Sigid Beer: „Honorieren wir dieses Engagement, indem wir Kinder und Jugendliche tatsächlich in den Mittelpunkt stellen“

Anträge u.a. der GRÜNEN im Landtag zum Thema Schule in der Pandemie

Der Antrag

Sigrid Beer (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, lassen Sie mich bitte als Erstes sagen: Wir unterstützen die Entscheidung für den grundsätzlichen Distanzunterricht zunächst bis zum 12.02.21. Es ist auch angesichts der Virusmutation noch einmal besondere Vorsicht geboten.

Diese Entscheidung ist für niemanden leicht – weder für uns im Parlament noch an den Schulen. Es ist auch nicht leicht für die Familien und vor allen Dingen nicht für die Kinder und Jugendlichen. Trotzdem zwingt die Lage dazu.

Ich will heute nicht thematisieren, was im Herbst längst hätte passieren müssen; das werden wir an anderer Stelle noch einmal miteinander besprechen müssen. Jetzt müssen wir alles dafür tun, dass die Reden von Bildungsgerechtigkeit keine hohlen Worte bleiben. Wir brauchen für dieses Schuljahr Verlässlichkeit und Antworten auf die Frage: Was kommt nach dem Distanzunterricht am 12.02.21?

Niemand geht ernsthaft davon aus, dass es wieder direkt in den Präsenzunterricht gehen kann. Wir brauchen deshalb Wechselunterricht in kleinen Lerngruppen, eine Lernbegleitung zum Beispiel durch Studierende, mehr Räume und eine Unterstützung in der Schulentwicklung gerade durch die Digitalisierung. Welche Vorstellungen hat also die Ministerin? Wir wissen es nicht.

Es ist enttäuschend, dass Ministerin Gebauer nicht in der Lage ist, in einer Unterrichtung, wie gefordert, heute das Parlament zu informieren. Auch im Ausschuss war sie nicht sprechfähig. Die Devise ist, eine halbe Stunde via Pressekonferenz zu verkünden anstatt einer Debatte im Parlament.

Diskursfähigkeit lernt man übrigens besonders gut in Sozialwissenschaften, Frau Ministerin, die sich jetzt aber dem Primat der Wirtschaft unterordnen sollen.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Marc Lürbke [FDP])

Ich wünschte mir, dass Sie die Energie, die Sie für solche Vorstöße aufbringen, in einen vernünftigen wissenschaftsbasierten Stufenplan für Wechselunterricht und begleitende Maßnahmen stecken würden.

(Zuruf von Henning Höne [FDP])

Oder sind Sie, Frau Ministerin, schulpolitisch, einem der zentralen landespolitischen Verantwortungsbereiche, eigentlich schon eine Lame Duck? Denn wenn es um Unterrichtungen im Parlament und um Schule geht, kommt immer nur Sir Lancelot Stamp und muss das Panier schwenken. Die Ministerin ist dann nicht zu hören.

Es muss jedoch konkret gehandelt werden. Dazu gehört neben den im Eilantrag der SPD formulierten Akutforderungen vor allem die Einsicht, dass dieses Schuljahr kein normales war und auch kein normales mehr werden wird. Es herrscht jedoch immer noch der Eindruck, dass die Ministerin an den Realitäten vorbeiagiert und sich die Welt schönredet.

Das erste Halbjahr ist für viele Schülerinnen von Quarantäne, Schulzeit- und Unterrichtsausfällen sowie von sehr unterschiedlichem Vertretungsunterricht geprägt. Zur Wahrheit gehören auch die unterschiedliche Qualität des Distanzunterrichts und die unterschiedlichen Lernbedingungen der Schülerinnen. Das alles spricht jedoch nicht gegen das herausragende Engagement von Lehrkräften in der äußerst schwierigen Lage.

Ich sage den Familien und den Schulen Danke für alle gemeinsamen Anstrengungen in dieser Zeit. Honorieren wir dieses Engagement, indem wir Kinder und Jugendliche tatsächlich in den Mittelpunkt stellen. Es gilt, Bildung neu zu denken – über das hinaus, was immer schon war.

Wer jetzt den Regelbetrieb immer so hochhält, redet von einem Bildungssystem, das nicht bildungsgerecht war und es auch heute nicht ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Drehen wir das Ding. Ergreifen wir die Chancen und nutzen in einem ersten Schritt wirklich alles Geld, das im System ist. Auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen darf nicht gespart werden. Das tun wir aber, wenn wir die nicht besetzten Stellen – die bislang das heimliche Sparschwein der Landesregierung sind, mit ihren 100 Millionen Euro – nicht endlich ins System investieren.

Es ist ein Trauerspiel, wenn mit großer Selbstbelobhudelung vorgestellte Ferienprogramme handwerklich so versenkt werden, wie wir das hier erlebt haben. Die nicht abgerufenen 70 Millionen Euro müssen sofort wieder aktiviert werden. Sie müssen für Patenschaftsprogramme und für verbindliche Ferienangebote, die mit Schülerinnen und Familien vereinbart werden, jetzt ab Ostern über den Sommer hinaus und das gesamte kommende Schuljahr 2021/2022 hindurch investiert werden.

Wann gibt es endlich den Rettungsschirm für Kinder und Jugendliche in Nordrhein-Westfalen?

