Sigrid Beer: „Die Grundschulen benötigen die notwendige materielle Unterstützung und Wertschätzung“

Aktuelle Stunde auf Antrag der SPD-Fraktion zu "100 Jahre Grundschule"

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Kirstin Korte! Ja, ich freue mich ausdrücklich über jeden Cent, der mehr in den Bildungshaushalt geht. Ich freue mich ausdrücklich über mehr Sozialpädagoginnen in der Schuleingangsphase. Ich freue mich ausdrücklich darüber, dass es eine Perspektive für weitere Studienplätze gerade im Grundschullehramt gibt. Das ist prima.
Aber ich will Ihnen einen Bericht von Radio Hochstift von gestern nicht vorenthalten. Da ist Folgendes zu lesen:
„Die Paderborner Hochschule selbst hat noch keine näheren Informationen …“ über die zusätzlichen Studienplätze.
„NRW-Wissenschaftsministerin Pfeiffer-Poensgen … erklärte auf Nachfrage unseres Reporters, dass neben Paderborn fünf weitere Unis in NRW von ihren Plänen betroffen sind – darunter Bielefeld und Siegen. Weitere Einzelheiten stehen aktuell noch nicht fest. Deshalb wusste auch die Uni Paderborn … noch nichts von der vorgesehenen Aufstockung. In den nächsten Wochen laufen erst weitere Verhandlungen über die Verteilung der Plätze und die Finanzierung.“
Das ist die Realität.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es ist gut, dass Sie 115 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Aber die Hochschulen wissen noch von gar nichts, und in einer Pressemitteilung wird gesagt, das sei schon alles mit den Hochschulen vereinbart. Seriös und verlässlich geht anders!
(Beifall von den GRÜNEN)
Ich will deutlich sagen, dass die letzte Sondervereinbarung zur Frage der Lehrämter 2015/2016 von der rot-grünen Landesregierung geschlossen worden ist. Es gibt immer noch keine Darlegung der Sondervereinbarung und jetzt das erste Mal Mittel. Offensichtlich sind die bisherigen Studienplatzkapazitäten von den Hochschulen bereitgestellt worden, aber es gibt keine Finanzierung dazu. – So viel zur Realität im Land und dazu, wie das Ganze unterfüttert ist.
Lassen Sie mich jetzt zu dem „Dortmunder Denkzettel“ und der Veranstaltung kommen. Die Frage ist: Was muss nun neben der Langfristoption für die Studienplätze passieren? Wer am Dienstag bei der Übergabe des „Dortmunder Denkzettels“ mit den Forderungen des Grundschulverbands und der GEW dabei war, der musste sich wundern, wie dünnhäutig die Ministerin reagierte.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Ach!)
Diese Dünnhäutigkeit korrespondierte aber mit dem, was die Ministerin den Grundschullehrkräften mitgebracht hatte. Das war nämlich auch dünn. Weltbeste Bildung ist versprochen, aber es gibt leider für die Grundschulen nur weltbeste Vertröstung. Und wenn es nicht um das Gymnasium geht, bleibt Yvonne Gebauer die Ankündigungsministerin.
(Zuruf von der CDU: Ah!)
–  Entschuldigung. Kennen Sie das? Das ist der Schweigefuchs aus der Grundschule.
(Bodo Löttgen [CDU]: Was ist das denn? – Die Rednerin zeigt mit den Fingern den Schweigefuchs.)
Bitte halten Sie sich da auch mal zurück. Das wäre gut.
Beim Gymnasium wurden schnell mal 500 Millionen Euro lockergemacht.
(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])
Dann hat uns die Ministerin erklärt, das Maßnahmenpaket „Masterplan Grundschule“ komme jetzt endlich, das hätte noch mal vom Sommer in den Herbst geschoben werden müssen. Aber diese Darstellung ist auch geschönt.
