Sigrid Beer: „Diese Evaluation werden wir uns anschauen und dann miteinander diskutieren müssen“

Antrag der AfD zum Englischunterricht in der Primarstufe

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Englisch in der Primarstufe abschaffen – mehr Deutsch und Mathe! – Wissen Sie was? Auf keinen Fall möchte ich, dass wir mehr vermeintlich Deutsches bekommen, wie wir es gestern in dem unsäglichen Beitrag von Helmut Seifen zu Europa gehört haben.
(Beifall von den GRÜNEN – Helmut Seifen [AfD]: Sie haben nichts verstanden! – Beifall von der AfD)
Ich kann es Ihnen nicht ersparen, dass wir uns dieses Vokabular noch einmal vor Augen führen: Altparteien, Schmähschrift, Errichtung eines autoritären Zentralstaats,
(Helmut Seifen [AfD]: Ja!)
Vernichtung der Nationalstaaten,
(Helmut Seifen [AfD]: Das ist doch so!)
Beseitigung der Meinungsfreiheit,
(Helmut Seifen [AfD]: Das machen Sie doch!)
das Niederträchtigste, Entmündigung, zu Untertanen degradieren, Herrschaftseliten,
(Zuruf von Helmut Seifen [AfD])
Wahnsinnsideen, pharisäerhafte Gesinnungsdespoten,
(Zuruf von der AfD: Genau so!)
Jakobiner des 21. Jahrhunderts, Schafott der sozialen Ausgrenzung, Sturmabteilung, Masseneinwanderung, Fürsorgeindustrie der Wohlfahrtsverbände und Kirchen, Mitverantwortung für Untaten.
Das Vokabular und die Tonlage gestern ähnelten nicht nur der Rede vom 17. Januar 2017 von Björn Höcke in Dresden,
(Lachen von der AfD)
sondern auch vielen anderen.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Herr Seifen spielt hier im Haus das Spiel von Biedermann und Brandstifter. Er spielt das Spiel von Biedermann und Brandstifter. Auf den Fluren trägt er gerne das Cape des Bürgerlichen, und darunter ist dann die Höcke-Rhetorik und -Denke, und hier im Plenum lässt er sie raus.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Beer.
Sigrid Beer (GRÜNE): Da kann manch einer doch mit Sprache umgehen, und er missbraucht sie zur Verhetzung.
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU und der SPD)
Lassen Sie uns rekapitulieren! Ich nehme nur mal das Wort „Altparteien“. Das ist nämlich ein alter, abgenutzter Kampfbegriff der politischen Rhetorik.
(Zuruf von der AfD: Thema!)
Schon Joseph Goebbels hat das Wort gern benutzt, um seine Bewegung als jung, modern und aufgeschlossen darstellen zu können.
(Zuruf von der AfD: Thema!)
Dafür brauchte er eine dunkle und vor allem alte Projektionsfläche, die Altparteien eben.
(Zuruf von der AfD: Ja!)
Ich finde es bedenklich, dass der Terminus mittlerweile
(Zuruf von der AfD: Frau Präsidentin! Thema!)
selbst von zahlreichen deutschen Medien nicht mehr in Anführungszeichen verwendet wird.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, …
Sigrid Beer (GRÜNE): Diese unkritische Verwendung des Wortes „Altparteien“ etabliert einen Kampfbegriff des rechten Spektrums und der AfD, dessen Ursprung auf Joseph „Lügenpresse“ Goebbels zurückgeht.
(Zurufe von der AfD: Oh!)
Die AfD im Landtag Nordrhein-Westfalen folgt treu den Spuren Björn Höckes.
(Zuruf von der AfD: Thema!)
Die demokratischen Parteien seien Altparteien, behauptet genau dieser Björn Höcke, jener Oberstudienrat aus Westfalen, der nun in Thüringen und an anderen Orten den AfD-Einpeitscher gibt.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Beer, …
Sigrid Beer (GRÜNE): Ein Oberstudienrat! Ich kann es Bürgerinnen, die mich fragen, kaum erklären: Wie kann es sein, dass jemand, der sich einen solchen Auftritt hier gestern im Plenum erlaubt hat, einmal Direktor eines Gymnasiums in NRW war?
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP – Zurufe von der AfD)
Ein anderer ehemaliger Gymnasiallehrer gibt hier ja auch nur bizarre Redebeiträge von sich.
