Norwich Rüße: „Bei Ihrem Entfesselungsmantra darf Naturschutz nicht stören“

Zur Volksinitiative „ARTENVIELFALT NRW“

Portrait Norwich Rüße

Norwich Rüße (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gerade sind hier ziemlich viele Emotionen zu spüren gewesen. Ich glaube, das ist dem Thema durchaus angemessen.

Emotionen habe ich in den letzten Monaten und Jahren auch bei den Naturschützerinnen und Naturschützern hier in Nordrhein-Westfalen erlebt. Die waren nämlich zutiefst enttäuscht von dem, was diese Landesregierung seit 2017 gemacht hat.

Ich finde das wichtig. Warum hat es denn diese Volksinitiative überhaupt gegeben? Die ist ja nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern sie ist die Reaktion aus zwei Prozessen.

Der eine Prozess wurde eben schon angesprochen – Krefelder Studie und auch andere Studien –, nämlich der dramatische Rückgang der Artenvielfalt.

Und man sagt, man will etwas tun, man will aktiv werden. Man will diese Landesregierung dazu bewegen, endlich etwas für mehr Naturschutz und mehr Artenvielfalt zu tun.

Sie haben aber – und damit haben Sie doch die Naturschützerinnen und Naturschützer herausgefordert – genau das Gegenteil getan.

Sie haben angefangen – das steht ja auch in Ihrem Koalitionsvertrag, den Sie nicht gemacht haben, aber den Sie umzusetzen haben – mit dem Landesnaturschutzgesetz. Die Regelungen, die rausgeflogen sind, sind wichtige Bausteine gewesen, um mehr Naturschutz umzusetzen. Da geht es auch um die Frage der Flächenverfügbarkeit.

Beim Landeswassergesetz ist es genau das Gleiche.

Es fing an mit dem Landesjagdgesetz.

Dann die Frage zum LEP, 5-ha-Ziel: Natürlich ist es ein wesentlicher Punkt, ob ich so etwas festlege oder nicht.

Jetzt hier zu sagen, der Flächenverbrauch ist doch 2020 gesunken, wir sind auf dem richtigen Weg – so kann man doch die Menschen da draußen nicht veräppeln. Der derzeitige Flächenverbrauch ist vor Jahren beschlossen worden. So schnell halten wir hier gar nichts auf. Das, was wir heute regeln, wirkt sich in fünf bis zehn Jahren aus. So lange dauern doch Planungsprozesse. Machen wir uns doch hier nicht gegenseitig was vor!

Der Effekt 2020 war ein Coronaeffekt. Ich bin mir relativ sicher, dass das nicht auf irgendwelche politischen Maßnahmen zurückzuführen ist.

(Beifall von den GRÜNEN)

Sie haben jahrelang nichts getan. Das habe ich Ihnen heute Morgen schon mal vorgeworfen:

Zu den Biologischen Stationen: Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollen die gut ausfinanzieren und mit mehrjährigen Verträgen ausstatten, ist es ja gut. Aber dann sagen Sie doch auch, mit wie viel Geld Sie das tun wollen. Hinterlegen Sie das doch mal. Warum kommen Sie dann heute mit dem Satz: „Ja, zur dritten Lesung des Haushalts sagen wir, was wir da machen“? Warum denn nicht heute, wenn Sie das wissen? – Sie wissen es nicht. Sie reagieren immer nur. Kurzfristig bessern Sie noch mal nach, dann passiert noch mal was. Aber in Wirklichkeit haben Sie keinen Plan vom Naturschutz.

Das wird Ihnen jetzt mit dieser Volksinitiative vorgeworfen. Die ist genau gegen Ihre falsche Politik gerichtet.

(Beifall von den GRÜNEN und André Stinka [SPD])

Jetzt sagen Sie in der Pressemitteilung, liebe CDU und FDP: Wir wollen Artenschutz auf ein höheres Level bringen. – Das ist doch ein Witz. Das ist doch jetzt wirklich ein Witz.

Das, was Sie mit Ihrem Entschließungsantrag geliefert haben,

(Bianca Winkelmann [CDU]: Haben Sie ihn überhaupt gelesen?)

ist ein Kuddelmuddel, ein buntes Sammelsurium von allen möglichen Punkten. Mir tut Ihr Referent leid, der das wahrscheinlich zusammenschreiben musste.