Schon vor 15 Monaten kündigte Ministerin Gebauer in den Mitteilungsblättern des iwd vollmundig an, dass der Masterplan im Herbst kommt. Das war im letzten Jahr. Dann kündigte der Ministerpräsident im Dezember an, er käme Anfang des Jahres 2019. Da kam er nicht. Er kam nicht im Frühjahr, er kam nicht im Sommer, er kam nicht im Herbst. Jetzt gibt es vielleicht eine Bescherung vor Weihnachten – wollen wir mal schauen – oder auch nicht.
Die Grundschulen haben sehr deutlich gemacht, was sie nicht brauchen, nämlich einen Masterplan, der erst mal meint, er müsste sie durchpflügen. In den Grundschulen muss nicht aufgeräumt werden. Sie brauchen nicht noch mehr Handreichungen. Sie wollen keinen Eingriff in ihre pädagogische Freiheit, sondern sie benötigen die notwendige materielle Unterstützung und Wertschätzung
(Beifall von den GRÜNEN)
und ein wertschätzendes Herzstück, Frau Kollegin Korte. Das ist mehr als nette Worte zu Beginn einer Rede. Das ist die A13-Besoldung. Die ist verdient, die muss kommen,
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
und zwar jetzt für alle in einem verbindlichen Stufenplan. Sie, die regierungstragenden Fraktionen, werden im Haushalt Gelegenheit haben, diesen verbindlichen Stufenplan auf den Weg zu bringen. Dann müssen Sie endlich Farbe bekennen.
Jedenfalls war die Ministerin wieder einmal nicht sprechfähig, aber das war ja der stellvertretende Ministerpräsident in der Halbzeit-PK von Schwarz-Gelb, der deutlich offengelassen hat, ob eine Besoldungserhöhung in dieser Legislaturperiode überhaupt noch kommt.
(Jochen Ott [SPD]: Hört, hört!)
Das ist die Realität von Schwarz-Gelb, und das muss man mal zur Kenntnis nehmen. Daher muss man ganz deutlich sagen: Die Ministerin ist nicht durchsetzungsfähig –
(Lachen von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration)
beim Finanzminister nicht und offensichtlich bei Ihnen auch nicht, Herr Stamp.
(Zuruf von Dr. Joachim Stamp, Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration) Denn genau das haben Sie auf Nachfragen der Journalisten gesagt.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
In Dortmund erzählte die Ministerin, dass bis jetzt 386 Lehrkräfte mit Sek.-II-Lehramt für die Grundschule gewonnen werden konnten:
(Zuruf von Dietmar Brockes [FDP])
28 in 2017, 152 in 2018, 206 bislang in 2019. Was sie nicht gesagt hat, ist, dass die ersten 180 schon bald wieder weg sein werden.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Stimmt doch gar nicht!)
Denn die sind gekommen unter der Parole „Wir kommen, um wieder zu gehen.“ Sie bieten ihnen ja keinen zukunftsfähigen Arbeitsplatz. Die haben doch die Besoldung A13 und den Platz am Gymnasium im Umfeld von 35 km sicher.
(Zuruf von Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung)
Das wissen Sie ganz genau. Auch das belegt: Eine höhere Besoldung ist eine Haltekraft, auch im Grundschullehramt. Negieren Sie das doch nicht!
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)
Dabei müssen die Grundschulen die Qualifikation dieser Kollegen und Kolleginnen stemmen, der Gymnasialkräfte in Warteschleife. Das ist nicht nachhaltig. Die Grundschulen und die Eltern sind wenig begeistert, wenn die Fluktuation im Kollegium mit dieser Maßnahme noch weiter dazugehört.
Es gab Kopfschütteln in der Halle, als die Ministerin dann die Integration als Zukunftsaufgabe bezeichnete.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Das ist nicht wahr!)
Das ist Gegenwart. Das ist eine Gegenwartsaufgabe der Grundschulen. Deshalb brauchen die Grundschulen jetzt den Schub: die Attraktivitätssteigerung, ein Programm zum Aufstocken von Teilzeit. Welche Antworten haben Sie für die Schulen, die mit hohen Zahlen von Seiteneinsteigerinnen den Schulalltag gestalten müssen?