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen dafür sorgen, dass wir als Land Verantwortung übernehmen und Unterstützung liefern und dass Nachhilfe nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Es geht um fachliche Unterstützungsbedarfe, aber auch um eine Stärkung der personalen und sozialen Kompetenzen wie Resilienz in Kombination mit Sport, Kunst, Musik, Kultur und auch Handwerk.

Wir hatten aus anderen Gründen in diesem Land und in anderen Bundesländern schon einmal verkürzte Zeiten in Schuljahren. Etliche von uns hier im Parlament haben solche Kurzschuljahre durchlaufen. Wir haben jetzt de facto ein kurzes Schuljahr, und wir sollten dem mit mehr individueller Lernzeit für Kinder und Jugendliche begegnen.

Diejenigen, die jetzt in Prüfungsjahrgängen sind, haben schon im Frühjahr und im Sommer 2020 nur eingeschränkten und unterschiedlichen Unterricht erfahren dürfen. In diesem Schuljahr sind sie doppelt betroffen. Deswegen: individuell mehr Zeit geben, Druck rausnehmen und damit gar keinen Zweifel an der Qualität von Abschlüssen aufkommen lassen.

Wer sich gut vorbereitet sieht, soll die Prüfungen wie vorgesehen im Sommer ablegen. Aber wer mehr Zeit braucht, soll sie auch bekommen. Das Studium kann auch zum Sommersemester aufgenommen werden, die Ausbildung zum 01.02. Das schafft übrigens nicht nur mehr Zeit für Prüfungsvorbereitung, sondern auch für Praktikumsmöglichkeiten in Betrieben im Herbst und im Winter.

Schaffen wir ergänzende Möglichkeiten für ein freiwilliges soziales Halbjahr statt einem freiwilligen sozialen Jahr, damit auch da Zeiten sinnvoll genutzt werden können! Ein freiwilliges Wiederholen eines Jahres muss auch möglich sein, und die weiterführenden Schulen müssen sich auf eine vertiefte, individuelle Förderung im Übergang in die neuen fünften Klassen einstellen.

Dazu brauchen wir Konzepte, und zwar jetzt, damit mit allen Akteuren gut geplant werden kann. Fantasie, Kreativität, Innovation, Bildung neu denken und tatsächlich für Bildungsgerechtigkeit sorgen – das ist alle Mühe wert und eine Zusammenarbeit, die ich zum wiederholten Male anbiete. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der SPD)

Der zweite Redebeitrag zu diesem Tagesordnungspunkt von

Sigrid Beer (GRÜNE): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich finde es ein wenig erschütternd, dass CDU und FDP in die fachpolitische Debatte im Prinzip nichts, wirklich gar nichts einzubringen haben außer Unwahrheiten über die Opposition.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

Das finde ich schon sehr traurig.

Ich will die Kollegin Müller-Rech darauf aufmerksam machen, dass berechtigte Hinweise auf Mängel an Rechtsverordnungen keine Blockade darstellen.

(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])

Diese Mängel an Ihrer Rechtsverordnung wurden auch von den Verbänden sehr deutlich bestätigt. Ich halte die Verordnung weiterhin für nicht rechtssicher. Wir werden sehen, was wir mit der nächsten Vorlage aus dem Ministerium dazu erhalten werden.

Frau Ministerin, über Ihre Wahlkampfreden und die „Leistungen“, was davon funktioniert hat und was nicht, werden wir uns noch austauschen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Sie sind im Wahlkampf!)

Heute geht es aber um etwas anderes. Das haben Sie in der SchulMail auch nicht geliefert. Die Erweiterung der Study Halls war von den Verbänden längst gefordert.

Sie waren es, die das Solinger Modell blockiert und verboten hat. Das waren genau diese Wechselmodelle.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf)

– Ja, im Verbund mit dem Ministerpräsidenten.

Reden wir doch darüber, was an Entwicklungen im November hätte vermieden werden können, Herr Ministerpräsident.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Homeoffice ist schlecht!)

Sigrid Beer (GRÜNE): Genau das ist der Punkt. Darüber werden wir hier noch ganz entschieden miteinander debattieren müssen.

(Armin Laschet, Ministerpräsident: Homeoffice ist schlecht für Kinder!)

Wir hätten viel früher gegensteuern müssen. Bestimmte Entwicklungen wären gegebenenfalls sogar zu entschärfen gewesen.

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Die Redezeit.

Sigrid Beer (GRÜNE): Das ist die Wahrheit.

(Beifall von den GRÜNEN – Armin Laschet, Ministerpräsident: Präsenz!)

Die Präsenz vom Ministerpräsidenten in dieser Debatte …

(Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer, die Redezeit ist zu Ende.

(Zuruf von Armin Laschet, Ministerpräsident)

Sigrid Beer (GRÜNE): Setzen Sie sich auf die Abgeordnetenbänke, beteiligen Sie sich als Abgeordneter, und stehen Sie hier Rede und Antwort.

(Unruhe)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer, ich werde jetzt das Mikrofon ausschalten.

Sigrid Beer (GRÜNE): Das ist das …

(Das Mikrofon am Rednerpult wird ausgeschaltet. – Beifall und Zurufe von der CDU und der FDP)

Vizepräsidentin Carina Gödecke: Frau Kollegin Beer, ich habe das Mikrofon ausgeschaltet, weil die Redezeit erheblich überschritten war.

(Fortgesetzt Zurufe von der CDU und der FDP – Sigrid Beer [GRÜNE] setzt ihre Rede für einige Sekunden bei abgeschaltetem Mikrofon fort. – Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von der FDP: Peinlich!)