Sigrid Beer: „Wenn uns Kinder und Jugendliche wirklich wichtig sind, dann gilt es, jetzt Mittel für die Kommunen bereitzustellen, damit mobile Luftfilter angeschafft werden können“

Zum Antrag der SPD-Fraktion für eine Rahmenvorgabe für das kommende Schuljahr

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute früh in der Sondersitzung des Schulausschusses hat die Schulministerin ihre Planungen für den Start des neuen Schuljahres vorgestellt: die Ausgestaltung von Förderprogrammen.

Ich fand es sehr vielsagend, dass sie das Thema „Delta-Variante“ überhaupt nicht erwähnt hat, dass es in ihren Planungen nicht vorkommt. Dabei müssen wir versuchen, so gut wie möglich vor die Lage zu kommen, um der Pandemieentwicklung nicht wieder mit Maßnahmen hinterherzurennen. Das haben Schulen, Familien, besonders Kinder und Jugendliche zur Genüge mit dem Management des Schulministeriums erlebt. Es dürfen nicht schon wieder Ferien ungenutzt verstreichen.

(Beifall von Josefine Paul [GRÜNE] und Wolfgang Jörg [SPD])

Die sinkende Inzidenz lässt uns zwar aufatmen, doch Großbritannien und Israel zeigen, dass auch bei hoher Impfquote die Infektionen durch Mutationen rasch wieder ansteigen können und es dann eben die Nichtgeimpften besonders trifft. Das sind gerade Kinder und Jugendliche, Frau Kollegin. 1 % der Kinder in Großbritannien sind hospitalisiert, die Raten steigen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Nein, sie tun es nicht! Schauen Sie sich die Daten an! Das stimmt nicht!)

Deshalb geht es jetzt nicht darum, dass Jüngere die Älteren schützen, wie sie das in großer Solidarität getan haben, sondern es geht darum, dass wir in aller Verantwortung Kinder und Jugendliche schützen. Mildere oder asymptomatische Verläufe sind keine Legitimation dafür, dass wir nicht alles dafür tun, dass Kinder in diesem Land nicht krank werden.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Corona ist eine ernste Multiorganerkrankung. Mit der Forschung zu Long-COVID, gerade bei unseren Kindern, stehen wir erst am Anfang.

Wir brauchen sichere Schulen. Wir wissen übrigens gar nicht, wie hoch die Impfquote unter Lehrkräften tatsächlich ist, wie sie beim gesamten pädagogischen Personal oder bei Jugendlichen ab 16 Jahren ist. Deshalb ist es richtig, dass die Tests in den Schulen auch im neuen Schuljahr fortgesetzt werden können und mit Masken gestartet wird. Aber das reicht eben nicht aus.

Wir brauchen eine weitere Maßnahme, und diese kann in der Tat – danke, dass Sie meinen Begriff aufgreifen, Frau Kollegin – zum Game Changer werden. Das ist das systematische Ausstatten der Lernräume mit mobilen Luftreinigern mit entsprechenden Standards. Wir brauchen diesen frischen Wind in den Schulen. Nicht nur hier im Landtag tun die Geräte auch in Räumen, die sich lüften lassen, längst ihren Dienst, und zwar effizient und leise. Was für die Abgeordneten bereitsteht, sollten wir unseren Kindern nicht vorenthalten.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wo bis zu 30 Kinder und Jugendliche über Stunden in geschlossenen Räumen sitzen, reicht das Stoßlüften nicht aus. Das Umweltbundesamt sagt konsequent: Nur Lüftungsanlagen ohne Stoßlüften sind nicht ausreichend. Aber genauso sagt das UBA – übrigens schon seit 2017 –: Nur Stoßlüften reicht nicht.

Dabei haben sich die Aussagen überhaupt nicht geändert:

„Besser ist es, wenn von vorn herein eine Grundlüftung über eine mechanische Lüftungseinrichtung erfolgt und zusätzlich in den Pausen über die Fenster gelüftet wird.“

Das ist ebenfalls von 2017. Im Kern sagen sie jetzt nichts anderes.

Aber ich sage es gern noch einmal zum Mitschreiben: Es geht hier nicht darum, dass Luftfilter CO2 oder Wasserdampf vermindern sollen, es geht um die Reduzierung der Virenlast und die Vermeidung von Ansteckungen. Das können Luftfilter.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Es sagt auch niemand, dass bei Luftfiltern im Raum das Fenster nicht mehr aufgemacht werden soll. Das ist doch völlig absurd.

Die wirksamste Methode zur Reduzierung der Virenlast in der Luft hat der Professor für Partikelverfahrenstechnik an der Uni Paderborn sehr schön mit folgenden Worten zusammengefasst:

Fensterlüftung hilft, im Raum die Luft auszutauschen. Ein effizientes Lüften gelingt aber nur, wenn ein echtes Querlüften durch gegenüberliegende geöffnete Fenster – nicht Türen zum Gang – möglich ist, was in Schulen nur in Ausnahmefällen gegeben ist. Der Erfolg ist auch dann noch sehr stark von der Außentemperatur und den Windverhältnissen abhängig, sodass es schwierig werden kann, ausreichendes Lüften über Fenster tatsächlich sicherzustellen. Raumluftfilter sind sehr gut geeignet, um die Aerosolkonzentration in einem Raum drastisch zu reduzieren.

