Chancen der Digitalisierung nutzbar machen und Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen entschieden entgegentreten.

Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Die Digitalisierung bietet gerade für Frauen und Mädchen viele Chancen zur Information, Kommunikation sowie Beteiligung an gesellschaftlichen und demokratischen Prozessen, die oftmals nicht genutzt werden. Lediglich 72 Prozent aller Frauen und Mädchen im Vergleich zu 83 Prozent der Männer in Deutschland nutzten in 2014 regelmäßig das Internet. In der Partizipationsforschung gibt es Befunde, denen zufolge Frauen seltener an elektronischen Partizipationsprozessen teilnehmen als Männer. Dafür gibt es vielfältige Gründe, die von technischen Hemmnissen über Sorgen um die Sicherheit der eigenen Daten bis hin zu Angst vor Cybergewalt reichen.
Auf der 24. und der 25. Konferenz der Gleichstellungs- und FrauenministerInnen, und -senatorInnen der Länder (GFMK) wurde – auf Initiative von NRW – das Thema Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen aufgegriffen. Auf der 25. GFMK am 2. und 3. Juli 2015 beschlossen die MinisterInnen und SenatorInnen auf Antrag Nordrhein-Westfalens verschiedene Maßnahmen, die auf Bundes-und Landesebene zu diesem Thema unternommen werden sollen. Nordrhein-Westfalen sieht sich in einer besonderen Verantwortung, die vorgeschlagenen Maßnahmen für den landespolitischen Rahmen zu spezifizieren und zügig umzusetzen.
Cybergewalt nimmt mit der wachsenden Bedeutung von digitaler Kommunikation immer stärker zu. Frauen und Mädchen sind hiervon überproportional stark betroffen. Cybergewalt umfasst sowohl Cybermobbing, Cybergrooming, Cyberstalking als auch Cybersexismus. Unter Cybermobbing versteht man dabei das Mobbing und Schikanieren einer Person im Internet, oft auch durch Veröffentlichung von Bildern. In vielen Fällen tritt dies in Schul- oder Arbeitszusammenhängen auf. Cybergrooming ist die Anbahnung von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern durch Erwachsene im Netz. Zu einem großen Anteil (ca. 90 Prozent) handelt es sich hier um männliche Täter, Betroffene sind dagegen zu ca. 75 Prozent weiblich. Beim Cyberstalking wird einer Person durch eine andere online nachgestellt. Auch hier stehen überwiegend männliche Täter (ca. 80 Prozent) weitgehend weiblichen Opfern gegenüber (auch ca. 80 Prozent). Beim Cybersexismus, bei dem gezielt gegen netzaktive Frauen vorgegangen und versucht wird feministische Äußerungen im Netz zu unterdrücken, sind die Opfer nahezu ausschließlich Frauen und Mädchen.
In der Begründung der Beschlüsse der 25. GFMK wird auf einer Studie der Fundamental Rights Agency (FRA) der EU von 2012 verwiesen. Danach gaben elf Prozent der 42.000 Teilnehmerinnen aus 28 EU-Ländern an, schon einmal Belästigungen im Internet erfahren zu haben. Der Anteil der 18- bis 29-jährigen Frauen lag sogar bei 23 Prozent.
Diese Zahlen sind erschreckend und führen in nicht seltenen Fällen dazu, dass Frauen nicht mehr bereit sind, offen im Netz ihre Meinung zu vertreten. Gerade wenn es sich um feministische Positionen handelt, sind die Autorinnen einem besonders großen Risiko ausgesetzt, beleidigt oder bedroht zu werden. Vielfach werden bestimmte Standpunkte derart angefeindet, dass ein offener Meinungsaustausch kaum noch möglich ist. Den Betroffenen wird dann oft zusätzlich vorgeworfen, dass sie sich durch ihr Auftreten im Netz selbst angreifbar machten und ihre Aktivitäten zur Vermeidung weiterer Angriffe einstellen könnten. Diese Herangehensweise sieht die Verantwortung bei den Opfern, anstatt denjenigen Grenzen aufzuzeigen, die Beleidigungen und Bedrohungen aussprechen. Freie Meinungsäußerung im Netz muss für alle möglich sein. Wenn Menschen aus Angst von der Äußerung ihres Standpunktes abgehalten werden, ist es Aufgabe von Bund und Land, aktiv zu werden und die freie Meinungsäußerung zu schützen.
Auf Landesebene ist es vor allem wichtig, für das Thema zu sensibilisieren. Insbesondere in den Berufsgruppen, die häufig mit Taten aus dem Kontext Cybergewalt konfrontiert werden, ist daher ein Fort- und Weiterbildungsangebot erforderlich.
Zusätzlich zu den im Beschluss der GMFK angesprochen Punkten ist eine verstärkte Aufklärungsarbeit in Schulen, Jugendverbänden und der offenen Kinder- und Jugendarbeit über die verschiedenen Phänomene der Cybergefahren sowie der Potenziale, die das Internet gerade auch für Mädchen und junge Frauen bietet, unverzichtbar. Auch hier nimmt das Land NRW bereits heute eine Vorreiterrolle ein.
