Sigrid Beer: „Wer Kirchenasyl gewährt, stellt sich nicht über die Verfassung, sondern versucht, ihren Sinn zu erfüllen“

Antrag der "AfD"-Fraktion zum Kirchenasyl

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin als Demokratin und als Christin froh, dass es das Kirchenasyl gibt. Dieser freiheitliche demokratische Rechtsstaat ist aus historischem Bewusstsein so souverän, dass er sich in Fragen, bei denen es für Menschen um existenziell gefährdende Situationen geht, einer Verfahrenskritik stellt. Und das ist gut so.
Mir ist nämlich nicht bekannt, dass sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jemals auf ein Unfehlbarkeitsdogma berufen hat oder es auch nur könnte.
Wer Kirchenasyl gewährt, stellt sich nicht über die Verfassung, sondern versucht, ihren Sinn zu erfüllen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es geht um eine verantwortliche Gestaltung des Lebens nach demokratischen Grundsätzen, die sich auch aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus und historischem Bewusstsein speist.
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
Es entsteht auch kein rechtsfreier Raum. Das Kirchenasyl stärkt den Rechtsstaat, und das Kirchenasyl verhilft dem Recht zum Durchbruch. Das belegen die vielen Fälle, in denen die neuerlichen Prüfungen durch die staatlichen Behörden positiv enden.
Die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“ hat dazu eine Statistik geführt, die Frau Walger-Demolksy natürlich nicht zitiert hat. Im Jahr 2017 wurden 775 Kirchenasyle beendet, von denen mindestens 716 Fälle mit einem enorm positiven Ausgang, nämlich mit einer Duldung, geendet haben.
Es ist auch schon erwähnt worden, dass in Nordrhein-Westfalen im Augenblick 121 Kirchenasyle zu verzeichnen sind.
Kirchenasyl ist immer Ultima Ratio und wird von Kirchengemeinden verantwortungsvoll und nach sehr sorgfältiger Prüfung im Einzelfall und nicht leichtfertig gewährleistet, um schwerwiegende humanitäre Härten und drohende Verletzungen von elementaren Grund- und Menschenrechten abzuwenden.
Die Vereinbarungen zwischen dem BAMF und den Kirchen aus dem Jahr 2015 enthalten klare Verfahrensabsprachen. Unter anderem ist dazu ein Dossier einzureichen. Auf Grundlage dieses Dossiers entscheidet das BAMF. Allein aufgrund dieses Prüfvorgangs wird auf die Abschiebung verzichtet.
Von der AfD wird seit Längerem das Kirchenasyl aufs Korn genommen. Das ist schon seltsam. Schließlich wird sich bei den vielen fremdenfeindlichen Äußerungen, die wir erleben, doch so oft auf eine christlich geprägte Gesellschaft bezogen. Das Kirchenasyl entstammt in der Tradition genau der gern beschworenen christlich-humanitären Tradition dieses Kulturkreises.
Es ist kein Rechtsinstitut, aber durch die geltende Vereinbarung in den Rechtsstaatkontext eingebettet. Im Kirchenasyl gilt staatliches Handeln. Nur durch die erneute Einzelfallprüfung durch das BAMF ergibt sich ein rechtliches Abschiebungshindernis, solange die Einzelfallprüfung anhält.
Das grundsätzliche Verhältnis von Staat und Kirche wird dadurch auch nicht verändert, Herr Wagner. Sie möchten das gern anders konnotieren. Das ist aber nicht so. Dieser säkulare Staat gibt sich die Freiheit, im Rechtsstaat so zu agieren. Das ist staatliches Handeln, was wir begrüßen.
(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])
„Der christliche Glaube ist keine politische Überzeugung, hat aber sehr wohl politische Konsequenzen.“
Das hat Präses Annette Kurschus gesagt.
Die Bibel ist voll von Migrations- und Fluchtgeschichten, im Alten und im Neuen Testament. Sie erzählt von der Zuwendung Gottes zu den Menschen. Diese Erfahrung bedeutet für Christinnen und Christen eine Implikation für ihr Handeln. Ihnen geht es um die Verbindung von Glaube und Verantwortung.
Professor Wolfgang Huber formuliert es rechtsethisch, indem er aufzeigt, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine Pflicht- und Gegenwartsaufgabe ist, ohne deren Übernahme ein Gemeinwesen die Grundlagen eines humanitären Zusammenlebens verliert.
Ich danke allen, die sich verantwortungsvoll im Kirchenasyl engagieren, und begrüße es, dass der Rechtsstaat sich eingesteht, dass auch bei Behörden Fehler passieren können, die niemals auf Kosten von Menschen, die unter existenziellen Bedrohungen stehen, ausgetragen werden dürfen. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Präsident André Kuper: Frau Kollegin, es gibt eine Kurzintervention der AfD. – Das Wort erteile ich nun der Abgeordneten Walger-Demolsky.

