Wie kann unser Kommunalrecht weiterentwickelt werden, um die demokratische Teilhabe vor Ort zu stärken, mehr Menschen für ein politisches Engagement zu gewinnen und die kommunale Demokratie und Selbstverwaltung auch in schwierigen Zeiten zu sichern? Dieser Frage haben wir uns in den vergangenen zwei Jahren in unterschiedlichen Formaten und Veranstaltungen gewidmet. Viele von Euch haben sich in unterschiedlicher Weise in diesen Prozess eingebracht. Dafür möchten wir Euch nochmals herzlich Danke sagen!
Erstes Ergebnis war ein Antrag zur Stärkung der kommunalen Demokratie, der jetzt in ein Gesetzgebungsverfahren mündet. Seit dieser Woche liegt den Verbänden nun ein erster Gesetzentwurf des Kommunalministeriums zur Abstimmung und Beteiligung vor. Die darin vorgeschlagenen Änderungen berühren das gesamte NRW-Kommunalrecht, insbesondere die Gemeindeordnung (GO NRW), die Kreisordnung (KrO NRW) sowie die Landschaftsverbandsordnung (LVerbO NRW). Ziel ist, die kommunalrechtlichen Änderungen noch vor der Kommunalwahl zu beschließen. Im Folgenden wollen wir Euch einen kurzen Überblick darüber geben, was geplant ist.
Stärkung der Jugendbeteiligung
Bereits im vergangenen Jahr hatten wir die Landesregierung beauftragt, die Mitwirkungsrechte von Jugendlichen zu stärken. Wie damals vom Landtag beschlossen, sieht der Gesetzentwurf eine Absenkung des Mindestalters für Sachkundige Bürger*innen auf 16 Jahre vor (§58 GO, §41 KrO). Um Kinder und Jugendliche in ganz NRW besser einzubeziehen, sollen zudem die Vorgaben für die Bildung von Jugendräten vereinheitlicht werden (§27a GO). Wo noch nicht vorhanden, sollen Kinder und Jugendliche in Zukunft selbst durch ein entsprechendes Initiativrecht beantragen können, dass ihre Kommune einen Jugendrat bekommt.
Mehr politische Teilhabe für Menschen mit Einwanderungsgeschichte
Ebenso sieht der Gesetzentwurf eine Veränderung der integrationspolitischen Strukturen vor (§27 GO). Die bisherigen Integrationsräte werden zu Ausschüssen für Chancengerechtigkeit und Integration aufgewertet. Diese sollen den Fachausschüssen der Räte stärker gleichgestellt und fest in die Beratungsabläufe der Stadt- und Gemeinderäte integriert werden. Dies war insbesondere vom Landesintegrationsrat gefordert worden.
Familienfreundlicheres Ehrenamt
Wie vom Landtag beauftragt, enthält der Gesetzentwurf verschiedene Änderungen, um das kommunale Ehrenamt familienfreundlicher zu machen. So soll zum Beispiel die Möglichkeit, Sitzungszeiten über die Hauptsatzung zu begrenzen, in der Gemeindeordnung verankert werden (§47 GO, §32 KrO). Darüber hinaus soll klargestellt werden, dass betreuungsbedürftige Kinder von Mandatsträger*innen gemeinsam mit ihren Eltern auch in nicht-öffentlichen Sitzungen anwesend sein dürfen (§48 GO, §33 KrO). Nachdem sie bereits Anfang 2024 in der Entschädigungsverordnung (EntschVO) aufgenommen wurde, wird die Fraktions-Doppelspitze nun auch gesetzlich verankert (§16 GO, §31 KrO).
Hinweis: Einige weitere wichtige Verbesserungen in puncto Familienfreundlichkeit waren bereits über die Neufassung der EntschVO zum 1. Januar 2024 eingeführt worden, so zum Beispiel die Festlegung des Mindestlohns als Untergrenze für die Entschädigung von Menschen, die Familienarbeit leisten. Darüber hinaus steht im Hinblick auf die EntschVO die Umsetzung unseres Antrags auf einen inflationsbedingten Ausgleich der Aufwandsentschädigungen für die Jahre vor 2024 noch aus.
Auch Kreistage dürfen in Zukunft Beigeordnete wählen (§§ 47ff KrO)
Mit der Einführung von durch den Kreistag gewählten Kreisbeigeordneten sollen die Kreistage und damit die gewählten Vertreter*innen der Bürger*innen in Zukunft die gleichen Rechte zur politischen Mitbestimmung über den Verwaltungsvorstand erhalten wie Stadt- und Gemeinderäte. Dies stärkt die Stellung des Kreistags gegenüber der/dem hauptamtlichen Landrätin/Landrat sowie die demokratische Legitimation der Kreisverwaltungen gleichermaßen.
