintlich sicher wirken, an denen jedoch Gefahren wie etwa Handtaschendiebstähle größer sind – z.B. in Bahnhofsgebäuden – als anderswo.

Grundlage von Bewertungen der Sicherheit öffentlicher Räume bilden daher auch umfassende kleinräumige Analysen der betroffenen Örtlichkeit. Neben Hellfelddaten aus der polizeilichen Kriminalstatistik und polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystemen werden Daten aus polizeilichen Einsatzdokumentationssystemen zur Betrachtung von „Incivilities“ (Verfallserscheinungen der sozialen Ordnung oder der materiellen Umwelt) und Ordnungsstö­rungen sowie – soweit möglich – aus Dunkelfeldstudien herangezogen. (https://lka.polizei.nrw/sites/default/files/2020-05/KKF%20Sym posium %20Dokumentation.pdf).

Auch wenn das Empfinden von Unsicherheit nicht notwendigerweise dem tatsächlichen Risiko entsprechen muss, Opfer einer Straftat zu werden, kann das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger nicht unberücksichtigt bleiben. Ein negatives Sicherheitsempfin­den kann tatsächliche Auswirkung auf das Verhalten von Bürgerinnen und Bürgern haben und zur Einschränkung der gefühlten Lebensqualität führen. Es kann zu Vermeidungsverhalten von Bürgerinnen und Bürger kommen, bestimmte Orte aufzusuchen, wie etwa Parks, die der Erholung dienen, oder öffentliche Plätze, die der Begegnung und dem Einkauf dienen. Das widerspricht dem allgemeinen Verständnis, dass öffentliche Wege und Plätze für alle da sind und für alle nutzbar sein sollen. Dass Menschen bestimmte öffentliche Orte nicht mehr aufsu­chen, steht außerdem dem gesamtgesellschaftlichen Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben entgegen.

Kriminalprävention und die Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bürgerinnen und Bürger erfolgen zum Teil auf unterschiedlichen Ebenen. Um Tatgelegenheiten zu reduzieren und zu­gleich für eine qualitative Verbesserung des öffentlichen Raumes zu sorgen, die zu einem positiven Sicherheitsgefühl und einer höheren Lebensqualität der Menschen in den Vierteln führt, ist es beispielsweise wirkungsvoll, auf öffentlichen Wegen und Plätzen bauliche Sicht­barrieren zu beseitigen und für eine bessere Beleuchtung zu sorgen. Zu dieser Empfehlung gelangt auch die Regierungskommission „Mehr Sicherheit für Nordrhein-Westfalen“ in ihrem Abschlussbericht, in dem es unter „2.4.2.2 Bauliche Veränderung von sogenannten ‚Angsträu­men‘“ heißt:

„[…] Hier kann durch geeignete Bau- und Beleuchtungskonzepte das Sicherheitsempfinden der Bürger spürbar verbessert werden. Darüber hinaus dürfte sich eine bessere Beleuchtung aber auch auf die tatsächliche Wahrscheinlichkeit bestimmter Straftaten auswirken. Aufgrund der Finanzlage vieler Kommunen in Nordrhein-Westfalen werden die diesbezüglichen Mög­lichkeiten jedoch nicht flächendeckend genutzt. Hier müssen durch das Land zweckgebun­dene Mittel zur Verfügung gestellt werden, um entsprechende Bau- und Beleuchtungskon­zepte zu fördern.“ (Abschlussbericht, Seite 70)

Die Landesregierung sollte im Sinne dieser Empfehlung ein Landesprogramm initiieren, das Kommunen finanziell dabei unterstützt, bei Einbeziehung der örtlich zuständigen Kreispolizei­behörde für bessere Beleuchtung an entsprechenden Orten zu sorgen.