Neben medienpädagogischen Konzepten wie dem Medienpass.NRW oder den Medienscouts NRW, die zusammen mit dem Ministerium für Schule und Weiterbildung, der Landesanstalt für Medien NRW und dem Zentrum für Medien und Bildung entstanden sind, wird seit Anfang 2015 mit Hilfe  der „Landesstelle für Gewaltprävention und Prävention von Cybergewalt an Schulen in NRW“ noch intensiver darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig Aufklärung und Prävention bei Cybermobbing ist. Gewalt, Mobbing und Cybermobbing dürfen in Schulen keinen Platz haben.
Nicht nur für junge Menschen stellen das Internet und soziale Netzwerke feste Bestandteile ihres alltäglichen Lebens dar. Hiervon profitieren auch Mädchen und junge Frauen, die durch das Internet Zugang zu vielfältigen Informationen und neuen Kommunikationsformen haben.
Geschlechterspezifische Informations- und Aufklärungsarbeit sollte gerade deshalb auch innerhalb des Internets stattfinden. In der Vergangenheit haben sich hier vielfältige feministische Blogs, neue feministische Online-Medien und öffentliche politische Diskurse als wirksame Gegenöffentlichkeit dargestellt. Informationen können im Internet so schnell und weitgefächert verbreitet werden, wie nirgendwo sonst.
Frauen und Mädchen ist es außerdem durch das Internet schnell und unkompliziert möglich, an politischen Prozessen teilzunehmen und sich an Entscheidungsprozessen aktiv zu beteiligen.
Eine Förderung der Netz-und Medienkompetenz kann einerseits präventiv wirken, da Kinder und Jugendliche auf die Folgen ihres Verhaltens im Netz aufmerksam gemacht werden. Andererseits kann eine Verbesserung der technischen und sozialen Fähigkeiten zu Mediennutzung und Medienkritik insbesondere Mädchen und Frauen darin stärken, sich sicher und selbstbewusst im Netz zu bewegen und an Online-Prozessen und Diskursen mitzuwirken.
Doch ist auch der digitale Raum nicht frei von Gewalt. Neben die Informations-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit muss daher – insbesondere im Fall massiver Rechtsverletzungen, von denen Frauen und Mädchen überdurchschnittlich häufig betroffen sind – eine effektive Strafverfolgung treten. Durch Einrichtung der Zentralstelle und Ansprechpartner Cybercrime (ZAC NRW) in Köln verfügt Nordrhein-Westfalen seit dem 15. März 2016 über eine landesweite Zentralstelle mit besonderer Expertise für Ermittlungen im Bereich der Computer- und Informationstechnik und der sozialen Netzwerke. Die ZAC NRW bringt ihre Erkenntnisse und die Erfahrungen aus der Ermittlungspraxis in die Aus- und Fortbildung der Justiz ein.
Das deutsche Telemediengesetz kennt mit dem Grundsatz „notice and take down“ bereits dem Grunde nach umfangreiche Verpflichtungen für die Betreiberinnen und Betreiber von Internetseiten bzw. die Erbringerinnen und Erbringer von Internetdiensten. Hierbei zeigen sich aber heute noch vielfach Durchsetzungsprobleme. Besonders massiv kritisiert wurden in den vergangenen Monaten die Betreiberinnen und Betreiber der großen sozialen Netzwerke. Sie müssen künftig stärker in die Verantwortung genommen werden, um Gewalt im Internet einzuschränken.
Der Landtag begrüßt den aktiven Einsatz der Landesregierung gegen Cybergewalt, Cybermobbing, Cybergrooming und Cybersexismus.
Der Landtag fordert die Landesregierung auf:
zu prüfen, wie im Rahmen bestehender Fortbildungsmaßnahmen in der Polizei und der Justiz für das Thema „Cybergewalt“ verstärkt sensibilisiert werden kann.
die Aspekte Cybermobbing, Cybergrooming, Cybergewalt und Cybersexismus stärker in den Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte in den Bereichen Schule und Jugendarbeit sowie der Mädchen- und Frauenberatungsstellen zu verankern.
die Arbeit der Beratungs- und Anlaufstellen für Frauen und Mädchen, die Opfer von Cybergewalt wurden, sowie die Arbeit der „Landespräventionsstelle gegen Gewalt und Cybergewalt an Schulen in NRW“ weiterhin zu unterstützen.
die Landesanstalt für Medien NRW darin zu unterstützen, die Projekte zur Medienkompetenzförderung unter geschlechtsspezifischen Aspekten auszubauen, um Frauen und Mädchen weiter zu stärken.
im Rahmen der verstärkten Netz- und Medienkompetenzförderung an Schulen und in der Jugendarbeit auch weiterhin über Cybermobbing, Cybergrooming, Cybergewalt und Cybersexismus aufzuklären. Dabei sollen spezielle Belange von Mädchen und jungen Frauen berücksichtigt werden.  
die Erfahrungen der ZAC NRW in Ermittlungsverfahren wegen netzbasierter Gewalt- und Hasskriminalität auch unter Genderaspekten auszuwerten und für Polizei und Justiz in Nordrhein-Westfalen nutzbar zu machen.
in das Landeslagebild „Cybercrime“ des ZAC NRW zukünftig Aspekte der Cybergewalt, die sich gegen Frauen und homo- und transsexuelle Menschen richtet und Hasskriminalität, die rassistisch, religiös oder behindertenfeindlich begründet ist, aufzunehmen.
sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass im Rahmen der Taskforce „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Netz“ des Bundesministeriums Justiz Genderaspekte Berücksichtigung finden.