Sigrid Beer: „Freiheit ist verbunden mit der Verantwortung gegenüber den Schwächeren“

Zum Antrag der SPD-Fraktion auf eine Aktuelle Stunde zur schulischen Maskenpflicht

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Werte Kollegin Schlottmann, Freiheit ist immer verbunden mit Verantwortung und nicht mit dem Abschieben von Verantwortung.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Freiheit ist verbunden mit der Verantwortung gegenüber den Schwächeren. Es darf nicht das Prinzip sein, was Sie hier gerade vorgestellt haben, dass auf Kosten derjenigen, die sich nicht schützen können, Freiheit propagiert wird. Das darf nicht sein.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Das ist die Verletzung der Solidarität gegenüber den Schwächeren. Ja, es stimmt, Masken sind lästig, und es tut gut, wenn sie abgesetzt werden können. Aber ich bitte doch alle Beteiligen um Verständnis in der Frage, ob es jetzt schon wirklich verantwortbar ist, auf die Maskenpflicht im Unterricht zu verzichten. Bei Abwägung aller Punkte und aller Umstände können wir diese Frage verantwortlich nicht mit einem Ja beantworten.

Wer Präsenzunterricht will – und das wollen wir –, darf die Schutzstandards nicht herunterfahren.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Sie machen doch genau das Gegenteil von dem, was jetzt notwendig ist. Es ist doch richtig, wenn das RKI davon spricht, dass wir eine besorgniserregende Situation und Entwicklung haben.

(Bodo Löttgen [CDU]: In Bayern!)

Die Landesregierung ist gerade jetzt einen gegenteiligen Weg gegangen, anstatt vorausschauend zu handeln. Das ist doch ein Hin und Her, ein Hü und Hott, was sich entwickeln wird und was wir jetzt schon in Bayern sehen.

Das ist Ergebnis ist eindeutig. Ich darf auf die eigenen Zahlen des Schulministeriums verweisen. In der Woche vor den Herbstferien waren 11.940 Schüler*innen in der Quarantäne, in der Woche nach den Herbstferien waren es 21.025.

Diese Zahlen werden steigen; das ist doch jetzt schon abzusehen.

Wir wissen aus vielen Studienergebnissen, dass von der Quarantäne gerade Kinder und Jugendliche in benachteiligenden Lebenslagen betroffen werden.

(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Exakt!)

Gerade diejenigen, die den Präsenzunterricht dringend brauchen, setzen Sie der Gefahr aus, wieder in Quarantäne zu kommen. Das ist unverantwortlich.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das ist Verschärfung von Bildungsungerechtigkeit. Es geht mit einem Ministerpräsidenten Wüst halt genauso weiter, wie es mit dem Ministerpräsidenten Laschet aufgehört hat.

Die Kommunen werden mit ihren Kriseneinschätzungen vor Ort nicht ernst genommen. Wir haben das mit Solingen erlebt, als es um den Wechselunterricht ging und dies der Kommune untersagt wurde, obwohl das Land das Instrument später nutzen musste. Jetzt geht Krefeld den Weg mit der Maskenpflicht, und dann wird der Kommune eine solche Möglichkeit rüde untersagt.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wir erleben jetzt kommunal das Ansteigen von Inzidenzwerten in Nordrhein-Westfalen.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Ich will einmal auf die heutige Statistik des Landesgesundheitszentrums verweisen. Wir haben in Leverkusen bei den Fünf- bis Neunjährigen einen Inzidenzwert von 545.

(Zuruf: Leverkusen liegt in Bayern! – Zuruf von Iris Dworeck-Danielowski [AfD] – Weitere Zurufe)

Im Kreis Minden-Lübbecke muss einen Inzidenzwert von 529 für die Gruppe der Zehn- bis 14-Jährigen konstatiert werden. Bei den Fünf- bis Neunjährigen sind es sogar 585. In Dortmund steigen die Werte. In Wuppertal steigen die Werte. Gucken Sie sich doch die Zahlen an! Schulen sind Drehscheiben für Infektionen.

(Zuruf von Mehrdad Mostofizadeh [GRÜNE])

Die Schulen sind leider nicht mit Gaststätten, Kinos und den dort geltenden Regelungen zu vergleichen, denn Schule ist aus gutem Grund keine freiwillige Veranstaltung.

(Zuruf von Bodo Löttgen [CDU])

Deshalb können Kinder und Jugendliche und ihre Eltern sich nicht aussuchen, ob sie am Unterricht teilnehmen wollen oder nicht.