Die Ministerin wurde auch direkt gefragt, ob sie als Nichtpädagogin sich denn wirklich in Schule auskenne, ob sie schon einmal länger an einer Grundschule gewesen sei und dort gearbeitet habe. Das waren die Fragen der Grundschulpädagoginnen.
(Zuruf von Rainer Deppe [CDU])
Die Ministerin entgegnete, sie sei in ihrer politischen Tätigkeit auf der Kommunal- und der Landesebene schon – ich habe es wörtlich mitgeschrieben – in unzähligen Schulen gewesen, auch in Grundschulen.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Genau!)
Nun, als Ministerin sind diese Schulbesuche allerdings überschaubar. Ich habe das in einer Kleinen Anfrage jüngst abgefragt.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Also, Frau Beer, wenn Sie weiter nichts haben als solche Bemerkungen, dann …)
In der Übersicht der Termine der Ministerin von Juli 2017 bis Ende September 2019 wurde alles aufgeschlüsselt. Sie haben bei 25 Grundschulen vorbeigeschaut, immerhin. Nun sind aber die Grundschulen mit über 2.700 Einrichtungen die größte Schulform in Nordrhein-Westfalen. Sie waren auch 25-mal in öffentlichen Gymnasien. Aber Sie waren viel häufiger bei
Wirtschaftsverbänden unterwegs als in Grundschulen. Ich finde es interessant, welche Bilanzen da nebeneinandergelegt worden sind.
(Zuruf von Frank Müller [SPD)
Kinder brauchen Professionalität. Deshalb ist es dringend geboten, über die Vorbereitungen der begleitenden Qualifizierung nachzudenken. Das werde ich sicherlich im zweiten Redebeitrag weiter ausführen können. – Danke schön.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde FDP und CDU einen Edding schenken, denn dann können Sie auf Ihren Spiegel schreiben: „Wir regieren“, damit man das jeden Morgen sieht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Bodo Löttgen [CDU]: Wie wäre es mit einem Spiegel für Sie, damit Sie mal sehen, was Sie gemacht haben?)
Herr Hovenjürgen, Herr Löttgen, ich will es einmal für alle Zeiten sagen: Wir als Grüne haben einen sehr intensiven Prozess durchlaufen, der im Sommer in einen LDK-Beschluss, einen Parteitagsbeschluss eingeflossen ist. Lesen Sie das noch mal durch. Das habe ich jetzt schon mehrfach angeführt.
(Dietmar Brockes [FDP]: Hätten Sie mal Ihre Arbeit zu Regierungszeiten gemacht!)
Darauf wollen wir keine Minute verschwenden; das ist nämlich überhaupt nicht der Kern. Herr Löttgen war es, der, wie auch der Kollege Kaiser, im Wahlkampf überall auf jedem Podium versprochen hat: A 13 kommt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Herr Löttgen als Fraktionsvorsitzender hat das beim VBE wiederholt.
(Jochen Ott [SPD]: Der kann sich aber nicht mehr erinnern! – Bodo Löttgen [CDU]: Ihr schafft es ja nicht mal, richtig zu zitieren!)
Das Versprechen ist gebrochen, um das deutlich zu sagen. (Beifall von den GRÜNEN)
Mit der Halbzeitbilanz ist das ans Tageslicht gekommen. Sie denken offensichtlich gar nicht mehr daran.
Jetzt wollen wir uns einmal den Fakten widmen, wie intensiv die Grundschule – auch bei der Schulministerin – wirklich im Fokus steht. Inklusion war bisher kein Thema für die Grundschulen. Es muss deutlich gesagt werden: Die Diskussion hat sich auf die Sek I beschränkt.
(Jochen Ott [SPD]: Richtig!)
Man mag zu den Talentschulen stehen, wie man will: Dabei hatten die Grundschulen auch keine Chance hineinzukommen. Grundschulen im Fokus – wie sieht es denn damit eigentlich aus?
Sie haben offensichtlich vergessen – oder Sie waren noch nicht hier; Frau Vogt jedenfalls war schon hier –, dass wir bei den Schulleitungen der Grundschulen angefangen hatten zu entlasten.
