Den Kampf gegen die Pandemie gezielt verstärken – die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 des § 28a Infektionsschutzgesetzes feststellen

Eilantrag der GRÜNEN im Landtag

Portrait Verena Schäffer Linda Hammer 2022
Portrait Josefine Paul
Mehrdad Mostofizadeh

I. Ausgangslage

Die Corona-Situation in Deutschland spitzt sich dramatisch zu. Die Infektionszahlen steigen massiv an. In den letzten vier Wochen hat sich die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland von 117,1 (Stand 25.10.21) auf 386,5 (Stand 22.11.21) erhöht. In NRW sind die Zahlen zwar niedriger als im Bundesdurchschnitt, aber es besteht eine fast ebenso dramatische Dynamik. Auch in NRW stieg die 7-Tage-Inzidenz im Zeitraum von 25.10.21 bis 22.11.21 von 70,6 auf 229,1. In einigen Bundesländern wie Sachsen, Thüringen oder Teilen von Bayern sind die Intensivstationen bereits so ausgelastet, dass Patientinnen und Patienten dort nicht mehr behandelt werden können und in anderen Bundesländer verlegt werden müssen. Gleichzeitig steigen, wie bereits beschrieben, auch in den Ländern mit vergleichsweise hoher Impfquote die Belegungen mit COVID-19-Patientinnen und -Patienten an. Aufgrund der bereits bekannten Infektionen und der massiven saisonalen Dynamik ist schon in wenigen Wochen mit einer massiven Belastung, möglicherweise Überlastung unseres Gesundheitssystems zu rechnen, wenn nicht entschieden und erfolgreich gegengesteuert wird.

Begründung der Eilbedürftigkeit:

Um die bestehenden Schutzmaßnahmen der Corona-Schutzverordnung aufrecht zu erhalten, gleichzeitig weitere Maßnahmen nach der Revision des Infektionsschutzgesetzes anordnen und durchsetzen zu können, ist es erforderlich bis zum 24.11,2021 zu handeln. Dazu muss die Landesregierung die bestehenden Maßnahmen verändern, weitere Schritte, wie die 2G-Regel und die 2G plus-Regel flächendeckend für den Freizeitbereich anordnen und darüber hinaus muss der Landtag die Anwendung des Katalogs nach § 28a Abs. 1 IfSG Absätze 1 bis 6 beschließen. Die Übergangsklausel des neuen Infektionsschutzgesetzes bezieht sich nur auf bereits bis zu m 24.11.21 beschlossene Maßnahmen. Diese reichen bei weitem nicht aus und müssen einerseits erweitert und andererseits die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 erklärt werden.

Viele der bestehenden Schutzmaßnahmen unseres Bundeslandes gegen die Ausbreitung des Coronavirus hingen grundsätzlich von der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite – also dem Willen des Bundesgesetzgebers ab. Mit Zustimmung des Bundesrates zu der Änderung des IfSG am 18.11.21 ist deutlich geworden, dass die epidemische Lage mit Ablauf des 24.11.21 endet. Nach Änderung des IfSG können die Länder zwar viele wichtige Schutzmaßnahmen unabhängig von der Feststellung einer epidemischen Lage vom Bundestag anordnen. Allerdings setzt die Anordnung weitergehender Maßnahmen voraus, dass der Landtag „die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6“ des § 28a IfSG feststellt. Aufgrund der dramatischen Entwicklung der Lage, muss das Land NRW alle theoretischen Handlungsmöglichkeiten nach dem neuen IfSG unverzüglich gewährleisten, um der Lage nicht hinterherzulaufen. Die erforderliche Feststellung muss daher schon in dieser Plenarwoche und vor Ende der pandemischen Lage am 24.11.21 erfolgen.

Neufassung des Infektionsschutzgesetzes

Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes gliedert sich in einem durch alle Bundesländer – zum Teil nach Ausgestaltung der entsprechenden Verordnungen – anzuwendenden Katalog von Schutzmaßnahmen, die in allen Bundesländern anzuwenden sind, wie zum Beispiel die sogenannte 3G-Regel am Arbeitsplatz.

Gleichzeitig erlaubt es den Bundesländern einen breiten Katalog von Schutzmaßnahmen im Rahmen eigener Beurteilung nach Art und Umfang anzuwenden. In Nordrhein-Westfalen wurde trotz anderweitiger Ankündigen von der Landesregierung hiervon noch nicht Gebrauch gemacht.