Gabriele Walger-Demolsky (AfD): Danke, Herr Präsident. – Eines sollten wir doch noch ein- mal klarstellen. Es hört sich hier immer so an, als würde das BAMF eine Entscheidung treffen, und dann sei das Ganze abgeschlossen. Erst einmal gibt es ein Widerspruchsverfahren. Es gibt ein Gerichtsverfahren. Es gibt eine zweite Instanz im Gerichtsverfahren. Es gibt eine Här- tefallkommission. Sie sitzen ja auch im Petitionsausschuss und haben auch dann noch einmal die Möglichkeit, eine Empfehlung auszusprechen.
Es gibt also jetzt schon auch ohne Kirchenasyl sehr viele Zwischenwege, die diese Entschei- dungen des BAMF zu einer Revision führen können. Ich finde, irgendwann muss es dann auch einmal gut sein. Die Kirche sollte diese Wege ruhig alle unterstützen. Aber beim Kir- chenasyl kommen sich Staat und Kirche absolut in die Quere. Das ist für mich nicht akzepta- bel. So einfach ist es.
(Beifall von der AfD)

Sigrid Beer (GRÜNE): Ich habe Ihnen ja eben schon dargelegt, dass es das Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften in keiner Weise verändert. Die Zahlen habe ich auch schon genannt. Ich will Ihnen aber noch einmal sehr deutlich sagen: Wenn allein im Jahr 2017 bei 225 entsprechenden Dossiers, die herübergereicht wurden, in so hoher Zahl, nämlich 716, mindestens Duldungen oder sogar Aufenthaltsrechte ausgesprochen wurden, heißt das, dass Fehler weiterhin passieren.
(Markus Wagner [AfD]: Ausreisepflichtige!)
Es ist menschlich, Fehler zu machen. Und es ist gut, dass das nicht auf Kosten von bedrohten Menschen gehen kann.
Da Sie, Frau Walger-Demolsky, gerade gesagt haben, das sei alles kein Problem, weil es in hoher Zahl um Dublin-Fälle gehe – das ist richtig –, möchte ich Ihnen einmal solche Fälle aus der Petitions- und Kirchenasylarbeit schildern. Worum geht es denn da?
Das erste Beispiel ist der Fall einer Frau, die zurück nach Portugal überstellt werden sollte, aber in Gefahr stand, in einen Ring von Zwangsprostitution zurückgeführt zu werden. Das Kirchenasyl hat dazu geführt, dass ihr ein Aufenthaltsrecht ermöglicht wurde. – Das ist der erste positive Fall.
Zweiter Fall: Ein Folteropfer, dessen geschundener Körper die Erstprüfer nicht überzeugen konnte, wurde erneut untersucht. Es haben alle – ich habe es mir angeschaut – den Kopf geschüttelt und sich gefragt, wie es in den vorausgehenden Instanzen überhaupt zu einem negativen Ausgang hatte kommen können. Auch da hat das Kirchenasyl positiv gewirkt.
Dritter Fall: Ein Christ wurde nicht in die Verfolgung in sein Heimatland zurückgeschickt, weil er das Kirchenasyl angerufen hat.
Das sind nur wenige Fälle. Sie zeigen, wie vielfältig das Ganze ist und was für ein gutes Instrument das Kirchenasyl darstellt. Wir sollten dankbar dafür sein, dass es dieses Engagement bei uns gibt.
(Beifall von den GRÜNEN) 

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