Sigrid Beer: „Die Informationslage ist desaströs, und mit so wenig Vorbereitung funktioniert das nicht“

Antrag der SPD-Fraktion zu Schule in Corona-Zeiten

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Frau Müller-Rech, ich teile Ihre Einschätzung, dass wir die Entwicklung weiterhin nicht mit Sicherheit voraussagen können und dass wir deshalb auf alle Situationen vorbereitet sein müssen. Aber wenn man sagt, man fahre auf Sicht, heißt das nicht, die Leute im Nebel stehen zu lassen. Das ist derzeit aber leider die Lage.
Mir haben Schulleitungen gesagt, dass sich langsam eine SchulMail-Allergie herausbilde und man mit ein bisschen Panik auf die nächste SchulMail warte, die aufploppen könnte.
Frau Schlottmann, wir machen gerne den Faktencheck. Schauen Sie sich bitte die Seite des Schulministeriums an. Dort sind die SchulMails chronologisch aufgeführt. Am 16.04., 22.30 Uhr, erreichte die Schulen eine SchulMail mit dem Hygienemasterplan von 2015, und am Samstag, 18.33 Uhr, bekamen die Schulen per Mail den Coronahygieneplan. So viel zu der Frage, wer wann darauf vorbereitet war.
An dem Samstag haben auch die kommunalen Spitzenverbände einvernehmlich protestiert und gesagt: So geht es nicht. Die Informationslage ist desaströs, und mit so wenig Vorbereitung funktioniert das nicht. – Das können Sie gerne auf der Seite des Schulministeriums nachlesen.
Kollege Ott hat schon darauf hingewiesen, dass dies zu dieser chaotisierenden Kommunikation gehört. Ich möchte weitere Beispiele anfügen: Welche Schülerinnen und Schüler kommen freiwillig? Welche müssen verpflichtend kommen? – Das musste auf Nachfrage von Eltern erst geklärt werden.
Ich möchte auch darauf eingehen, wie sich bestimmte Entwicklungen ergeben, Frau Müller-Rech. Die Frage der externen Prüfung hat sich doch nur aufgrund des Drucks der Schulen und der Politik gestellt. Deshalb hat man dafür eine Lösung gefunden, die aber wiederum mit Hürden für die Schülerinnen und Schüler von Ergänzungsschulen, die sowieso schon einen schwierigen und unter Umständen belasteten Lebensweg hinter sich haben, verbunden ist. Jetzt kommt es zu einer Kompression. Das heißt, man legt fest, wie viele Prüfungen wie schnell abgelegt werden müssen.
Okay, jetzt haben die Schülerinnen und Schüler eine Möglichkeit, die Prüfungen abzulegen. Die Vorlage aus dem Ministerium war allerdings strikt und anders, und das war offensichtlich nicht mitgedacht.
Schauen Sie sich einmal die aktuellen Mails und Rückmeldungen zu den Regelungen über den Übergang von der Einführungsphase in die Q1 an. Das ist doch desaströs. Das widerspricht doch den Fragen, die parallel geklärt werden müssen: Welche Arbeiten müssen jetzt eigentlich noch geschrieben werden? Gibt es ein freiwilliges Übergehen, ja oder nein? Gibt es eine automatische Versetzung? Und warum darf dann doch nicht freiwillig wiederholt werden? – Das ist ein Hin und Her, das die Schulen seit langer Zeit mit dem Ministerium zu klären versuchen. Zu dieser Klärung ist es aber immer noch nicht gekommen.
Das ist kein politisches Handwerkszeug aus dem Schulministerium, und das ist den Schulen auch nicht weiter zuzumuten.
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich möchte Ihnen noch ein Beispiel dafür geben, worüber sich Kollegen und Kolleginnen beschweren. Schauen wir einmal auf die Zehner und die Frage der Klassenarbeiten und Prüfung. Zuerst wird ausgeführt, sie sollen sich in der Klassenarbeit an den zentralen Prüfungen orientieren. Das ist natürlich eine, die von der Schule bestimmt wird. Dann machen das Kolleginnen, die das zum Teil auch fachfremd machen müssen, weil sie im Präsenzunterricht da sind, im Verbund mit den Fachkolleginnen, die im Homeoffice und im Team zuarbeiten.
Und was passiert dann? Zwei Tage vor der Arbeit kommt aus dem Ministerium über die Bezirksregierungen die Weisung: Hörverstehen wird herausgenommen. – Die hatten sich alle auf Hörverstehen vorbereitet. Die hatten die Prüfungsteile vorbereitet. Die hatten mit ihren Schülerinnen darauf hingearbeitet, und dann heißt es: Das kommt dieses Jahr in der Prüfung aber nicht vor.