Das brauchen wir bei der hochansteckenden Delta-Variante und wer weiß, was sonst noch kommt. Es geht auch darum, gegebenenfalls Grippeviren auszuschalten, wenn wir wollen, dass Unterricht weiter in Präsenz und dauerhaft stattfindet.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Die Koalitionsfraktionen sowie Ministerinnen und Minister sagen jetzt, die Kommunen könnten das ja machen, wenn sie wollten. Ich finde das Abladen der Aufgaben bei den Kommunen einfach unanständig.

(Jochen Ott [SPD]: So ist es! So ist es!)

Im 50-Millionen-Euro-Programm des Landes wurde völlig verkürzt gefragt. Schulen und Kommunen gingen davon aus, dass es reiche, wenn Fenster überhaupt geöffnet werden konnten. So sind auch viele Fenster mit dem Geld repariert und nur in Ausnahmefällen und selten mobile Geräte angeschafft worden.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Lediglich 20 % der Gelder sind überhaupt nur abgerufen worden. Das Landesprogramm muss unverzüglich und unbürokratisch für die Anschaffung von mobilen Geräten wieder geöffnet werden. Üben Sie Druck auf den Bund aus, damit die 500 Millionen Euro für Luftfilter keine Showveranstaltung bleiben. Stationäre Anlagen brauchen enorme Planungszeit und Einbauzeit. Sonst ist die nächste Variante auf dem Vormarsch, und das Programm ist längst ausgelaufen.

Wenn uns Kinder und Jugendliche wirklich wichtig sind, dann gilt es, jetzt Mittel für die Kommunen bereitzustellen, damit mobile Luftfilter angeschafft werden können, damit das nicht von der Finanzkraft einer Kommune

(Beifall von den GRÜNEN)

oder von der Finanzkraft von Fördervereinen abhängt, die sich starkmachen. Nur so geht es sicher in den Herbst und Winter.

Vorrangig sollten in einem ersten Schritt in der Tat Grund- und Förderschulen ausgestattet werden; denn für jüngere Kinder ist noch lange keine Impfoption in Sicht.

Übrigens ist Ministerpräsident Söder offensichtlich weiter. Er hat gestern erklärt, dass alle Kita- und Unterrichtsräume in Bayern mit Luftfilteranlagen ausgestattet werden sollen. Immerhin will das Land Bayern 50 % der Kosten den Kommunen beisteuern.

(Beifall von Wolfgang Jörg [SPD] – Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)

Die Ministerin hat heute Morgen davon gesprochen, dass die Schülerinnen jetzt wieder Schulgemeinschaft leben und erleben sollen, dass außerschulische Lernorte wichtig sind – Kunst, Musik, kurz: ganzheitliche Bildung. Da bin ich sehr bei Ihnen.

Genauso erfreulich ist, dass das Aufholprogramm geöffnet wurde. Sie haben damit endlich unsere Forderungen aufgegriffen, zum Beispiel dass Lehramtsanwärterinnen in die Schulen zur Unterstützung geholt werden können.

Aus unserer Sicht fehlt allerdings, dass Mentoringprogramme zum Zuge kommen, dass sie strukturell gestützt und gefördert werden, damit möglichst viele Mentorinnen qualifiziert werden können. Wir wissen, wie wirksam Programme wie „Balu und Du“, „ROCK YOUR LIFE“, aber auch „Teach first“ und viele andere sind. Es geht darum, Resilienz zu stärken und Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen.

Dass die Ministerin im Zusammenhang mit Klassenfahrten und dem Besuch außerschulischer Lernorte gleich wieder auf den Unterrichtsausfall hinweist, zeigt, dass der im Ministerium vorherrschende Lernbegriff doch noch sehr, sehr eng ist.

Wir brauchen jetzt pädagogische Freiheit für die Schulen vor Ort. Die Stundentafeln sind bis zu den Herbstferien auszusetzen, damit die Schulen wieder als gemeinsame Lern- und Lebensorte erfahren werden können. Das ist wichtig für unsere Kinder und Jugendlichen.

Die Schulen brauchen Zeit und zusätzliche Unterstützung, damit sie die zusätzlichen Stellen gegebenenfalls umsetzen können. Ihre Aufgabe ist es, Frau Ministerin, dafür zu sorgen, dass die Stellen und Budgets tatsächlich und zügig ankommen und nicht bis Ende des Jahres darauf gewartet werden muss. – Ich danke Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN und Jochen Ott [SPD])

Vizepräsidentin Angela Freimuth: Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kollegin Beer. Sie haben gesehen, dass eine Kurzintervention von Frau Kollegin Müller-Rech von der Fraktion der FDP angemeldet wurde. Ihr gebe ich jetzt das Wort für 90 Sekunden Kurzintervention.