Wir haben gemeinsam mit der CDU – Amnesie, Frau Vogt? – dafür gesorgt, dass die kleinen Grundschulstandorte erhalten geblieben sind und die Klassenfrequenzrichtwerte bei der Grundschule auf unter 23 abgesenkt wurde. Das ist genau der Punkt, den wir gemeinsam umgesetzt haben.
Auch die Klassenfrequenzrichtzahl bei den kleinen Grundschulen, um die Lehrerversorgung besser handeln zu können, haben wir mit Ihnen gemeinsam angepasst.
Das alles ist perdu, ist aus dem Gedächtnis irgendwie verloren gegangen. Wir werden ab und zu noch davon erzählen.
Wir haben für die Grundschullehrkräfte die Qualifikation VOBASOF auf den Weg gebracht, damit sie auf A 13 kommen und zusätzlich sonderpädagogische Qualifikationen entwickeln konnten – vergessen.
Wir haben die Schulleitungsentlastung zuerst in den Grundschulen angesetzt – vergessen.
Aber das ist nicht mein Punkt. Ich stimme Ihnen zu: Da hätte noch mehr kommen müssen, gar keine Frage. Aber was machen Sie denn zurzeit? – Sie sitzen es aus. Sie sitzen auch die Frage nach A 13 aus. Das ist ein Vertrauensbruch,
(Beifall von den GRÜNEN und von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD]) und genau das brauchen die Grundschulen in diesem Land nicht.
Unterhalten wir uns darüber, was wir denn eigentlich brauchen. Die Schulministerin wird damit konfrontiert, dass in Ostwestfalen keine Lehrerstellen mehr ausgebracht worden sind. Es sind der Bezirksregierung keine Stellen zugebilligt worden.
Von dort kommen jetzt die Beschwerdebriefe der Kolleginnen, die fragen, warum sie keine Stelle bekommen. Es reicht nicht zu sagen „Wir wollen aber, dass die Stellen im Ruhrgebiet besetzt sind“, weil die nur darauf warten müssen, dass eine Vertretungsstelle frei wird. So macht man keine Steuerung. Das zieht so nicht, aber frustriert zusätzlich.
(Beifall von den GRÜNEN)
Warum haben wir damals Ihren Antrag auf einen Masterplan Grundschule nicht mitgetragen?
–  Weil auch da die Substanz und die konkreten Maßnahmen gefehlt haben, weil Sie sich um die Frage A 13 herumgedrückt haben. Bis heute machen Sie das.
(Petra Vogt [CDU]: Unsinn!)
Es kommt nichts dazu; das ist doch ganz deutlich.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Petra Vogt [CDU]: Was für ein Schwachsinn!)
Die inhaltlichen Dinge haben Sie, Frau Vogt, gar nicht unterfüttert. Wie positionieren Sie sich denn zu der Frage, wie wir mit der Qualitätsanalyse umgehen sollen? Das ist doch unfair gegenüber den Grundschulen, die in so hoher Zahl mit Seiteneinsteigerinnen arbeiten müssen.
Da müssen wir uns doch gemeinsam etwas einfallen lassen: Wie sieht es denn damit aus? Wie kann man das in direkte Unterstützung umsetzen? Was ist mit einem Programm, das Teilzeitkräfte dafür gewinnt, Stunden aufzustocken? Legen Sie doch mal konkrete Maßnahmen vor. Da kommt von Ihnen nichts, nichts, nichts.
(Beifall von den GRÜNEN)
Zwei Jahre Vertröstung in Bezug auf diesen Masterplan und nichts Konkretes, was Sie in die Landschaft bringen. Das hat die Stimmung auf dem Grundschultag von GEW und Grundschulverband ausgemacht.
Auch beim VBE ist es nicht anders. Im Oktober 2018 ist allen schulpolitischen Sprecherinnen die Broschüre mit der Mahnung überreicht worden: Das sind die Dinge, die jetzt dran sind und die umgesetzt werden müssen. – Davon ist leider nichts passiert.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Sigrid Beer (GRÜNE): So ist die Situation bis zum heutigen Tage, und das ist traurig für die Grundschulen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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