Was für ein Wahnsinn, der da bei den Schulen aufschlägt! (Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das ist Steuerungsversagen,
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Damit kennen Sie sich ja aus!)
und das wird auf dem Rücken der Schulen ausgetragen. Das ist Chaotisieren in der Schullandschaft.
Eine Bitte habe ich an den Kollegen Ott. Ich weiß, dass sich das medial so eingeschlichen hat. Aber lassen Sie uns bitte nicht den Begriff „Homeschooling“ verwenden, wenn es um Fernunterricht geht. Bei Homeschooling geht es nämlich um eine Gruppe, die die Schulpflicht ablehnt.
(Jochen Ott [SPD]: Ja, stimmt!)
Wir sollten hingegen gemeinsam deutlich machen, dass auch der Fernunterricht staatlicher Verantwortung unterliegt und dass wir für die Qualität geradestehen müssen, damit Kinder nicht abgehängt werden. Sie wissen das, aber das rutscht einem schnell raus. Ich finde, das müssen wir klarstellen. Denn es ist nicht die Aufgabe der Eltern, die Bildungskarrieren ihrer Kinder abzusichern.
Frau Schlottmann, mir ist ein bisschen aufgestoßen, dass Sie zum Schluss gesagt haben, Verzicht und Anpassung seien das Gebot der Stunde und darum gehe es jetzt. Das sagen Sie den Schülerinnen und Schüler, das sagen Sie den Familien. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein in dieser Situation. Die haben nämlich schon genug verzichtet.
Unsere Aufgabe besteht darin, dafür zu sorgen, dass es auch in unsicheren Zeiten im kommenden Schuljahr nicht so sein wird. Deswegen müssen wir uns jetzt um Räume, um zusätzliches Personal und andere Zeitmodelle kümmern. Das sind Aufgaben, die wir sowieso erledigen müssen und nicht beiseiteschieben dürfen, nur weil es vielleicht eine Infektion weniger gibt, Frau Müller-Rech.
Die Frage der Erweiterung der Zahl der Räume kann man jetzt klären. Man kann klären, ob man benachbarte Räume und Vereinshäuser zur Verfügung stellt und ob man mit Kirchengemeinden Kooperationen eingeht. Man kann jetzt klären, ob man mit Studierenden aus dem Praxissemester zusätzliche Lernbegleitung, Lernförderung in die Schulen holt, um die Personaldecke zu erweitern.
Was es dazu aber braucht – wir haben ja Frau Professorin Bellenberg in der Anhörung dazu gehört –, ist eine Änderung der Rechtsverordnung zum Praxissemester. Das muss jetzt passieren, damit es nach den Sommerferien wirklich gelingen kann. Daher sind jetzt die absolut notwendigen Hausaufgaben zu machen, damit die Schülerinnen und Schüler so viel wie möglich Unterricht in der Schule bekommen, aber auch in neuen Teams Fernunterricht gesichert ist, wenn es zu Teilschließungen kommt, weil die Infektionssituation diese erfordert.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin Beer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sigrid Beer (GRÜNE): Gerne.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das ist nett.
Martin Sträßer (CDU): Vielen Dank, Frau Kollegin Beer, dass Sie die Zwischenfrage zulas- sen. – Sie haben ja geradezu dazu aufgefordert, und deshalb möchte ich darauf hinweisen, dass am Donnerstag, 9. April, an die Oberbürgermeister, Landräte, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister im Regierungsbezirk Düsseldorf, an die Schulleitungen der öffentlichen Schu- len im Regierungsbezirk Düsseldorf, an die Träger der Ersatz- und Ergänzungsschulen ein Schreiben mit dem Betreff „Corona-Pandemie, Vorbereitung auf Wiedereröffnung der Schu- len, Schul-Mail 12 des MSB vom 03.04.2020, Anlage Rahmenhygieneplan für Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen für Kinder und Jugendliche“ erging. Ist Ihnen dieses Schreiben nicht bekannt?
(Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]: Doch, aber auch die 13 anderen!)
Sigrid Beer (GRÜNE): Natürlich ist mir das bekannt, und genau das ist ja der Punkt: Der Rahmenhygieneplan ist vollkommen veraltet und nicht auf die Coronasituation zugeschnitten. Und in der Schulmail am 16.04. gab es wieder nur den Rahmenhygieneplan für Schulen zur Konkretisierung der Schulaufnahme. Zu dem Zeitpunkt der Mail, den Sie ansprechen, war noch gar nicht klar, wann und unter welchen Bedingungen es wieder losgeht.
Deswegen ist diese Konkretisierung auch erst so spät erfolgt, und zwar nach der Sitzung des Schulausschusses, in der wir nach entsprechenden Konzepten gefragt haben. Damals wurde uns gesagt, das sei alles nicht möglich, das funktioniere nicht in der Planung, und das könne man nicht vorbereiten. Wie gesagt, wir fahren auf Sicht, wir fahren im Nebel. Das haben die Schulen dann um 22:30 Uhr auf den Tisch gelegt bekommen.