(Zuruf von der AfD: Sogar eines gut geführten Gymnasiums!)
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin, wenn Sie mir ein kurzes Signal geben …
Sigrid Beer (GRÜNE): Ja.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Ich unterbreche Sie ungerne. Es gibt von zwei Kollegen der AfD den Wunsch nach Zwischenfragen.
Sigrid Beer (GRÜNE): Ich trage zusammen vor.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Gut.
Sigrid Beer (GRÜNE): Dieser Kollege trägt nicht nur bizarr vor, er lässt sich auch gerne Arm in Arm mit Björn Höcke ablichten. Beide genannten Personen sitzen jetzt im Schulausschuss des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Und sie sind so weit weg von dem Bildungsideal eines Wilhelm von Humboldt, der auch unsere Gymnasien geprägt hat! Ich zitiere:
Das Weltbürgertum ist jenes kollektive Band, das die autonomen Individuen, unabhängig von ihrer sozialen und kulturellen Sozialisation verbindet:
(Zuruf von der AfD)
Bei Humboldt heißt es: „Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinne des Wortes Leben.“
Das Bemühen soll darauf zielen, sich möglichst umfassend an der Welt abzuarbeiten und sich dadurch als Subjekt …
(Markus Wagner [AfD]: Sie sprechen vom Gegenteil und Sie machen das Gegenteil! Weil Sie nichts beizutragen haben, lassen Sie auch keine Zwischenfragen zu! Das ist Ihr Problem! Sie haben nichts zum Thema beizutragen!)
– Sie schreien mich hier nicht nieder! Nein!
(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)
Ich werde hier meinen Beitrag zu Ende führen.
(Weitere Zurufe von Markus Wagner [AfD] – Gegenruf von der SPD: Wir können ja mal über Ihre Probleme reden!)
Zum Weltbürger werden heißt, sich mit den großen Menschenrechtsfragen …
(Zuruf von der AfD)
Frau Präsidentin, ich würde gerne meinen Beitrag ungestört zu Ende bringen.
Vizepräsidentin Angela Freimuth: Frau Kollegin Beer, Sie haben das Wort. Sie haben das Mikrofon.
(Zuruf von der AfD: Aber nicht das Thema alleine!)
Es ist eine Frage der Höflichkeit, einem Redner hier auch zuzuhören. Aber zwingen … Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön, Frau Präsidentin.
Noch einmal zu Humboldt:
Zum Weltbürger werden heißt, sich mit den großen Menschenfragen auseinanderzusetzen: sich um Frieden, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhält-nisse oder eine andere Beziehung zur Natur zu bemühen.
Humboldt dürfte sich im Grab umdrehen bei den Beiträgen,
(Zuruf von der AfD: Er hat deutsch gesprochen!)
wie wir sie gestern hier gehört haben.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Also noch einmal: Von diesem vermeintlich Deutschen brauchen wir nicht mehr, auch nicht hier im Plenum.
Jetzt komme ich zu Englisch in der Grundschule.
(Zuruf von der AfD: Das hat ein bisschen gedauert!)
Frau Ministerin, die Koalition hat sich entschlossen – Frau Kollegin Müller-Rech hat es eben noch einmal zitiert –, Englisch in der Grundschule zu prüfen. Diese Evaluation werden wir uns anschauen und dann miteinander diskutieren müssen.
Ich will an dieser Stelle aber schon einmal anmerken – aber Sie haben ja auch den Pfad schon gelegt –, dass es nicht nur um den Englischunterricht in der Grundschule gehen kann, sondern auch darum, wie es im Anschluss
(Das Ende der Redezeit wird signalisiert.)
in der Sekundarstufe I dann weitergeht und wie dieser Anschluss dann besser gelingen kann. Die Studien seit 2009 weisen auch auf diesen Umstand hin. Darüber unterhalten wir uns gerne. Aber rechtem Gedankengut geben wir hier keinen Raum.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD) 

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