Darüber hinaus steht den Ländern zur Bekämpfung der Pandemie ein weiterer Katalog von Maßnahmen zur Verfügung.

Der neue § 28a Abs. 7 des IfSG ermöglicht den Ländern unmittelbar durch Rechtsverordnungen u.a. folgende Maßnahmen anordnen zu können:

–  Anordnungen von Abstandsgeboten und Kontaktbeschränkungen,

– Verpflichtung zum Maskentragen,

– Verpflichtung zur Vorlage von Impf-, Genesene- oder Testnachweisen (u.a. als Voraussetzungen zum Zugang zu bestimmten Angeboten und Einrichtungen)

– Verpflichtung zur Erstellung und Anwendung von Hygienekonzepten, auch unter Vorgaben von Personenobergrenzen für die dort genannten Einrichtungen sowie

– die Beschränkung der Anzahl von Personen in oder bei den in Absatz 1 Nummer 4 bis 8 und 10 bis 16 genannten Betrieben, Gewerben, Einrichtungen, Angeboten, Veranstaltungen, Reisen und Ausübungen.

Notwendigkeit der Feststellung der Anwendbarkeit der Absätze der 1-6 des § 28a IfSG

Weitergehende Maßnahmen des § 28a Abs. 1 können allerdings nach der neuen sogenannten (eingeschränkten) Länderöffnungsklausel nur noch unter den Voraussetzungen des neuen § 28a Abs. 7 angeordnet werden. Dieser sieht vor, dass nach dem Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Absätze 1 bis 6 des § 28a IfSG ebenfalls angewendet werden können, soweit und solange die konkrete Gefahr der epidemischen Ausbreitung des Coronavirus (COVID-19) in einem Land besteht und das Parlament in dem betroffenen Land die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 für das Land feststellt. Hierunter zählen u.a. folgende Maßnahmen:

– Untersagung von Freizeitveranstaltungen (u.a. private Feiern) und nicht lediglich deren Beschränkung,

– Untersagung des Betriebs von (nicht gewerblichen) Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung zuzurechnen sind wie Vereinsheime, Clubhäuser, Veranstaltungsräumlichkeiten

– Untersagung von Sportveranstaltungen,

– Untersagung von Kulturveranstaltungen und des Betriebs von Kultureinrichtungen,

– Verbot der Alkoholabgabe und des -konsums,

– Schließung von Hochschulen und außerschulischen Einrichtungen.

Um diese Maßnahmen im Rahmen der Corona-Schutzverordnung anwenden zu können, bedarf es eines ausdrücklichen Beschlusses des Landtags, der die Landesregierung ermächtigt, diesen Katalog anwenden zu können.

Die aktuelle Lage

Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, hat am 17.11.21 bei einer Online-Diskussion mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer ein klares und dramatisches Bild der Entwicklung der derzeitigen Corona-Lage in Deutschland und den Bundesländern gezeichnet. Die Zahl der Neuinfektionen dürfte sogar noch weitaus höher sein als bekannt. Bald sei daher täglich mit Hunderten Toten zu rechnen. Hinter den mehr als 50.000 Infektionen, die derzeit pro Tag neu registriert würden, „verbergen sich mindestens noch einmal doppelt oder dreimal so viele“. Zuletzt seien 0,8 Prozent der Erkrankten gestorben. Das bedeute, dass von den mehr als 50.000 Infizierten pro Tag in den nächsten Wochen täglich 400 Personen sterben würden. „Daran gibt es nichts mehr zu ändern.“ ( https://www.tagesschau.de/inland/wieler-rki-coronavirus-lage-103.html) Das ist erschreckend und traurig.

