Verena Schäffer (GRÜNE): Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der kleine Yannis liebte sein Polizeiauto. Er war ein kleiner Junge, der morgens in die Kita gebracht wurde und nicht zu seinem Polizeiauto zurückkehrte, sondern gewaltsam aus dem Leben gerissen wurde. Der Schmerz der Angehörigen muss unermesslich sein.
Das gilt ebenso für den Schmerz der Angehörigen des mutigen Mannes, selbst Vater, der einschritt, um wehrlose Kinder zu schützen, und dabei getötet wurde. Er hat eine Selbstlosigkeit und Menschlichkeit gezeigt, vor der ich persönlich sehr großen Respekt habe.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
In den vergangenen Monaten haben schwere Verbrechen unser Land erschüttert. Jede einzelne dieser Taten muss gründlich aufgeklärt werden: die Anschläge von Mannheim, Solingen, Magdeburg und nun diese furchtbare Tat von Aschaffenburg. Die Menschen erwarten zu Recht, dass der Staat für Sicherheit sorgt, damit wir die Freiheit bewahren, Stadtfeste und Weihnachtsmärkte besuchen und unsere Kinder auf einen Ausflug schicken können.
Deshalb haben wir als schwarz-grüne Koalition nach Solingen Schritte für mehr Sicherheit unternommen. Wir arbeiten die Terrortat hier auf. Das erwarte ich auch im Fall von Aschaffenburg. Fragen zu möglichen Behördenfehlern und Fehleinschätzungen müssen beantwortet werden. Denn der Täter von Aschaffenburg war mehrfach auffällig geworden und den Behörden bekannt.
Wir brauchen wirksame Maßnahmen, die Gewalttaten tatsächlich verhindern können und unsere Freiheit erhalten. Dazu gehören die Ausstattung und die Verbesserung des Datenaustausches von Behörden sowie ihre Zusammenarbeit. Ich finde, effektive Sicherheit zu schaffen ist wichtiger als die billige Schlagzeile. Das unterscheidet uns als schwarz-grüne Koalition schon lange von der FDP.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Zur Analyse gehört auch die Untersuchung der Motive der Täter. Sie sind bei diesen verschiedenen Anschlägen sehr unterschiedlich. Trotzdem fallen Parallelen auf: Die Täter sind ausnahmslos Männer; es liegen psychische Erkrankungen vor; es gibt Fluchtgeschichten.
Es kommt darauf an, dass die Behörden potenzielle Täter im Vorfeld besser erkennen. Personen, von denen eine hohe Gefahr ausgeht, dürfen nicht durch das Raster fallen.
(Beifall von den GRÜNEN und Peter Blumenrath [CDU])
In Nordrhein-Westfalen nimmt das bundesweit einmalige Projekt „PeRiskoP“ der Polizei Menschen in den Blick, bei denen eine psychische Erkrankung und eine Gewaltaffinität zusammentreffen. Die Vernetzung der verschiedenen Behörden in diesen Fällen ist der richtige Ansatz.
Mir ist dabei aber auch wichtig, zu sagen: Wer an einer psychischen Erkrankung leidet, wird nicht automatisch zum Straftäter. Er gehört in kein Register. Er braucht psychologische Hilfe und Unterstützung.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Genauso wenig dürfen Geflüchtete unter Generalverdacht gestellt werden. Trotzdem müssen wir genau hinschauen, denn Gewalterfahrungen und eine unsichere Perspektive sind Faktoren, die psychische Erkrankungen verschärfen können. Deshalb war es richtig, dass wir trotz der sehr angespannten Haushaltslage in Nordrhein-Westfalen die psychosoziale Erstberatung für Geflüchtete und die Psychosozialen Zentren stärken – auch als Beitrag für die innere Sicherheit.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)
Wichtig sind schnellere Verfahren, damit die Menschen schnell Klarheit bekommen. Die Verfahren dauern insbesondere bei den Dublin-Rücküberstellungen zu lange und enden oft erfolglos. Das war auch bei dem Täter von Aschaffenburg der Fall.
In Nordrhein-Westfalen machen wir unsere Hausaufgaben. Wir haben –übrigens schon vor Solingen, lieber Herr Höne – das Rückführungsmanagement verbessert und die Zentralen Ausländerbehörden gestärkt.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Dublin-Regelung ist insgesamt gescheitert. Das GEAS ist nur ein Einstieg in ein europäisches Verteilsystem.
Die Antwort darauf, auch von Friedrich Merz, kann aber doch nicht sein – dafür steht die CDU aus meiner Sicht auch nicht –, dass europäische Zusammenarbeit, Solidarität, Rechtsstaatlichkeit und Freizügigkeit in Europa aufgegeben werden. Die Antwort auf die erschütternden Anschläge, Behördenfehler und grundsätzlichen systemischen Fehler muss doch sein, dass man unter den Demokraten miteinander spricht und gemeinsam mit unseren Nachbarn an europäischen Lösungen arbeitet.
Ich bin überzeugt davon: Wir brauchen in diesen Zeiten nicht weniger, sondern wir brauchen mehr Europa.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Die Tat von Aschaffenburg ist auch deshalb so erdrückend, weil Kinder angegriffen wurden. Es sind unsere Kinder. Der kleine Yannis hat marokkanische Wurzeln. Das verletzte Mädchen ist Tochter von Kurden aus Syrien. Dass die AfD ausgerechnet diese Kinder für ihre rassistische und menschenverachtende Hetze instrumentalisiert, ist an Perversion nicht zu überbieten.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zuruf von Carlo Clemens [AfD] – Andreas Keith [AfD]: Ekelhaft! – Markus Wagner [AfD]: Sie machen nahtlos bei Ihren Selfies weiter! – Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Ekelhaft!)
Dass ein zwölfjähriges Mädchen, ein Kind mit afghanischer Herkunft, am Samstag auf der Demo gegen Rechtsextremismus in Aschaffenburg an das Mikrofon getreten ist,
(Unruhe bei der AfD – Carlo Clemens [AfD]: Unfassbar!)
gesagt haben soll, sie sei nicht böse, und das Gefühl haben muss, sie müsse das klarstellen, finde ich einfach nur erschütternd.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Wir als Demokratinnen und Demokraten dürfen den Rechtsextremen niemals auch nur einen Millimeter Raum geben. Denn wer den Rechtsextremen Raum gibt, der gibt ihnen Macht, und das darf in Deutschland nie wieder passieren.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Wir als Abgeordnete sind unserem Gewissen verpflichtet.
(Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Welches Gewissen?)
Das gilt hier im Landtag, und das gilt im Deutschen Bundestag.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Wenn in den deutschen Parlamenten Beschlüsse durch die Stimmen der AfD zustande kommen, dann stärkt das einzig und allein die Rechtsextremen, und es schwächt unsere Demokratie.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mehr denn je geht es in diesen Tagen um die Verantwortung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und um die Verantwortung für eine stabile Demokratie. Ich bin mir sicher, dass die Demokratie immer stärker sein wird als der Hass. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)