(Zurufe)

Weil uns Präsenz und Schulpflicht viel wert sind, muss wenigstens für einen ausreichenden Infektionsschutz gesorgt werden; und es muss dafür gesorgt werden, dass Kinder die Chance haben, uninfiziert bis zur Möglichkeit einer Impfung zu kommen. Das gilt verstärkt,

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

solange es keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, dass Langzeitschäden bei einer Infektion mit COVID-19 tatsächlich ausgeschlossen sind. Unser Leitprinzip muss sein: Better be safe than sorry.

(Zuruf von Iris Dworeck-Danielowski [AfD])

Die Zulassung eines Impfstoffs für die Fünf- bis Neunjährigen, denen diese Option derzeit noch verwehrt ist, steht doch in naher Zukunft in Aussicht. Zu riskieren, dass Kinder sich jetzt infizieren, ist wirklich keine gute Idee.

(Christian Loose [AfD]: Was passiert denn bei einer Infektion, Frau Beer?)

– Können die Coronaleugner bitte einmal ruhig sein auf der Seite?!

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Im Übrigen sind gerade die Plätze in den Kinderkliniken aufgrund der RS-Virusinfektion knapp. Kinder sollten nicht in Gefahr kommen, sich anzustecken – weder mit RS noch mit Corona.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Neben dem Grundrecht auf Bildung steht auch das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Deshalb wäre es dringend notwendig, den noch notwendigen Schutz mit Unterstützung von kreativen Lösungen wirklich auf den Weg zu bringen, damit Unterricht und ein soziales Miteinander erhalten bleiben und nicht die nächste Quarantäne droht.

(Christian Loose [AfD]: Mit Masken, ja!)

Die beste Schulschließungsprophylaxe ist die Infektionsschutzprophylaxe. Deshalb macht es keinen Sinn, jetzt das relativ milde Mittel der Maske im Unterricht aufzugeben.

Natürlich, Frau Kollegin Schlottmann, müssen wir dabei berücksichtigen, was für Implikationen Masken haben. Es ist interessant, sich dazu die Forschungen des Psychologieprofessors Claus-Christian Carbon anzusehen. Er hat glücklicherweise festgestellt, dass die Folgen nicht so negativ sind; als Mimikforscher weist er aber darauf hin, dass natürlich geschaut werden muss, wie man so etwas in Bezug auf die Lese- und Schreibkompetenz hinbekommt.

(Zuruf von der AfD)

Dazu sind kreative Lösungen notwendig. Man kann Unterricht in bestimmten Sequenzen draußen machen, man kann mit Plexiglaswänden arbeiten,

(Bodo Löttgen [CDU]: Na klar!)

durch die die Mimik von Lehrkräften für Kinder sichtbar ist.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Aber diese Kreativität, Herr Löttgen, haben Sie nicht gehabt, hat die Ministerin nicht gehabt, hat diese Koalition nicht gehabt, sonst wären wir nämlich schon einen wesentlichen Schritt weiter.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Das gilt für die Förderprogramme des Landes in Bezug auf Luftfilter, das gilt für andere Ausstattungen,

(Zurufe von Bodo Löttgen [CDU], Josefine Paul [GRÜNE] und Franziska Müller-Rech [FDP])

das gilt für die Hinweise zu einem kreativen Unterricht. Das geht alles auf die Kosten von Kindern, und das haben Sie zu verantworten.

Das Land muss auch in Bezug auf die Öffnung des Luftfilterprogramms nacharbeiten. Wir müssen schauen, dass wir mit Masken, mit allen Schutzmöglichkeiten Präsenz wirklich aufrechterhalten.

Bereits jetzt muss dafür gesorgt werden, dass Impfkapazitäten vorhanden sind, wenn der Impfstoff für die Fünf- bis Neunjährigen hoffentlich endlich freigegeben wird. Es reicht nicht, das Mantra vom Regelunterricht zu traktieren, Masken abnehmen zu lassen und dann damit Gefahr zu laufen, Infektionen zu begünstigen und Kinder vermehrt in die Quarantäne zu schicken. Dieser Verantwortung müssen Sie sich stellen.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP] – Weitere Zurufe)

Das wäre verantwortliche Schulpolitik. Was wir im Augenblick erleben, ist das falsche Freiheitsverständnis – wie auch leider gerade von der Kollegin Schlottmann dargestellt.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD – Zuruf von Henning Höne [FDP])