Sigrid Beer: „Das Ziel muss sein, weitere Segregation zu vermeiden“

Antrag der AfD zur Beschulung von Flüchtlingskindern

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Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn ich derzeit über Kinder und Syrien nachdenke, dann habe ich die schrecklichen Berichterstattungen aus Ost-Ghouta und Afrin vor Augen: das Leiden von unzähligen Kindern, die toten Kinder, die Verzweiflung der Familien, die noch in diesem Inferno zu überleben versuchen, zerstörte Krankenhäuser, keine Medikamente, Hunger, wieder ein möglicher Giftgaseinsatz.
Angesichts dieser Bilder bin ich zornig über die eigene Ohnmacht, zornig auf eine UN, zornig darüber, dass eine brutale machtpolitische Blockade humanitäre Hilfen und wirkliche Feuerpausen verhindert.
Zur Wahrheit gehört auch, dass deutsche Waffen in diese Konfliktregionen geliefert werden und dort zum Einsatz kommen.
Angesichts der katastrophalen Lage in dieser Region appelliere ich an alle Verantwortlichen – auch in den Parteien, die jetzt über die GroKo verhandelt haben und zu einer Regierungsbildung kommen –, noch einmal über die Frage des Familiennachzugs nachzudenken.
Wenn der Ministerpräsident das christliche Menschenbild in der CDU wieder profilieren will, dann hat das für mich auch etwas mit der Frage des Familiennachzugs zu tun.
(Beifall von Berivan Aymaz [GRÜNE])
Das sind meine Gedanken, die mich angesichts der katastrophalen Situation in Syrien und in der Region bewegen. Und dann dieser von Zynismus geprägte Antrag! – Herr Seifen, Ihre Rede mit nationalistisch verquerem Denken war von der gleichen Qualität. Erzählen Sie uns bitte nicht, dass wir Sie nur wieder missverstanden haben. Das ist die Masche der AfD.
(Christian Loose [AfD]: Sie haben doch gar nicht zugehört!)
Die Kolleginnen und Kollegen haben sehr deutlich gemacht, welche Falschaussagen, welche Lügen in diesem Antrag zusammengetragen worden sind. Ein ehemaliger Gymnasialleiter wird doch wohl gut in der Vorbereitung arbeiten, dem unterlaufen nicht solche Fehler und Falschaussagen. Das ist bewusst gesetzt.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)
Kinder, die bei uns sind, brauchen eine emotionale und soziale Stabilisierung. Da hilft vor allem, in Ruhe und Normalität zur Schule gehen zu können, das gemeinsame Lernen mit anderen Kindern, das Erleben, dass Kinder unterschiedlicher Herkunft, Nationalität und Religion friedlich miteinander leben und lernen können. Das ist das Wesentliche, was wir den Menschen mitgeben können, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren.
In der Tat tragen viele Menschen aus Syrien diesen Wunsch durchaus im Herzen. Aber gleichzeitig wissen sie – und wenn wir alle ehrlich sind, wir genauso –, dass sich diese Perspektive auf lange Zeit nicht ergeben wird. Deshalb suchen diese Menschen für sich, für ihre Familien und besonders für ihre Kinder eine Zukunft. Die kann auch hier liegen.
Der Bildungsauftrag unserer Schulen, Kinder zu befähigen, sie mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten, um Zukunft zu gestalten, gilt für alle Kinder. Sie auch im Geist der Mit-menschlichkeit im freiheitlichen, friedlichen und demokratischen Umgang zu erziehen, gehört zum Bildungsauftrag für alle Kinder. Diesen Bildungsauftrag schränken wir für niemanden ein.
So sagt es auch unser Schulgesetz:
„Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung.“
Warum wir Kinder auf die Bedingungen beschränken sollen, die ein armes Land unter enormen Anstrengungen – Frau Müller-Rech hat es ausgeführt – nur mit internationaler Hilfe – wir bezahlen nämlich die syrischen Lehrkräfte, weil sie in Jordanien keine Anerkennung und keine Arbeitserlaubnis haben; das ist genau so – gestemmt bekommt, ist nicht nachzuvollziehen. Ich glaube, wir brauchen noch viel Empathielernen, nicht nur in der Schule, sondern in der Gesellschaft insgesamt.
Dann muss ich noch den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration vor Ihnen retten, Herr Seifen. Ausgerechnet heute ist der Hinweis auf eine neue Studie gegeben worden, deren zentrale Ergebnisse wie folgt lauten – damit wir auch da Fake News vermeiden –: Ja, es ist eine Herausforderung, dass junge Geflüchtete zu uns in die Schulen kommen.
Der Kollege hat schon darauf hingewiesen: Diese Schulen brauchen Unterstützung auf allen Ebenen – in der Schulentwicklung, in der Lehrerfortbildung, in der Ausstattung.
Das Fazit, das die Studie benennt, ist sehr klar: Das Ziel muss sein – ich zitiere –, weitere Segregation zu vermeiden, damit die Schule für die oft hoch motivierten geflüchteten Kinder und Jugendlichen nicht zur Sackgasse wird. Durch ein auf kulturelle sowie soziale Vielfalt konsequent eingestelltes Schulsystem ließen sich zudem auch die Bildungschancen einheimischer Schülerinnen und Schüler verbessern. – Das stand heute in der Pressemitteilung, um es deutlich zu sagen.
Zum Schluss möchte ich hier auch noch einmal ganz offiziell meiner Freude Ausdruck verleihen und Herrn Dr. Stamp gratulieren – ich habe das heute schon persönlich gemacht –, dass es gelungen ist, Professor El-Mafaalani für die Arbeit im Ministerium zu gewinnen. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen. Ich sage Dankeschön für das Bemühen und hoffe auf eine gute Zusammenarbeit.
Diesem Antrag wird niemand folgen, weder jetzt noch in den Beratungen im Ausschuss.