Dabei werde sich die Lage in den Krankenhäusern, laut Wieler, noch verschlimmern. Die Zahl der schwerkranken COVID-Patientinnen und -Patienten steige, infolgedessen werde es auch für Menschen mit anderen akuten und schweren Erkrankungen wie Schlaganfall und Herzinfarkt die Situation ebenfalls immer prekärer, da auch sie mancherorts bis zu zwei Stunden nach einem freien Intensivbett suchen müssten. „Die Prognosen sind superdüster. Sie sind richtig düster“, sagte Wieler. „Es herrscht eine Notlage in unserem Land. Wer das nicht sieht, der macht einen sehr großen Fehler.“. Diese schwierige Lage und düstere Prognose betrifft alle Länder –auch NRW. „Die Versorgung ist bereits in allen Bundesländern nicht mehr der Regel entsprechend.“, so Wieler. ( https://www.tagesschau.de/inland/wieler-rki-coronavirus-lage-103.html)

Die Betrachtung der immer weiter steigenden Zahlen in NRW kann dies leider nur bestätigen. Die 7-Tage-Inzidenzzahl liegt in NRW schon bei 229,1 (Stand 22.11.21), um 52,5, Punkte mehr als fünf Tage davor ( 176,6, Stand 16.11.21). Auch die Situation in den Krankenhäusern hat sich verschärft. Die Hospitalisierungsinzidenz liegt in NRW aktuell bei 3,92 (Stand 22.11.21) nachdem dies am 16.11.21 noch bei 3,61 lag.

Nach dem Beschluss der MPK vom 18.11.21 hat NRW bereits die erste Schwelle mit Hospitalisierungsinzidenz von 3 überschritten, nach der die Länder den Zugang zu Freizeitveranstaltungen und -einrichtungen, Kulturveranstaltungen und -einrichtungen, Sportveranstaltungen und -ausübungen, gastronomischen Einrichtungen und übrigen Veranstaltungen – in Innenräumen, sowie grundsätzlich zu körpernahen Dienstleistungen und Beherbergungen auf Geimpfte und Genesene (flächendeckende 2G-Regelung) beschränken sollen. Obwohl Ministerpräsident Hendrik Wüst seit Wochen eine 2G-Regel einfordert und auch die Beschlüsse der MPK als nicht ausreichend bezeichnet hat, wurde in NRW diese Schutzmaßnahmen ebenso wenig umgesetzt, wie weitere notwendige Schutzmaßnahmen.

Auch der Anteil der COVID-19-Patientinnen und -Patienten an den betreibbaren Intensivbetten in NRW ist vom 9,55% (Stand 16.11.21) auf 10,16, aktuell (Stand 22.11.21) gestiegen. Das medizinische Personal in den Krankenhäusern arbeitet am Limit und die Zahl für freie betreibbare Intensivbetten sinkt weiter. Den Angaben des DIVI-Registers zufolge sind in NRW aktuell lediglich 2,0 Intensivbetten im Durchschnitt pro Ort noch frei und für das gesamte Land NRW insgesamt 601 freie Intensivbetten (Stand 22.11.21). Nach Angaben des LZG sind in den letzten 7 Tagen (Stand 18.11.21) über 41.000 neue Infektionsfälle gemeldet worden. Bei einer Sterberate von 0,8 Prozent wäre mit weiteren 328 Toten zu rechnen. Aufgrund der immer weiter steigenden Inzidenzen ist davon auszugehen, dass diese Zahlen noch weiter steigen werden.

Vor diesem Hintergrund ist es jetzt dringend nötig gemeinsam alles zu tun, um die zugespitzte Lage zu brechen und die Situation nicht außer Kontrolle geraten zu lassen.

Um die bestehenden Schutzmaßnahmen der Corona-Schutzverordnung aufrecht zu erhalten, gleichzeitig weitere Maßnahmen nach der Änderung des Infektionsschutzgesetzes anordnen und durchsetzen zu können, ist es erforderlich, bis zum 24.11.2021 zu handeln. Dazu muss die Landesregierung die bestehenden Maßnahmen verändern, weitere Schritte, wie die 2G-Regel und die 2G plus-Regel flächendeckend für den Freizeitbereich anordnen und darüber hinaus muss der Landtag die Anwendung des Katalogs nach § 28a Abs. 1 IfSG Absätze 1 bis 6 beschließen. Die Übergangsklausel des neuen Infektionsschutzgesetzes bezieht sich nur auf bereits bis zum 24.11.21 beschlossene Maßnahmen. Diese reichen bei weitem nicht aus und müssen erweitert werden – dafür muss die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 durch den Landtag festgestellt werden.

II. Der Landtag beschließt:

Die Anwendbarkeit der Absätze 1 bis 6 des § 28a IfSG wird für das Land Nordrhein-Westfalen festgestellt.