Und am Wochenende, genauer gesagt am Samstag um 18:33 Uhr, erfolgte endlich die Verkündung der Corona-Regelungen auf der Grundlage des Gutachtens, welches das Ministerium in Auftrag gegeben hat. Das ist genau der Punkt.
Vizepräsident Oliver Keymis: Frau Kollegin, es gibt noch eine Zwischenfrage.
Sigrid Beer (GRÜNE): Das war jetzt die Zwischenfrage.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das war die erste. Die haben Sie beantwortet. Jetzt gibt es noch eine.
Sigrid Beer (GRÜNE): Da freue ich mich doch. Danke.
Vizepräsident Oliver Keymis: Das habe ich mir gedacht. – Jetzt spricht Herr Ott. Bitte schön.
Jochen Ott (SPD): Frau Kollegin Beer, ich möchte Ihnen auch noch eine Zwischenfrage stellen, die daran anschließt.
Erinnern Sie sich noch daran, dass uns der Staatssekretär im Ausschuss darauf hingewiesen hat, dass die Landesregierung mit der Krankenhausgesellschaft kooperiere und die Krankenhausgesellschaft vorstellen werde, welche Hygienestandards Anwendung fänden? Und erinnern Sie sich noch daran, dass am Freitag nach Ostern zwei Fassungen von der Krankenhausgesellschaft im Umlauf waren und sich der Städtetag am Samstagmorgen zu Wort gemeldet hat? Können Sie nachvollziehen, dass das alles gerade als klare Kommunikation beschrieben wurde?
Sigrid Beer (GRÜNE): Ich erinnere mich an genau diese Abläufe und an die Überarbeitungen, die dann vorgenommen wurden, und dass damals gesagt wurde, es gebe keine zwei Fassungen. Aber das lassen wir einmal dahingestellt sein.
Gerade die Frage der Zeitabläufe bemängeln die Schulen ja. Deswegen kolportiere ich die Rückmeldung von Schulleitungen, die sagen, sie hätten langsam eine Schulmail-Allergie, weil es widersprüchliche Informationen gebe und die Schulen keine Sicherheit hätten. Inzwischen ist es schon ein Running Gag, zu sagen: Guckt heute Abend doch mal um halb elf, ob vielleicht noch eine Mail vom Ministerium gekommen ist. Sonst wartet bis zum Wochenende; da stehen die Chancen gut, etwas vom Ministerium zu bekommen.
Das ist die Lage, und das meine ich, wenn ich sage, das ist chaotisierend. Es gibt keine Verlässlichkeit und keine Sicherheit. Deswegen ist die dringende Aufgabe, für den 01.08. sicherzustellen, unter welchen Optionen in allen Variationen geöffnet werden kann. Ich erwarte vom Ministerium verlässliche Szenarien, die den Schulen eine gute Vorbereitung ermöglichen. Das ist genau der Punkt.
Zum Schluss möchte ich auf einen Aspekt eingehen, den wir heute Abend sicher noch aus- führlicher diskutieren werden: Was passiert jetzt mit den Sommerferien? – Frau Schlottmann, man kann nicht sagen, Anpassung und Verzicht seien das Gebot der Stunde. Die Kinder brauchen auch in den Schulferien ein Bildungsangebot.
(Beifall von Verena Schäffer [GRÜNE] und der SPD)
Dies sollen jedoch ausdrücklich nicht die Lehrkräfte bewerkstelligen, die schon jetzt die Mehr- zahl der Aufgaben schultern und das Recht haben, auch einmal durchzuatmen. Das gilt vor allen Dingen für diejenigen, die jetzt den Präsenzunterricht schultern und zudem den Kontakt zu ihren übrigen Schülerinnen und Schülern aufrechterhalten. Es gibt Kulturschaffende, Jugendverbände und sehr viele weitere Akteure, die froh sind, eine Beschäftigung zu haben.
Bitte nehmen Sie wahr – wir haben es eben schon gehört –, dass Kommunen schon jetzt Angebote streichen. Deswegen ist jetzt die Initiative des Landes notwendig.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Machen Sie sich nicht lächerlich, Frau Beer! Sie sind die Letzte, die uns Ratschläge geben sollte! Sie sind die Letzte!)
Frechen, zum Beispiel, ist eine Kommune, die komplett blankzieht. Deswegen bedarf es hier einer konzertierten Aktion des Landes, um das zum Wohl der Kinder zu initiieren. Wir können es uns nicht leisten, dass Kinder abgehängt und Familien weiter belastet werden, die keinen Urlaub mehr haben und bei denen die Überstunden aufgezehrt sind. Sie verweigern sich dieser Aufgabe.
Wir werden das Thema heute Abend noch einmal aufrufen.
(Beifall von den GRÜNEN)