Sigrid Beer: „Das Abschieben von Verantwortung auf die Schulleitungen ist sehr deutlich und löst massiven Frust aus“

Aktuelle Stunde auf Antrag der GRÜNEN im Landtag zur Corona-Teststrategie des Landes

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! „Die richtigen Prioritäten setzen“, so heißt es im Antrag von CDU und FDP zu dieser Aktuellen Stunde, und wenn man das tut, dann muss man auch miteinander über Bildung und Gesundheit reden. Das ist ein ganz wesentlicher Bereich.
„Lehrkräfte verzweifeln an ihrer Dienstherrin“. So war vom VBE vor den Sommerferien zu hören. Nach den Sommerferien bescheinigt nun die Schulleitungsvereinigung NRW durch ihren offenen Brief an den Ministerpräsidenten, dass die Verzweiflung über die Praxisferne der Ministerin offensichtlich gewaltig ist. Es ist nicht nur die Schulleitungsvereinigung, es sind auch zwölf Elternverbände, die sich gemeinsam an den Schulausschuss des Landtags gewandt haben und dringend alternative Konzepte einfordern.
Das Abschieben von Verantwortung auf die Schulleitungen und der Eindruck, dass es nach den Sommerferien so weitergeht, wie es in die Sommerferien hineinging, ist sehr deutlich und löst massiven Frust aus.
(Beifall von den GRÜNEN)
Schulleitungen fühlen sich nicht ernst genommen und sollen vor allen Dingen die Fiktion eines Regelunterrichts aufrechterhalten, der keiner sein kann.
Die Erwartung an den Ministerpräsidenten ist sehr klar: Sie sollen dafür sorgen, dass in Ruhe vor Ort gearbeitet werden kann, dass die Bedingungen von Gesundheitsschutz und bester Bildung wirklich gegeben sind und die Verantwortung nicht auf die Kommunen, auf die Schulleitungen, auf die Gesundheitsämter heruntergeschoben wird.
Es ist schon ein Ding, Herr Laumann, dass Sie sich nicht dazu geäußert haben, dass die Gesundheitsämter in Nordrhein-Westfalen ganz unterschiedlich agieren, auch was die Frage des Umgangs mit Verdachtsfällen angeht.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Ob Kinder in Quarantäne gesteckt werden, ob Kollegen und Kolleginnen in Quarantäne gehen, wer betrachtet wird – dazu haben Sie leider nicht einen Satz übrig gehabt.
(Zuruf von der SPD: Das ist nicht seine Aufgabe!)
Die Ministerin erklärte gestern Abend in der Aktuellen Stunde: Die Maskenpflicht musste sein, weil extremes Infektionsgeschehen zu verzeichnen war. Jetzt sei die Lage aber eine andere, die Tendenz in NRW gut. – Dabei sind die Werte heute deutlich höher als am 3. August. Wie es unter diesen Bedingungen weitergeht – Fehlanzeige. Entschieden werde Ende der Woche. Die Schulen freuen sich schon auf die Freitag- oder Samstagabend-Mail.
(Yvonne Gebauer, Ministerin für Schule und Bildung: Oh, nein! – Armin Laschet, Ministerpräsident: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)
Dabei hat der Ministerpräsident schon am letzten Wochenende gesagt, dass es auf Dauer so nicht weitergehen kann. Aber auch er ist die alternativen Konzepte schuldig geblieben. Die Maskenpflicht war in der Tat das letzte Mittel, um das Märchen vom Regelunterricht aufrechtzuerhalten, um zu verdecken, dass es eben keinen Plan B im Schulministerium gibt.
(Beifall von den GRÜNEN)
In vielen Schulen sind Schulleitungen und Lehrkräfte mehr mit Organisation, Aufsicht, Kontrolle und Betreuung beschäftigt, als zu unterrichten. Gegenüber Eltern wird ein Anspruch verkündet, der nicht einzuhalten ist. Vor Ort müssen die Schulleitungen mit den realen Bedingungen kämpfen, vor allem im Ganztag. Verantwortung wird systematisch nach unten durchgereicht, und die notwendige Unterstützung ist nicht da.
(Josef Hovenjürgen [CDU] Es gibt keine Verantwortung!)
So darf es nicht weitergehen: stundenlang eng nebeneinanderzusitzen in einer vollen Klasse ohne Abstand bei eingeschränkter Lüftung. Das Virus wird sich davon nicht beindrucken lassen.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Wieder keine Verantwortung!)
Die Maske bleibt als Schutzschild der Ministerin für einen vermeintlichen Regelunterricht.
(Beifall von den GRÜNEN)
Es gibt keine wirksamen Maßnahmen, um zu Alternativen zu kommen. Unterstützungspersonal breit und systematisch für die in den Schulen notwendigen Aufgaben zu gewinnen, Verträge mit Lehramtsstudierenden, Einsatz der Praxissemester, zivilgesellschaftliche Kräfte einzubinden wie zum Beispiel „Be First“ oder „Balu und Du“ – das sind nur Beispiele von vielen, die mitmachen würden, aber dazu gibt es überhaupt keine Ansätze und keine Initiativen.
(Beifall von den GRÜNEN – Josef Hovenjürgen [CDU]: Von Ihrer Rede auch nicht!)
Wir brauchen Menschen, die Kinder in Phasen von Fernunterricht auch individuell begleiten können. Einen Bildungspakt zu schmieden, der klarmacht, Kinder, Jugendliche und Familien kommen an die erste Stelle – dabei würden wir gern mithelfen. Aber alle Angebote sind bislang abgelehnt worden.
(Zuruf von Josef Hovenjürgen [CDU])
Wir müssen jetzt alles zusammenbinden, andere Lernräume nutzen, Räume akquirieren, kleine stabile Lerngruppen bilden, Infektionsrisiko minimieren und individuelle Förderung möglich machen.
Es ist doch wirklich tragisch, dass so viele Dinge, die jetzt eigentlich Optionen gewesen wären, versemmelt wurden. Ferienangebote: viel zu kurzfristig vor den Sommerferien. Zu der digitalen Ausstattung haben wir im April schon gesagt: Öffnet die Mittel aus dem DigitalPakt. – Nichts ist passiert. Mitten in den Sommerferien dann die Förderrichtlinien:
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
viel zu spät für die Schulen, viel zu spät für die Kommunen, die aber bis zum 31.12. schon die entsprechenden Verwendungsnachweise vorzulegen haben. – Wissen Sie nicht, wie Beschaffung geht? Wissen Sie nicht, was es bedeutet, zu administrieren?
(Zuruf von der CDU)
Diese Geräte werden viel zu spät bei Kindern und Lehrkräften ankommen. Das ist das Dramatische. Wenn Geld zur Verfügung steht, können Sie es noch nicht einmal professionell handeln. Auch das zeigt den Frust im Land sehr deutlich auf.
(Josef Hovenjürgen [CDU]: Sie haben alles torpediert, was zu torpedieren war – alles!)
Wir haben noch einmal umfängliche Vorschläge gemacht, die wir heute Abend aufrufen werden. Es gibt Maßnahmen, die Infektionsschutz, gute Bildung und gelingendes Lernen zusammenbringen. Wir bieten dafür unsere Unterstützung an. Das sage ich heute erneut ausdrücklich. Aber wir brauchen endlich einen Plan B. Sehen Sie der Realität ins Auge! So kann es nicht weitergehen in Nordrhein-Westfalen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)