Neben solchen Sofortmaßnahmen, setzen städtebauliche Maßnahmen auf einer höher gele­genen Ebene an. Für das Gelingen von städtebaulicher Kriminalprävention bedarf es der Zu­sammenarbeit verschiedener Akteure, darunter auch die Polizei. Ihr Fachwissen sowie ihre polizeilichen Erkenntnisse über die zu beplanenden Stadtteile wie allgemeine Kriminalitäts­lage, besondere Phänomene oder besondere polizeiliche Gefährdungserkenntnisse (z.B. Treffpunkte potenzieller Täterinnen und Täter, Drogenszenen etc.) sind wesentlich. Als erste Ansprechpartnerin für Fragen zur Gefahrenabwehr und öffentlichen Sicherheit sollte die Poli­zei bereits früh im Planungsstadium eingebunden werden. Um Kommunen und private Bau­initiativen über die polizeiliche Beratungstätigkeit im Bereich der städtebaulichen Kriminalprä­vention zu informieren, gibt es online offizielle Inforationsseiten der Polizei NRW (https://poli-zei.nrw/artikel/staedtebauliche-kriminalpraevention), die u.a. auf Seiten der polizeilichen Kri­minalprävention der Länder und des Bundes (https://www.polizei-beratung.de/themen-und-tipps/staedtebau/) und den Forschungsschwerpunkt „Sozial Raum Management“ der TH Köln (https://www.th-koeln.de/angewandte-sozialwissenschaften/forschungsschwerpunkt-sozial-raum-management_15127.php) verweisen.

Die Einbeziehung der polizeilichen Sicht bei geplanten Bauvorhaben in Kommunen ist derzeit sehr wichtig, da ein hoher Bedarf an Wohnraum besteht und NRW-weit entsprechend viele Bebauungsprojekte geplant werden.

Um das polizeiliche Fachwissen für die städtebauliche Kriminalprävention und das Angebot weiter zu stärken, wurde in Niedersachsen das Kompetenzzentrum für Urbane Sicherheit (KURBAS) beim dortigen LKA gegründet. Das Kompetenzzentrum bietet einerseits Unterstüt­zung bei der Durchführung und Planung einzelner Bauvorhaben an und erstellt kleinräumige Kriminalitätslagebilder. Andererseits werden Forschungsprojekte zur präventiven Sicherheits­arbeit durchgeführt und aufbereitet. Auf einer dritten Ebene arbeitet KURBAS als aktives Mit­glied der Sicherheitspartnerschaft im Städtebau in Niedersachsen (SIPA) gemeinsam mit an­deren Akteuren an ziel- und konsensorientierten Lösungen zur vorbeugenden Kriminalitätsbe-kämpfung. (https://eucpn.org/sites/default/files/document/files/DE_ECPA_2018_DE_Walk%20around%20y-our%20Hood%20-%20Flyer.pdf).

Die Landesregierung sollte unter Einbeziehung des Landespräventionsrates beim Landeskri­minalamt NRW ein Kompetenzzentrum für Sicherheit im öffentlichen Raum errichten. Ziel soll es sein, disziplinübergreifend Strategien und Lösungen zur Erhaltung und Schaffung sicherer öffentlicher Räume zu entwickeln, sie in die städtebauliche Praxis einzubringen und die Polizei NRW dort als Ansprechpartnerin zu etablieren. Aufgabe des Kompetenzzentrums soll es sein, anwendungsorientierte Forschung zur Sicherheit im öffentlichen Raum unter kriminologischen und präventiv-polizeilichen Gesichtspunkten zu betreiben, und Kreispolizeibehörden dadurch zu unterstützen, bei städtebaulichen Projekten und Konzepten mit planerischer, kriminologi­scher und präventiv-polizeilicher Expertise an der Entwicklung mitzuwirken, Handlungsemp­fehlungen für die Gestaltung öffentlicher Räume zu geben und die Zusammenarbeit der Polizei mit Kommunen und Bauunternehmen vor Ort zu stärken.

Im Projekt „DIVERCITY. Sicherheit und Vielfalt im Quartier“ des LKA Niedersachsen, des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) und des Verbands der Wohnungs- und Immobilien­wirtschaft (vdw) Niedersachsen/Bremen mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung wird interdisziplinäres Wissen im Bereich der städtebaulichen Kriminalpräven­tion bereitgestellt. Auf einer Online-Plattform (https://www.div-city.de/) wird ein schneller und interessengeleiteter Zugriff auf Informationen zur städtebaulichen Kriminalprävention ermög­licht. Den Nutzenden stehen sowohl Textbeiträge als auch multimedial aufbereitete Elemente (z.B. Forschungsergebnisse) zur Verfügung, die interessensgeleitet abgerufen werden können und zur Grundlage genommen werden, um für die jeweilige Situation vor Ort Hinweise zu er­halten, welche Strategien sich in welchem Kontext als wirksam herausgestellt und bewährt haben. (https://www.div-city.de/).