Änderung der Fraktions-Mindestgrößen schützt die Arbeitsfähigkeit in großen Räten
Insbesondere aus größeren Städten werden regelmäßig Anpassungen in Bezug auf die zunehmende Zersplitterung der Räte gefordert. Der Gesetzentwurf sieht auch hier Änderungen vor (§56 GO, §40 KrO). So soll die Untergrenze für die Fraktionsbildung zukünftig nicht mehr zwischen kreisfrei und kreisangehörig unterscheiden, sondern allein von der Größe des Rates (und damit indirekt von der Größe der Kommune) abhängen. In allen Räten und Kreistagen über 50 Mitgliedern soll die Untergrenze zukünftig drei Mitglieder, über 74 Sitzen vier und über 90 Sitzen fünf Mitglieder betragen. Die Untergrenze von fünf Mitgliedern soll darüber hinaus auch in den Landschaftsversammlungen (§16a LVerbO) und der Regionalversammlung des RVR (§11 RVRG) gelten. Mit der Neuregelung ist auch weiterhin in den allermeisten Fällen eine Fraktionsbildung ab einem Wähleranteil von 5 Prozent, in vielen Fällen sogar darunter, möglich.
Landschaftsversammlungen sollen kleiner werden
Um ein weiteres Anwachsen der Landschaftsversammlungen von LWL und LVR zu begrenzen, sollen neue Obergrenzen für die über die Reservelisten vergebenen Mandate eingeführt werden. Diese sollen in Zukunft maximal ein Drittel der Sitze in den Landschaftsversammlungen ausmachen (§7b LVerbO). Damit würde die Größe der Landschaftsversammlungen zukünftig auf das 1,5-Fache der Mindestzahl begrenzt, die sich aus der direkten Entsendung der Mitglieder von den Mitgliedskommunen ergibt (je Kreis bzw. Kreisfreier Stadt: 1 Mitglied/ 100.000 Einwohner*innen).
Hilfe zur Selbstverteidigung: NRW zieht Lehren aus dem Umgang mit antidemokratischen Kräften
Nicht zuletzt der bundesweit bekannt gewordene Fall der zeitweisen Kaperung der konstituierenden Sitzung des thüringischen Landtags durch einen AfD-Alterspräsidenten hat gezeigt, dass unsere demokratischen Abläufe vor Missbrauch und Destruktion geschützt werden müssen. Vor diesem Hintergrund wollen wir die Abwehrkräfte unserer kommunalen Gremien gegen antidemokratische und destruktive Kräfte wie die AfD stärken. Der Gesetzentwurf sieht hierzu eine Neuregelung des Altersvorsitzes in Räten und Ausschüssen und die Einführung einer Abwahlmöglichkeit für Bezirksausschussvorsitzende vor. Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren werden wir – in enger Abstimmung mit den kommunalpolitischen Vereinigungen – weitere Änderungen prüfen, unter anderem zu wirksameren Ordnungsmaßnahmen, dem Umgang mit antidemokratisch und destruktiv agierenden Ausschussvorsitzenden oder dem Missbrauch von Fraktionsrechten. Wir wahren dabei die Möglichkeiten zur demokratischen Kontrolle der Verwaltung sowie alle wesentlichen Minderheitenrechte.
Vereinfachung Interkommunaler Zusammenarbeit (§4 GO)
Wie ebenfalls vom Landtag gefordert, sieht der Gesetzentwurf einen deutlichen Fortschritt zur Vereinfachung interkommunaler Zusammenarbeit vor. Diese soll sich in Zukunft nicht mehr auf benachbarte Gebietskörperschaften beschränken, sondern auch Gemeinden, die nicht in direkter Nachbarschaft zueinander liegen, offenstehen. Damit soll eine Restriktion wegfallen, die in der Vergangenheit viele denkbare Kooperationen zwischen nicht benachbarten Kommunen verhindert hat. Inspiration und viele gelungene Beispiele für Projekte der interkommunalen Zusammenarbeit findet Ihr übrigens auf der Plattform “Interkommunales.nrw„.
Kommunales Vergaberecht soll radikal vereinfacht werden
Mit dem Gesetzentwurf sollen alle landesrechtlichen Wertgrenzen für kommunale Vergabeverfahren aufgehoben werden und alle nordrhein-westfälischen Kommunen künftig vergaberechtlich ebenso viel Handlungsfreiheit wie ihre Tochtergesellschaften erhalten. Die Kommunen sind dann grundsätzlich erst ab Erreichen der europäischen Schwellenwerte verpflichtet, förmlich auszuschreiben. Unterhalb der Schwellenwerte sind sie nur an die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung gebunden. Damit kann ein erheblicher Beitrag zum Bürokratieabbau geleistet und insbesondere Investitionen enorm beschleunigt werden.
Zeitplan: Änderungen sollen zur nächsten Ratsperiode (2025 – 2030) greifen
Der Gesetzentwurf befindet sich nun zunächst in der Abstimmung mit den Kommunalen Spitzenverbänden und weiteren Akteuren. Die Landesregierung wird diese Beteiligung auswerten und den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung der Stellungnahmen (ggf. mit Anpassungen) beschließen. Anschließend wird er dem Landtag vorgelegt und durchläuft das obligatorische Gesetzgebungsverfahren. Unser klares Ziel ist, das Gesetz noch vor den Sommerferien zu verabschieden, damit alle Änderungen zur nächsten Wahlperiode, der dann neu gewählten kommunalen Gremien, ab dem 1. November 2025 greifen können.