Sigrid Beer: „Das Vertrauen in die handelnden Personen im Schulministerium ist erschüttert“

Antrag der Fraktionen von SPD und GRÜNEN im Landtag zur Einberufung eines Schulgipfels

Sigrid Beer (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Man muss es leider sagen: Die Schulen, Schulleitungen, Lehrkräfte, Eltern, Schüler und nicht zuletzt die Schulträger in Nordrhein-Westfalen brauchen Sicherheit. Das Vertrauen in die handelnden Personen im Schulministerium ist erschüttert.
Stellvertretend für die zahlreichen Stimmen aus den Verbänden und Kommunen, die wir im Schulausschuss des Städtetages noch einmal eindrucksvoll hören durften, zitiere ich aus der Pressemitteilung der Landeselternschaft der Gymnasien vom 07.09.2020:
„Nach fast einem halben Jahr ‚Corona‘ verfestigt sich der Eindruck der Krisenunfähigkeit des nordrhein-westfälischen Schulsystems und seiner Organisation durch das Schulministerium: Weder das System noch das Ministerium sind allem Anschein nach noch steuerbar.
Die jüngste Umfrage der Schulleitervereinigung NRW unter allen Schulformen mit einer Beteiligung von 20 % aller Schulformen hat die gleichen Defizite offengelegt wie unsere eigene Umfrage unter den Gymnasialschulleitern vor drei Monaten:
–   Kommunikationsqualität des Ministeriums: Immer noch unzureichend
–   Timing der verschickten Informationen und Anweisungen: unzumutbar
–   Qualität von Vorgaben und Maßnahmen: Hüh und Hott
–   Nachvollziehbarkeit und Lebensdauer von Vorgaben: verschwindend“
Ich will nicht weiter zitieren. Es gibt viele solcher Zuschriften.
Ich appelliere heute an Ministerpräsident Armin Laschet – auch wenn Sie heute nicht hier sitzen, werden Sie es hören oder nachlesen –: Armin Laschet, übernehmen Sie! Es geht nicht mehr nur darum, partiell reinzugrätschen wie beim Corona-Check, wie bei der Zurücknahme von Maßnahmen. Sorgen Sie jetzt für Sicherheit und Ruhe in den Schulen!
(Lachen von der FDP)
Die Erkältungszeit im Herbst und im Winter kommt in diesem Jahr so wenig überraschend wie Weihnachten, nur schneller. Aber das Ministerium verweigert einen Plan B. Die Lüftung zur wirksamen Verminderung von Aerosolen in den Schulen ist nicht sicher. Lehrkräfte witzeln schon, dass es bestimmt eine neue Ausstattungsinitiative des Landes geben wird: Pudelmützen und Schals mit NRW-Logo, wenn sie im Winter bei mehr oder weniger zu öffnenden Fenstern unterrichten.
Der immer wieder verkündete Regelunterricht ist im Übrigen kein Regelunterricht. Überall im Land schließen wegen einer uneinheitlichen Coronapraxis der Gesundheitsämter vor Ort abwechselnd Schulen ganz, oder Klassen werden nach Hause geschickt. Bildungsungerechtigkeiten verschärfen sich jeden Tag wegen der unzureichenden Unterstützung der Schulen. So kann es nicht weitergehen, so darf es nicht weitergehen. Armin Laschet, übernehmen Sie! Laden Sie zum Schulgipfel!
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von
Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, ich nehme gerne auch Fragen von den regierungstragenden Fraktionen entgegen, denn sie sind in der Regierungsverantwortung, sie sind in der Verantwortung für das Coronamanagement in der Schulpolitik.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Da nützt es Ihnen überhaupt nichts, auszuweichen und auf andere Zeiträume zu verweisen.
Frau Müller-Rech, auf einen Punkt will ich doch noch mal eingehen. Das Land Nordrhein-Westfalen und namentlich die Schulministerin hat eben nicht die KMK-Möglichkeiten ausgereizt. Sie haben auf eine Abschlussklausur gesetzt. Damit entwerten Sie die Vorleistungen. Anderes wäre möglich gewesen. Sie haben mit dieser Entscheidung zu verantworten, dass 1,2 Millionen Schülerinnen noch vier bis fünf Tage vor den Ferien in der Schule gewesen sind.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Wenn die Ministerin jetzt fragt, wo die Bildungskrise ist, dann wird deutlich, dass sie genau die Abgehängten aus dem Blick verloren hat: die Kinder in der Inklusion, die Kinder in prekären Lebensverhältnissen.
(Zurufe von der FDP)
Die Ausstattung mit digitalen Endgeräten gäbe es ohne die Coronapandemie bis heute nicht. Seit mehr als zweieinhalb Jahren thematisieren wir hier genau das. Bis heute gibt es noch keine Standards. Auch das haben die Schulträger ganz klar kritisiert.
Bei den Mitteln für die Ausstattung der Schülerinnen und Schüler mit digitalen Endgeräten handelt es sich um Bundesgeld. Das ist noch nicht einmal Ihre Initiative gewesen. Wir müssen als Land kofinanzieren, und das ist gut so. Die Schulträger haben es gemacht.
