Sigrid Beer: „Sie bringen die Schulen, die Schulträger in rechtliche Unsicherheit“

Zum Entwurf der Landesregierung für das 16. Schulrechtsänderungsgesetz - zweite Lesung

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme gerne das auf, was Frau Müller-Rech gesagt hat, wie Sie begonnen haben. Wenn Sie jetzt hier aufhören, dann mit vergebenen Chancen, mit Chancen, die nicht wahrgenommen worden sind.

Sie schaffen Unsicherheit in den Schulen. Das tun Sie jetzt auch noch mal mit diesem Schulrechtsänderungsgesetz. Denn auf das von mir in Auftrag gegebene Gutachten, das ich Ihnen kollegialiter in der letzten Woche sehr schnell zugestellt habe, um auch zu vereinbaren, dass dieses Gutachten sehr schnell öffentlich wird, reagieren Sie gar nicht.

(Zuruf von der SPD: Hat sie nicht nötig!)

Sie bringen die Schulen, die Schulträger in rechtliche Unsicherheit.

Ich möchte aus diesem Gutachten einmal zitieren, damit es alle gehört haben. Die Gutachter Professor Wrase und Diplom-Jurist Joshua Moir formulieren wie folgt:

Dem Gesetzgeber bleiben zwei Handlungsoptionen, wenn es um die technische Ausstattung von Schülerinnen geht. Einmal kann man das mit der erforderlichen Hardware über die Lernmittelfreiheit regeln oder – anders – über die Einbeziehung der Ausstattungspflicht der Eltern.

Letzteres wollen wir, glaube ich, alle gemeinsam nicht, weil es vielen Eltern überhaupt nicht zumutbar ist.

Weil das alles nicht in diesem Gesetzentwurf geregelt worden ist, ist es kein guter Gesetzentwurf. Er widerspricht sogar der Verfassung. Da kommen die Gutachter zu dem Schluss – ich zitiere –:

„Der vorliegende Entwurf zum 16. Schulrechtsänderungsgesetz sieht keine dieser beiden Varianten vor und ist daher verfassungsrechtlich zu beanstanden. Für Schüler:innen, deren Eltern Grundsicherungsleistungen nach SGB II, SGB XII, AsylbLG erhalten, muss ein Ausstattungsanspruch gegenüber dem Schulträger im Schulgesetz verankert werden.“

Und Sie sagen einfach nonchalant: Das beschließen wir hier heute so, und da stören wir uns nicht dran. – Das ist ein Markenzeichen Ihrer Politik:

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das beschließen wir einfach mal so, da stören wir uns nicht dran. Verfassung hin, Verfassung her, und was das mit der Ausstattung vor Ort und mit der Verlässlichkeit auch von Distanzunterricht macht, das schert uns nicht.

Das andere ist: Das, was Sie hier vorgelegt haben mit den kleinen Punkten, ist nicht zu Ende gedacht, die Frage der Elternmitwirkung und Beteiligung in den kommunalpolitischen Gremien. Da steht kein „Soll“, da steht ein „Kann“.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Das ist ein Placebo. Das ändert nämlich nichts an dem Status, der jetzt schon da ist. Diese Formulierung hätten Sie sich auch sparen können, weil das substanziell für die Eltern keinen Anspruch ausmacht.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das muss man doch sehr deutlich sagen.

Und die Freiheit zur Profilbildung, die Sie propagieren, ist die Freiheit der gut ausgestatteten Schulen.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Nein!)

Wir haben eine völlig ungleiche Landschaft in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Elisabeth Müller-Witt [SPD])

Das ist genau der Punkt. Die wirklich substanzielle Freiheit, Ziffernnoten auszusetzen, von Stundenplänen abzuweichen und diese ganz anders zu organisieren, ist hier definitiv nicht gemeint.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Sie haben all die Maßnahmen und die kritischen Anmerkungen, die in der Anhörung zur Sprache gekommen sind, überhaupt nicht aufgenommen. Sie reden hier davon, dass es ein Dienst an den Schulen für Kranke sei, sie jetzt in „Klinikschulen“ umzubenennen. Die wollen das aber dezidiert gar nicht. Sie sind nicht in der Lage, über einen von den Schulen und dem Fachverband selbst eingebrachten Begriff zu diskutieren. „Schule für Pädagogik bei Krankheit“ ist der Fachbegriff für die pädagogische Profession und stigmatisiert Kinder eben nicht als Kranke, sondern bezeichnet die besonderen Herausforderungen in ihrer Situation.

Die Rückfragen bei den Landschaftsverbänden haben ergeben, dass sie gesagt haben: Wir wussten gar nicht, dass man vielleicht noch etwas anderes denken kann. Wir haben uns nur auf diesen Begriff bezogen. – In der Tat ist es längst überfällig, den Begriff „Schule für Kranke“ zu verändern. Aber dann seien Sie doch so konsequent. Sie haben nie mit den betroffenen Schulen gesprochen, stellen sich dann hierhin und sagen: Das ist der Wunsch der Schulen gewesen. Das treibt das Ganze wirklich auf die Spitze. Weil Sie nicht in der Lage sind mit den Betroffenen zu sprechen, gehen Sie auch dabei wieder nonchalant darüber hinweg.

Das bedeutet: Dieser Gesetzentwurf bleibt leider unter den Erwartungen, die auch wir darin gesetzt haben, weil es der letzte Schulrechtsänderungsgesetzentwurf in dieser Legislatur ist. Er hat offensichtlich schon lange in den Schubladen geschmort. Auf jeden Fall ist in den letzten Wochen daran nichts aktualisiert und an die wirklichen Bedürfnisse in den Schulen angepasst worden.

Chancen verpasst, rechtliche Unsicherheiten produziert – das ist also das Ergebnis dieses letzten Schulrechtsänderungsgesetzes. Der Entwurf muss eigentlich zurückgezogen werden. Wir müssten in eine neue Beratung gehen. Dazu wären wir bereit und würden das auch noch sehr schnell mit Ihnen verhandeln, sodass wir das vor Ende der Legislatur durchziehen können.

(Zuruf Franziska Müller-Rech [FDP])

– Ja, ich weiß: Dazu fehlt Ihnen die Souveränität.

(Franziska Müller-Rech [FDP]: Nein! – Lachen von Dietmar Brockes [FDP])

Sie sind nicht dazu in der Lage, diese Dinge so anzugehen. Das nehmen wir zur Kenntnis, und das müssen leider auch die Schulen in Nordrhein-Westfalen zur Kenntnis nehmen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

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