Tim Achtermeyer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, diese Debatte funktioniert ein bisschen zu sehr in Reflexen. Ja, die Infrastruktur in diesem Land bröckelt. Sie bröckelt aber auch nicht erst seit gestern.
(Christian Dahm [SPD]: So ist es!)
Seit 20 Jahren hat die Politik über alle Parteifarben hinweg Probleme und Löcher mit Gaffa-Tape zugeklebt, statt wirklich zu investieren.
(Christian Dahm [SPD]: Es hat keiner den Vorwurf gemacht!)
Es hat also jeder hier oder die Parteifarbe, die ihn hier hingebracht hat, eine Verantwortung. Das müssen wir jetzt gemeinsam lösen.
(Jochen Ott [SPD]: Das stimmt!)
Ich höre jetzt von der SPD, dass wir viel mehr Geld und überall Investitionen brauchen. Das teile ich im Grundsatz.
(Jochen Ott [SPD]: Das stimmt auch!)
Sie sagen aber auch, Sie würden unsere Arbeit machen. Na ja, zu unserer Arbeit würde es aber auch gehören, einmal zu erklären, woher das Geld kommen soll, das Sie ausgeben wollen.
(Alexander Baer [SPD]: Das haben wir ja getan!)
Das findet sich nämlich nicht. Ich habe den Antrag noch einmal durchgelesen. Ich finde keinen Finanzierungsvorschlag. Es ist auch nicht doppelseitig gedruckt. Ich weiß also nicht, woher der Finanzierungsvorschlag kommen soll. Das würde aber zur Arbeit gehören. Das wäre souverän und auch redlich.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)
Dann muss ich sagen: Wir als Land sollen jetzt noch einmal 15 Milliarden Euro aufnehmen, und Sie haben noch ein paar Sachen gesagt, die wir machen sollen. Wir sollen das meiste von diesem 500-Milliarden-Euro-Investitionspaket an die Kommunen geben. Mit dem gleichen Geld sollen wir auch noch alle Landesliegenschaften – Hochschulen, Polizei, Justiz, Landesober- und Landesmittelbehörden, Finanzverwaltung –, Schulen und den Bereich „Sport“ machen. Was wir nicht alles damit machen sollen!
(Jochen Ott [SPD]: Deshalb macht ihr lieber gar nichts!)
– Moment. – Jetzt ist es ja so, dass diese 500 Milliarden Euro für ganz Deutschland sind. Für Nordrhein-Westfalen sind es ungefähr 21 Milliarden Euro. Auf zwölf Jahre gerechnet ergibt das einen Spielraum von ungefähr 1,75 Milliarden Euro. So weit, so gut.
Vizepräsident Christof Rasche: Herr Kollege Achtermeyer.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Ja.
Vizepräsident Christof Rasche: Der Kollege Zimkeit hat den Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Ich freue mich.
Vizepräsident Christof Rasche: Bitte sehr.
Stefan Zimkeit (SPD): Mal sehen, ob es bei der Freude bleibt. – In der letzten Legislaturperiode haben die Grünen gemeinsam mit der SPD für ein kreditfinanziertes Landesinvestitionsprogramm gestimmt, das genau die Punkte umsetzen sollte, die Sie gerade noch einmal aufgemetert haben. Warum haben Sie dann die gleiche Forderung, die wir in dieser Legislaturperiode vor den gleichen Hintergründen gestellt haben, abgelehnt?
Tim Achtermeyer (GRÜNE): Nein, nein! Ich will es noch einmal vorrechnen. Warten Sie bitte diese Rechnung einmal ab.
Von 500 Milliarden Euro sind 21 Milliarden Euro für NRW. Das sind 1,75 Milliarden Euro pro Jahr. Damit sollen wir jetzt alles – alle Schulen, alle Kitas, alle Universitäten, alle Polizeibehörden; alles – finanzieren. Das kostet richtig viel Geld, und man wird bei Weitem nicht mit diesem Milliardenbetrag auskommen. Er wird bei Weitem nicht reichen.
Nun enthält der Bundeskoalitionsvertrag aber nicht nur das, sondern auch noch ordentlich Steuersenkungen, die das Land mitfinanzieren soll – pro Jahr ungefähr 1,5 Milliarden Euro, aufwachsend auf bis zu 3 Milliarden Euro pro Jahr. Wer mitrechnen kann, sieht, dass das ein Delta von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr ergibt. Wo sollen wir das Geld denn herbekommen? Aus dem Landeshaushalt? Die ganze Rechnung der SPD ist doch unseriös.
