Sigrid Beer: „Wir haben eine neue Sicherheitslage und müssen Sicherheit umfassend neu denken“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und FDP zur Bundeswehr

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Außenministerin Annalena Baerbock hat in großer Klarheit und Eindeutigkeit auch international zu dem brutalen Angriff Stellung genommen, der von Russland ausgegangen ist.

Wladimir Putin hat, von Lügen und Propaganda begleitet, einen brutalen Krieg vorbereitet und entfesselt. Mit dem 24. Februar müssen wir die Erschütterung unserer Friedensordnung eingestehen. Angesichts des blutigen Überfalls Russlands und des völkerrechtlich verbürgten Selbstverteidigungsrechts der Ukraine sind Waffenlieferungen an die Ukraine notwendig.

Wolfgang Huber, der ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschland, hat angesichts des Krieges des Islamischen Staats in der friedensethischen Debatte gesagt:

„Pazifismus heißt nicht Passivität. Pazifisten sind diejenigen, die Frieden machen. Pazifisten sind nicht diejenigen, die alles geschehen lassen.“

Das teile ich ausdrücklich.

Ja, es gilt, sich ehrlich zu machen. Höhere Ausgaben für die Bundeswehr sind notwendig. Das hat Annalena Baerbock übrigens auch schon im Jahr 2020 angemerkt.

Dass sogar warme Jacken und Unterwäsche für Soldatinnen eingefordert werden müssen, das ist längst nicht mehr zum Schmunzeln. Aber en passant muss ich auch daran erinnern: Vor der aktuellen Verteidigungsministerin gab es von 2005 an fünf CDU/CSU-Minister*innen, die das Ressort geführt und ein unterirdisches Beschaffungsmanagement zu verantworten haben. Dieses Beschaffungsunwesen muss der Reform unterzogen werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Ja, wir müssen mehr für Ausrüstung ausgeben und Waffensysteme modernisieren. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass die Ankündigung von 100 Milliarden Euro Sondervermögen im Bundestag mit mehr Nachdenklichkeit aufgenommen worden wäre. Lauten Jubel bei der Ankündigung von mehr Geld für Waffen fand ich persönlich eher verstörend.

Warum brauchen wir denn mehr Geld für Waffen? Weil der europäische Friedensgedanke so massiv bedroht wird. Die Bilder von 18-Jährigen, eben noch in der Uni, die jetzt in den Krieg ziehen müssen, lassen mich nicht los. Dass gleichzeitig von Friedrich Merz versucht wurde, Friedensdemos und Mahnwachen zu diskreditieren, war unwürdig.

(Beifall von Matthi Bolte-Richter [GRÜNE])

Wir haben eine neue Sicherheitslage und müssen Sicherheit umfassend neu denken.

Ja, es geht um die Bundeswehr, es geht aber auch um den Cyberkrieg, es geht um mehr Zivilschutz und einen leistungsfähigen Katastrophenschutz. Ich finde es schade, dass das nicht in Ihrem Antrag steht.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die erlebte, bewusste Täuschung auf der Ebene der Diplomatie darf nicht zur Aufgabe von Diplomatie und der Arbeit an Friedensstrategien führen.

Zur Anerkennung unserer Soldatinnen und ihrem Engagement gehört es, zu überdenken, was sie in ihren Einsätzen erleben mussten. Die Bundeswehr ist oft genug allein gelassen worden, wie z. B. im Afghanistan-Einsatz. Diejenigen, die von ihrem Einsatz dort überzeugt waren, mussten erleben, dass sie Menschen zurücklassen, die ihnen vertraut waren, mit denen sie zusammengearbeitet haben.

Einsatz, Exitstrategien und Friedensstrategien müssen immer zusammengedacht werden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass zum Beispiel auch im Kooperationsvertrag von Schulministerium und Bundeswehr im Rahmen der politischen Bildung der sicherheitspolitische mit dem friedensethischen Diskurs zusammengeführt wird. Es geht eben nicht um Vereinfachung, wie Sie das im Antrag schreiben. Die Welt ist komplizierter geworden. Diese komplexe Debatte muss im Rahmen von politischer Bildung auch geführt werden.

Unsere Parlamentsarmee – da haben Sie vollkommen recht –, demokratisch legitimiert, ist unverzichtbarer Bestandteil der Sicherheitsarchitektur. Trotzdem ist doch jetzt in dieser Situation auch wahr: Mit Waffen wird – hoffentlich jetzt auch in der Ukraine – das Schweigen von Waffen erreicht werden. Aber echter Frieden wird so nicht garantiert. Daran muss weiter und anders gearbeitet werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Deshalb müssen die Möglichkeiten der Friedenssicherung, der Konfliktverhütung mit zivilen und gewaltfreien Mitteln ebenso wie die globale Gerechtigkeit thematisiert werden.

Gerade jetzt ist es richtig, qualifizierte Gesprächspartnerinnen, zum Beispiel aus der Kirche oder international tätigen Hilfsdiensten, im Diskurs mit den Jugendoffizieren zu beteiligen.

In der Anhörung zu der Kooperationsvereinbarung ist schon damals sehr deutlich geworden, was die Jugendoffiziere eben nicht aus sich heraus und allein leisten können. Zum Aufwachen in einer neuen Welt gehört auch das Realisieren, wie viele Traumata Soldatinnen jetzt schon aus den Einsätzen mitbringen. Es geht um Leben und Tod. Das sehen wir doch jeden Tag in den Nachrichten. Deshalb müssen wir nicht vereinfachen, sondern politische, demokratische, historische Bildung in den Schulen sowie den gesellschaftspolitischen Diskurs stärken. Natürlich gilt, wie überall in Schulen: Der Beutelsbacher Konsens ist überall zu wahren: das Überwältigungsverbot, das Kontroversitätsgebot und das Gebot der Schülerorientierung. Lassen Sie uns an solchen Angeboten in der politischen Bildung arbeiten. Dann ist, glaube ich, genau das Ziel erreicht.

Wir werden uns bei diesem Antrag enthalten, weil uns einige Dinge fehlen,

(Josef Hovenjürgen [CDU]: Traurig!)

aber wir werden nicht dagegen stimmen.

(Beifall von den GRÜNEN)