Auch insofern sollte die Landesregierung in der Arbeitsgruppe „Sicherheit im öffentlichen Raum“ des Landespräventionsrates prüfen lassen, inwiefern eine Beteiligung des LKA NRW an dem Projekt „DIVERCITY“ in Niedersachsen möglich ist, Forschungsergebnisse und Hin­weise der TH Köln eingespeist und auf die Online-Plattform auch in NRW hingewiesen werden kann. Ziel soll es sein, sich an dem Projekt für Wissenstransfer und Informationsvermittlung zu beteiligen, um Forschungsergebnisse, bestehende Ansätze und Vorschläge sowie Hand­reichungen und Best-practice-Beispiele zur Erhaltung und Wiederherstellung von Sicherheit im öffentlichen Raum für die praktische Anwendung auch in NRW leicht nutzbar zu machen.

II. Feststellungen

Der Landtag stellt fest:

  1. In vielen Städten in Nordrhein-Westfalen gibt es Orte, die Bürgerinnen und Bürger un-gerne aufsuchen, weil sie nachts nicht gut genug ausgeleuchtet werden oder wegen un­günstiger Bebauung unübersichtlich oder schlecht einsehbar sind;
  2. Die Umgestaltung dieser Orte in attraktive und sichere Orte beugt der Entstehung von Kriminalität vor, indem Tatgelegenheiten verringert werden und zugleich sorgt sie für eine qualitative Verbesserung des öffentlichen Raumes, die wiederum zu einem positiven Si­cherheitsgefühl und einer höheren Lebensqualität der Menschen in den Vierteln führt;
  3. Bei der Ermittlung und Umgestaltung von öffentlichen Räumen, die von Bürgerinnen und Bürgern ungerne aufgesucht werden, müssen die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen, LSBTIQ*, Menschen mit Rassismuserfahrungen, Menschen mit Behinderungen oder von älteren Menschen insbesondere berücksichtigt werden; bei der Umgestaltung dieser Räume ist es ferner wichtig, die spezifischen Interessen unterschiedlicher Gruppen an die Räume in Einklang zu bringen, um eine Verdrängung marginalisierter Gruppen zu verhin­dern.

III. Forderungen an die Landesregierung

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, folgende Maßnahmen zu initiieren:

  1. Die Landesregierung soll durch das Innen- und Bauministerium ein Programm auflegen, durch das städtebauliche Maßnahmen in den Kommunen mit zweckgebundenen Mitteln unterstützt werden, um Orte, an denen sich Bürgerinnen und Bürger unsicher fühlen, vor allem durch Beleuchtungskonzepte so zu verändern, dass sie wieder vorbehaltlos betre­ten werden.
  2. Das Landeskriminalamt NRW soll unter Einbeziehung des Landespräventionsrats NRW damit beauftragt werden, ein Kompetenzzentrum für Sicherheit im öffentlichen Raum beim Landeskriminalamt einzurichten, um anwendungsorientierte Forschung zur Sicherheit im öffentlichen Raum unter kriminologischen und präventiv-polizeilichen Gesichtspunkten zu betreiben, und Kreispolizeibehörden dadurch zu unterstützen, bei städtebaulichen Projek­ten und Konzepten mit planerischer, kriminologischer und präventiv-polizeilicher Expertise an der Entwicklung mitzuwirken, Handlungsempfehlungen für die Gestaltung öffentlicher Räume zu geben und die Zusammenarbeit der Polizei mit Kommunen und Bauunterneh­men vor Ort zu stärken.
  3. Das Landeskriminalamt NRW soll unter Einbeziehung des Landespräventionsrates NRW prüfen, ob eine Beteiligung an der Bereitstellung der Online-Plattform „DIVERCITIY“ der Verbundpartner Landeskriminalamt Niedersachsen, Deutsches Institut für Urbanistik und Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Niedersachsen Bremen möglich ist und wie diese realisiert werden kann. Es soll ferner geprüft werden, wie die in Nordrhein-West­falen gewonnenen Erkenntnisse auf dem Gebiet etwa der Technischen Hochschule Köln eingebracht werden können.