Wibke Brems: „Die Prävention, insbesondere in Grundschulen, muss gestärkt werden“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von SPD und FDP zu Gewalt an Schulen

Wibke Brems (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Voller Vorfreude gehen die i-Dötzchen am ersten Tag in die Schule. Sie berichten anschließend von ihrer Lehrerin, ihrem Lehrer, der besten Freundin und dass es „voll cool“ war. So jedenfalls war es bei meinem Neffen, als wir mit ihm vor einem halben Jahr seine Einschulung gefeiert haben.

Leider geht es aber nicht immer so positiv weiter. Irgendwann kommt Frust auf. Man versteht mal was nicht; vielleicht langweilt man sich auch mal; eine Klassenarbeit wird versemmelt; man wird für falsche Klamotten gehänselt; man fühlt sich nicht zugehörig; man hat Streitereien oder Konflikte, für die es einfach keinen Ausweg zu geben scheint. Solche und ähnliche Situationen kennen wir, glaube ich, alle noch aus der Schule, auch wenn die Schulzeit bei vielen im Raum schon etwas länger her ist.

Frust gehört zur Schule. Frust gehört zum Leben. Und zum Erwachsenwerden gehört es dazu, zu lernen, mit Frustmomenten umzugehen,

(Marcel Hafke [FDP]: Frust?)

sich wieder aufzuraffen, für seine eigenen Positionen einzutreten, die Positionen von anderen zu akzeptieren, auch mal unliebsame Aufgaben zu erledigen und bei Konflikten Kompromisse einzugehen.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Angesichts der erschreckenden Zahlen zu „Gewalt an der Schule und gegen Lehrkräfte“ in der Studie im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung taucht zwangsläufig die Frage auf, warum der Frust von Kindern und Jugendlichen in Gewalt umschlägt: in Mobbing, in Drohungen, in körperliche Gewalt gegen Mitschüler*innen, aber eben auch gegen Lehrer*innen.

Wir alle wissen doch: Die Schule ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Also muss die Frage lauten: Was ist in unserer Gesellschaft los?

Wer sich im Supermarkt nicht schnell genug für eine Kasse entscheidet, wird angepöbelt. Beim Einstieg in den Zug wird gedrängelt und geschubst. Bei Meinungsverschiedenheiten wird direkt persönlich beleidigt. In den sozialen Medien werden Leute, die ihre Hobbys oder einfach nur ihr Outfit teilen, von Fremden heruntergemacht.

Führende Politiker sind nicht bereit, Kompromisse einzugehen. Dabei sind Kompromisse doch das Wesen der Demokratie. Politiker reden verächtlich über Menschen, Gruppen oder ihre politischen Mitbewerber.

Wenn schon Erwachsene im Alltag so miteinander umgehen, wenn Kinder und Jugendliche solches Verhalten im Alltag bei den Großen sehen, aber auch hören, dass der Kompromiss von Politiker*innen als etwas Schlechtes dargestellt wird: Wie sollen dann, bitte, Kinder und Jugendliche lernen, mit Frust umzugehen? Wie sollen sie lernen, Kompromisse einzugehen?

Wir alle, ob in unserem Alltag oder in diesem Hohen Haus der Demokratie, tragen Verantwortung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Die Schülerinnen und Schüler, die hier auf der Tribüne sitzen, beobachten uns und unser Verhalten sehr genau. Für sie ist die Vielfalt längst Realität. Die AfD – wir haben es heute wieder mal gehört – schürt Ängste, um darauf Hass und Hetze aufzubauen. Ich sage ganz klar: Wir werden dem immer entgegentreten, weil wir ein Land verteidigen, das in seiner Vielfalt zusammenhält.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Zahlen zur Gewalt an Schulen im Jahr 2020 sprunghaft angestiegen sind. Corona und unser Umgang an Kitas und Schulen damit hat bis heute Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen. Fehlende oder massiv eingeschränkte Kontakte mit Gleichaltrigen haben die Frustrationstoleranz und Kompromissfähigkeit von Kindern und Jugendlichen sinken lassen.

Ich sage in der Rückschau ganz klar: Es darf nicht wieder passieren, dass die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen in einer Krise so aus dem Blick geraten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Natürlich darf die Erkenntnis, dass die Schule ein Spiegel der Gesellschaft ist, nicht dazu führen, dass wir sagen: Unsere Gesellschaft ist halt so; da können wir auch nichts machen; dann werden unsere Kinder halt immer gewalttätiger – natürlich nicht.

Diese Landesregierung tut schon sehr viel. Ich will Ihnen gar nicht mit den einzelnen Projekten wie Notfallordnern, Handbüchern oder Leitfäden kommen. Ich finde aber, dass das neue Programm „MindOut“ der Landesregierung sehr klar heraussticht. „MindOut“ startet zunächst an 80 Schulen und bald noch an weiteren Schulen in NRW. Es fördert Selbstbewusstsein, Selbstorganisation, soziales Bewusstsein, Beziehungspflege und verantwortliches Entscheidungsverhalten.

Genau das brauchen junge Menschen bei den Herausforderungen des Erwachsenwerdens doch: ein starkes Selbstwertgefühl und den Mut, Herausforderungen von heute und morgen anpacken zu können.

(Beifall von den GRÜNEN)

Gleichzeitig gebe ich unumwunden zu: Es gibt trotzdem noch viel zu tun. Sehr groß gedacht heißt dies: Unser Schulsystem funktioniert in alten, manchmal veralteten Mustern. Eine Menge Updates wäre notwendig, um das System ins 21. Jahrhundert zu bringen.

Die alten Strukturen aus dem vergangenen Jahrhundert sind den Herausforderungen der aktuellen Zeit nicht gewachsen: der Integration von Migrant*innen und Migranten, dem Umgang mit Digitalisierung und sozialen Medien, Fake News sowie der gesellschaftlichen und politischen Polarisierung.

Aber selbst im Kleinen ist klar: Die Prävention, insbesondere in Grundschulen, muss gestärkt werden. Das ist, ob es uns gefällt oder nicht, die Realität. Viele Eltern brauchen mehr Unterstützung bei der Begleitung ihrer Kinder. Dabei kann Familienbildung helfen.

Wie es unseren Kindern geht, geht uns alle etwas an. Wie es in unseren Schulen zugeht, geht uns alle etwas an – egal, wie lange es her ist, dass wir selbst das letzte Zeugnis in der Hand hatten.

Es kann einfach nicht sein, dass Lehrkräfte, egal ob von Schülerinnen und Schülern oder von Eltern, Gewalt erfahren. Denn die Lehrkräfte sind es, die die Zukunft der Jugendlichen entscheidend prägen. Sie ordnen die Welt ein, sie verteidigen unsere Demokratie, und sie machen sie greifbar. Sie verdienen den Respekt aller. Wir müssen Lehrerinnen und Lehrer schützen.

Wie so oft in der Politik, sind die Antworten nur für Populisten einfach und schnell. Es ist aber auch bei diesem Thema, genauso wie in anderen aktuellen bundespolitischen Debatten, geboten, ehrliche Analysen vorzunehmen und umsichtig Maßnahmen zu ergreifen; im demokratischen Diskurs miteinander. Seien wir den Kindern und Jugendlichen ein Vorbild. – Danke schön.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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