(Christian Dahm [SPD]: Soll der Landeshaushalt das ausgleichen, oder was?)
Es tut mir leid. Was Sie hier machen, ist doch unseriös.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Das haben Sie doch letzte Legislatur noch mitbeschlossen!)
Deswegen ist ja so interessant, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende Miersch darauf angesprochen wurde, dass die Länder jetzt alle klagen, wie sie das eigentlich alles finanzieren sollen. Das ist ja nicht nur das Land NRW, sondern auch das Saarland. Daraufhin sagte der Fraktionsvorsitzende Miersch: Ich weiß gar nicht, warum die Länder sich so anstellen; die kriegen doch jetzt Investitionsmittel; damit können sie das doch alles finanzieren.
Jetzt ergibt sich also Folgendes: Wir sollen mit den Mitteln, die wir eigentlich zum Investieren bekommen, die Wahlkampfversprechen der SPD und des SPD-Finanzministers bezahlen. Wie soll das denn zusammengehen? Wie sollen wir damit auch nur eine Schule und ein Schulklo sanieren? Wie soll das funktionieren? Es funktioniert gar nicht.
(Jochen Ott [SPD]: Das ist ja ein bisschen billig! – Elisabeth Müller-Witt [SPD]: Das ist aber billig!)
Es funktioniert gar nicht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Dann will ich noch einen Punkt ansprechen, wenn wir schon über Steuersenkungen reden.
(Zuruf von Stefan Zimkeit [SPD])
Ich gönne ja jedem eine Steuersenkung. Und die Steuersenkungen, die im Raum stehen, sollen vor allem die Wirtschaft wieder ankurbeln.
(Stefan Zimkeit [SPD]: Wollen Sie die Frage noch beantworten? – Simon Rock [GRÜNE]: Hat er doch!)
Wenn ich mir aber angucke, dass die Senkung der Gastronomiesteuer vor allem einen Hauptprofiteur hat, nämlich McDonalds mit 140 Millionen Euro Mehrgewinn pro Jahr, dann frage ich mich schon, wie das die Konjunktur ankurbeln soll. Ich glaube, das hätte man deutlich besser steuern können, sodass es wirklich eine Entlastung gibt, meinetwegen für die Kneipe um die Ecke. Das wäre dann auch ein Ankurbeln der Wirtschaft – also auf jeden Fall dieser Wirtschaft – gewesen. So ist es das auf jeden Fall nicht.
Am Ende möchte ich noch eines sagen. Ich war kürzlich in Berlin und habe dort Herrn Gauck gehört. Herr Gauck hat gesagt: Wir reden alle immer viel zu viel über den Missmut in diesem Land und darüber, was alles nicht gut läuft. – Damit hat er, finde ich, recht – unabhängig davon, dass die Infrastruktur in diesem Land wirklich wegbröckelt. Wir sollten aber auch über das Gelingen reden. Zum Gelingen gehört, dass irgendeiner das, was wir hier an Investitionsmitteln auf den Weg bringen, auch umsetzen muss.
Deswegen sage ich an dieser Stelle: Was Oliver Krischer in seinem Ministerium hinbekommen hat – dass wir Brücken in Expressbauweise errichten, dass wir im Turboverfahren ausschreiben, dass wir hier eine Brücke nach der anderen in den nächsten zehn Jahren in diesem Land wieder funktionsfähig hinbekommen –, ist wirklich eine Geschichte des Gelingens. Ich verstehe, dass die SPD jetzt nicht Oliver Krischer hochjubeln kann. Aber ich glaube, es täte uns gut, wenn wir auch die Geschichten des Gelingens in diesem Land wieder mit ein bisschen mehr Freude erzählen würden, um auch Lust darauf zu machen und zu vermitteln, dass man in diesem Land etwas hinbekommen kann
(Jochen Ott [SPD]: Wir hätten gerne Freude!)
und dass die Infrastruktur nicht so bleiben muss, wie sie ist, sodass wir alle gemeinsam wieder gern in den Zug einsteigen, weil die Schienen in Ordnung sind und der Zug auch fährt. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)