Franziska Müller-Rech (FDP): Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin Beer, ich möchte Ihnen eine Stellungnahme der grün geführten Bonner Stadtverwaltung vorlesen. Es handelt sich um die Stellungnahme 202144-01 ST:

„Grundsätzlich gilt für alle ‚Luftfiltergeräte‘: sie sind zwar in der Lage, die kleineren Aerosole, d.h. die kleinen Teilchen, die beim Sprechen beim Husten oder Nießen produziert werden, zu filtern – Hauptübertragungswege u.a. für das Corona-Virus sind nach Auffassung der Experten (u.a. Prof Exner, Prof. Mutters, UKB Bonn) jedoch nicht diese Mikropartikel, sondern die größeren Tröpfchen, die z.B. beim Sprechen, Husten oder Nießen freigesetzt werden. Diese großen Tröpfchen fallen mit der Schwerkraft nach unten. Luftfiltergeräte sind nicht in der Lage über größere Entfernungen diese Schwerkraft zu überwinden und die größeren Tröpfchen zu filtern. Wirksamen Schutz bieten auf kurzen Distanzen hier nur die Masken. …

Nach intensiver Diskussion im Krisenstab und externer Beratung durch die Hygieneexperten des Universitätsklinikums Bonn hat der Krisenstab entschieden, keine ‚Luftfilter-/Luftreinigungsgeräte‘ im Schulbetrieb einzusetzen oder zuzulassen: sie bieten keinen Ersatz für die AHA-Regeln und die regelmäßige Lüftung und ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit im Schulbetrieb ist keinesfalls gesichert.“

Frau Kollegin Beer, wenn Sie nicht einmal in der Lage sind, Ihre grüne Oberbürgermeisterin Katja Dörner von der Wirksamkeit der Luftfiltergeräte zu überzeugen, wen wollen Sie hier davon überzeugen? Wer hat recht, Frau Beer? Sie oder Katja Dörner?

(Beifall von der FDP – Vereinzelt Beifall von der CDU)

Sigrid Beer (GRÜNE): Es ist wunderbar, dass Sie vor allen Dingen ausblenden, was inzwischen die Erkenntnisse der Aerosolforschung gebracht haben, dass wir da ein ganzes Stückchen weiter sind. Dass sich jetzt Kommunen wie Leverkusen aus gutem Grund entscheiden, einen anderen Weg zu gehen,

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Wer hat denn recht?)

selbst bei knappen kommunalen Haushalten, ist ein deutlichen Zeichen. Die Debatte wird bundesweit längst in ganz anderer Art und Weise geführt.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Wer hat recht?)

Ich denke, wir sollten gemeinsam alles dafür tun, dass Schulen sichere Orte sind, und dann die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Ansatz bringen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Von 2017?)

– Frau Müller-Rech, Sie haben das Recht, zu fragen. Sie haben kein Recht auf bestimmte Antworten, sondern auf eine sachgerechte Antwort.

(Lachen und Beifall von Franziska Müller-Rech [FDP])

Die habe ich Ihnen gerade gegeben. Wir müssen den wissenschaftlichen Stand, den wir jetzt haben, neu zum Ansatz zu bringen.

(Josefine Paul [GRÜNE]: Sie haben eine Kurzintervention gemacht! Das war überhaupt keine Frage!)

Es ist vollkommen richtig, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen sagen: Bei den vielfältigen Aufgaben, die wir haben, müssen wir priorisieren. Wir lassen uns nicht weiter die Aufgaben vom Land zuschieben ohne eine entsprechende finanzielle Unterstützung. Diese verantwortungsvolle Aufgabe haben die Kommunen, um das abwägen zu können. Sie verweigern die finanzielle Unterstützung. Das haben Sie heute noch einmal sehr deutlich gemacht, indem Sie sagen: Kommunen macht doch.

(Josefine Paul [GRÜNE]: So ist das!)

Das ist genau der Punkt, den wir zurückweisen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Wer hat unrecht?)

Deswegen brauchen alle Städte, ob Bonn, ob Dortmund, ob Solingen, ob Leverkusen, ob Paderborn, ob kleinere Ortschaften in Nordrhein-Westfalen die Unterstützung des Landes und die Ausstattung. Machen wir es doch wie in Bayern. Dann wären wir schon ein Stückchen weiter.

Aber wenn der Ministerpräsident Inzidenzen und Delta-Entwicklungen nicht auseinanderhalten kann, dann muss ich feststellen, dass wohl alle in einem gemeinsamen Workshop waren. Das ist leider traurig.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Franziska Müller-Rech [FDP]: Das ist keine Antwort auf meine Frage! – Josefine Paul [GRÜNE]: Sie haben keine Frage gestellt! Es war eine Kurzintervention! – Weitere Zurufe von Franziska Müller-Rech [FDP] und Josefine Paul [GRÜNE])