Sigrid Beer: „Die besonderen Bedarfe von Kindern auch in diesem Übergang“

Zum Antrag der GRÜNEN im Landtag zum Einschulungsstichtag

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Warum ist dieser Antrag gerade jetzt hochaktuell? – Das will ich Ihnen gerne erläutern; denn wir wissen alle, dass seit einem Jahr sowohl die Kindertagesstätten wie auch die Schulen von der Pandemiesituation betroffen und besonders herausgefordert sind. Ich zitiere gerne noch einmal die Virologin Dr. Jana Schröder: Alles, was wir bisher über die Infektiosität von Kindern während der Pandemie gesagt haben, war reiner Wunschglaube. Das Kernproblem, welche Konsequenzen gezogen werden, wird nicht angepackt. Wir müssen in dieser Situation besonders auf diese Fragen Antworten finden.

Es ist in der Tat heute auch eine gute Nachricht, dass zeitnah hoffentlich auch Impfungen für Jugendliche ab 12 Jahren und für Kinder im September zur Verfügung stehen könnten. Die Aussichten auf die Impfung sind wirklich gut, aber das darf nicht alles sein; denn wir müssen ja auch konstatieren, dass sich das Virus in der Alterskohorte der jüngeren Kinder schon länger beständig ausgebreitet hat.

Ich teile die Analyse von Sebastian Fischer in seinem „Spiegel“-Beitrag heute:

„Der Versuch von Bund und Ländern, sich via monatelangem Dämmershutdown und Pseudo-Notbremse bis zum rettenden Ufer der Impfung durchzuhangeln, war besonders für diese Altersklassen bisher nicht zielführend.“

Auch das Mantra, dass Kinder keine Treiber der Pandemie seien, hier immer wieder bemüht, war von Beginn an nicht nur von der Formulierung her schräg. Es geht darum, dass die Infektionsgefahr durch enge Kontakte und Mobilität gefördert wird und dass wirksame Maßnahmen zur Absenkung der Infektionsraten und ihrer Folgen, die bis auf die Intensivstation reichen, ergriffen werden müssen. Deswegen hilft auch nicht ein bisschen Eindämmen, sondern nur eine konsequente Niedriginzidenzstrategie, damit wir von der Berg- und Talfahrt, vom Jojo-Auf-und-Ab in Bildungseinrichtungen wegkommen.

Aber selbst eine konsequente Niedriginzidenzstrategie und die Aussicht auf das Impfen von Kindern und Jugendlichen im Laufe des Jahres entbindet uns eben nicht von der Aufgabe und Pflicht, die Bedingungen für die Kinder und Jugendlichen zu gestalten, die jetzt akut von den Folgen der Pandemie betroffen sind, zum Beispiel durch eingeschränkte Entwicklungs- und Förderbedingungen, durch das teilweise Schließen bzw. Reduzieren der Angebote verschiedener Bildungseinrichtungen. Es gibt die Kinder, die mehr Entwicklungszeit benötigen, gerade die sind betroffen. Die psychosoziale Entwicklung und Stabilität bei ihnen ist besonders zu berücksichtigen.

Schon im Januar war klar, dass Schuleingangsuntersuchungen möglicherweise nicht im gewohnten Umfang sichergestellt werden könnten. Das zeigt auch die Antwort auf eine Kleine Anfrage der Kollegin Voigt-Küppers. Der Vorschlag, dass diese Untersuchungen nachlaufend im Schuljahr passieren könnten, ist doch nicht wirklich ernst gemeint. Will man dann die Kinder wieder aus den Klassen und den Lerngruppen herausholen? – Das ist nicht kindgerecht. Und wo sind dann die Plätze in der Kita, um weitere Förderung zu gewährleisten?

Deswegen braucht es gerade jetzt in der Pandemiesituation einen Korridor für Kinder, die von Juli bis Ende September geboren sind, wie er zum Beispiel in Bayern existiert, den Eltern in Beratung mit der Kita und mit Ärzten nutzen können. Ihnen muss die Entscheidungsmöglichkeit überlassen sein. Ihn werden längst nicht alle Eltern in Anspruch nehmen, aber für die Kinder, die es brauchen, ist es unbürokratisch und flexibel.

Das ist mit Blick auf die unklare Situation zu Beginn des kommenden Schuljahrs in den Grundschulen auch wichtig, denn es ist noch nicht abzusehen, wie viele Kinder länger in der Schuleingangsphase verbleiben werden. Das hat Auswirkungen auf die Klassengrößen. Die Unterstützung gerade für die Grundschulen in der pandemischen Lage ist noch einmal drängender. Die reicht hinten und vorne nicht, und da wird es in der kommenden Situation weitere Herausforderungen geben.

Deswegen müssen gerade die besonderen Bedarfe von Kindern auch in diesem Übergang Berücksichtigung finden, und es geht um das Vertrauen in alle Beteiligten. Es werden nicht alle Eltern davon Gebrauch machen, aber es ist wichtig, dass sie es unbürokratisch tun können. Die Ermöglichung, die über den Erlass besteht, reicht nicht aus. Ich nehme Sie gerne mit. Wie den zahlreichen Petitionen, die uns im letzten Jahr erreicht haben, zu entnehmen ist, wird der Erlass immer noch nicht zielführend in der Fläche angewandt. Jetzt haben wir schon wieder eingehende Petitionen. Lassen Sie uns doch das den Schulen, der Schulaufsicht und den Eltern ersparen. Deswegen brauchen wir die Flexibilisierung, und wir brauchen sie jetzt.

Daher ist dieser Antrag aktuell. Die Herausforderungen, die die Kollegin Frau Voigt-Küppers genannt hat, sind da und müssen auch angegangen werden. Aber die Kinder, die jetzt im Übergang sind, können nicht darauf warten.

(Beifall von den GRÜNEN)