Ferner ist es mit Blick auf die Förderzeiträume dilettantisch, wenn mitten in den Sommerferien die Förderrichtlinien kommen.
Und auch das Ferienprogramm, so löblich es ist, …
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
Sigrid Beer (GRÜNE): … arbeitet die Bildungsrückstände nicht auf. Es ist Ihre Verantwortung.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
– Frau Präsidentin, ich würde gerne einen letzten Satz sagen.
(Zurufe von der CDU und der FDP)
Es gibt keine Replik von Ihnen, kein Eingehen auf die Vorträge der Eltern, der Schulleitungen, der Menschen in den Schulen. Das ist traurig. Deswegen bleibe ich dabei: Wir müssen uns alle zusammensetzen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU und der FDP)
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Vielen Dank, Frau Kollegin Beer. – Sie haben wahrscheinlich gesehen, dass eine Kurzintervention angemeldet wurde, und zwar von Herrn Kollegen Ott von der SPD-Fraktion.
(Lachen von der CDU und der FDP)
Jochen Ott (SPD): Ich verstehe die Aufregung gar nicht. Ich darf doch eine Kurzintervention machen.
(Bodo Löttgen [CDU]: Ja sicher!)
Ich verstehe gar nicht, warum ihr euch aufregt.
Frau Kollegin Beer, weil in der CDU-Fraktion und in der FDP-Fraktion anscheinend ein Wissensdefizit bezüglich dessen, was im Schulausschuss des Städtetages besprochen wurde, besteht, möchte ich gerne noch mal darüber sprechen, was ein Dezernent aus einer Stadt gesagt hat, die es schon geschafft hat, in diesem Schuljahr alle Schülerinnen und Schüler mit einem digitalen Endgerät auszustatten.
Vielleicht können Sie das auch noch einmal aus Ihrer Sicht darstellen. Er hat es so erklärt, dass, egal, wie die Förderprogramme aussehen, 75 % der Kosten für die digitale Endausstattung bei den Kommunen bleiben.
Er hat des Weiteren darüber gesprochen, wie kompliziert das Antragsverfahren ist, dass es die verschiedenen Fördertöpfe von Bund und Land für digitale Endgeräte für Lehrer und für Schüler gibt, dass die Bezirksregierungen oft nicht das Personal haben, um das zügig genug umzusetzen, und dass dazu noch kommt, dass bis zum 31. Dezember alles abgerechnet sein soll.
Er hat dann gesagt: Leute, das ist doch eine Sache, die man auch mit Pauschalisierungen lösen kann, mit pauschalen Mitteln. Da sollte man Verabredungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden treffen, wie man das gemeinsam hinkriegt, hier vor allen Dingen zwischen NRW und Städtetag.
Können Sie sich daran erinnern? Vielleicht können Sie Ihren Eindruck dazu noch einmal schildern. Denn mir scheint, ein Teil des Parlaments wird über das, was die Fachleute sagen, nicht informiert.
Sigrid Beer (GRÜNE): Danke schön für diese Kurzintervention. Es wird Sie nicht wundern: Das gibt mir noch einmal die Gelegenheit, genau das zu beleuchten.
(Bodo Löttgen [CDU]: Ja!)
– Ja, Herr Löttgen, Sie sollten sich Gedanken darüber machen, wie man die Kommunen unterstützen kann,
(Beifall von Eva-Maria Voigt-Küppers [SPD])
wie wir dazu kommen, dass Land und Kommunen die Aufgaben einvernehmlich bearbeiten – ohne diesen Antragswust, der jetzt notwendig ist und bei dem klar ist, dass es zum Beispiel bei der Beschaffung der digitalen Endgeräte hängt.
Dass alleine beim DigitalPakt bezüglich der Ausschüttung der Mittel die Antragsverfahren und die Prüfungen so unglaublich lange dauern, ist die erste Baustelle. Da kommt die Förderrichtlinie schon viel zu spät. Daraus resultiert auch diese Kompression bei den Anträgen. Die Förderrichtlinie kam mitten in den Sommerferien. Dann gab es die ganz großen Beschaffungsadministrierungsprobleme. Die Zielsetzung, bis zum 31. Dezember die Mittel verausgabt zu haben und dann bis zum 31. Januar die Nachweise vorzulegen, ist vollkommen unrealistisch.
Ich kann Sie nur inständig bitten – auch im Namen der Kommunen und der Dezernenten und Dezernentinnen, die dort waren –, die Zeiträume zu weiten. Das ist dringend notwendig. Denn jetzt kommt ja glücklicherweise weiteres Geld vom Bund für die Ganztagsausstattung und den Ausbau. Wie sollen die Kommunen das bei den Vorgaben, die ihnen hier gemacht werden, stemmen?
Letzte Woche im Schulausschuss haben wir nach der Förderrichtlinie …
Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.
(Zurufe von der CDU – Bodo Löttgen [CDU]: Die Redezeit!)
Sigrid Beer (GRÜNE): … für die Herbstferien gefragt. Sie ist erst in dieser Woche gekommen. Auch das ist wieder viel zu knapp. Das Handling geht so weiter. Es muss sich grundlegend etwas ändern im Management durch das Schulministerium.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)