Sie haben doch das Gegenteil gemacht. Sie haben nichts wirklich Konkretes eingebracht, was Sie in den nächsten Jahren machen wollen. Wir haben heute in der Haushaltsdebatte erlebt, wie Sie den Naturschutz in diesem Land finanziell ausbluten lassen.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Das ist Fakt. Wir wissen doch alle: Politik wird am Ende auch in erheblichem Maße mit Finanzen gemacht.

Eines ist klar: Naturschutz darf nichts kosten, wie wir heute Morgen gelernt haben.

Naturschutz darf vor allem eines nicht: Bei Ihrem Entfesselungsmantra – das haben Sie uns ja immer wieder erzählt: NRW entfesseln – darf Naturschutz nicht stören, und er darf auch die intensive Landwirtschaft nicht stören.

(Zuruf von Daniel Sieveke [CDU])

Ich hätte erwartet, dass Sie heute bei den Haushaltsberatungen mit einem gehaltvollen Änderungsantrag gekommen wären, dass Sie den Naturschützerinnen und Naturschützern entgegengekommen wären. Das haben Sie nicht getan.

Herr Stinka hat vollkommen recht. Dass das hier um 22:30 Uhr beraten wird, ist ein Unding. Unser Geschäftsführer ist da CDU und FDP entgegengekommen, weil Sie tatsächlich morgen und übermorgen nicht da sind. Aber es ist nicht richtig. Das hätte hier zu einem anderen Zeitpunkt beraten werden müssen.

Präsident André Kuper: Herr Kollege, es gibt den Wunsch nach einer Zwischenfrage aus den Reihen der CDU.

Norwich Rüße (GRÜNE): Ja, natürlich.

Präsident André Kuper: Kollegin Winkelmann.

Bianca Winkelmann (CDU): Herzlichen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich höre gerade ganz viel zu dem, was wir machen und was wir angeblich nicht machen. Ich habe heute Morgen in meiner Rede schon einmal darauf hingewiesen: Ich bin gespannt, was jetzt von Ihnen kommt. Wie möchten Sie die Forderungen der Volksinitiative umsetzen? Davon habe ich bis jetzt noch nichts gehört, auf keiner Seite.

Norwich Rüße (GRÜNE): Das ist mir heute Morgen bei den Beratungen zum Haushalt auch schon aufgefallen. Ich hatte den Eindruck, Sie haben sich unsere Änderungsanträge, die wir zum Haushalt eingebracht haben, überhaupt nicht angeguckt. Sonst hätten Sie nämlich mitbekommen, dass wir gerade im Einzelplan 10 erhebliche Mittel bereitstellen würden. Wenn Sie dem zugestimmt hätten, hätten wir das ja jetzt.

Wir haben gesagt: Wir wollen das Sofortprogramm Artenvielfalt haben. Wir haben sogar gesagt: Wir stellen dafür 30 Millionen Euro zur Verfügung, um da wirklich mal Wumms reinzukriegen.

Wir haben gesagt: Wir wollen mehr Geld in den Bereich „Flächenankauf“ stecken. Denn das ist eine entscheidende Frage: Kriegen wir Flächen entlang von Flüssen, von Gewässern aktiviert?

Wir haben genauso gesagt: Wir wollen die Biologischen Stationen finanziell stärken.

Alles das haben wir gemacht.

Ich könnte Ihnen jetzt noch ellenlang ausführen, was wir dann im LEP usw. machen werden.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Ich empfehle Ihnen: Schauen Sie sich einfach noch mal unser Landtagswahlprogramm an. Da stehen all die Dinge drin, die wir ab 2022 dann hier im Landtag nach und nach hoffentlich umsetzen werden.

(Beifall von den GRÜNEN)

Ich sage Ihnen als Letztes, was Sie mit den Naturschützern gemacht haben. Sie haben sie respektlos behandelt. Der Brief, den Sie vor zwei Wochen bekommen haben – Sie und Herr Diekhoff –, spricht Bände.

(Bianca Winkelmann [CDU]: Haben Sie ihn auch bekommen?)

Ich zitiere daraus die drei Naturschutzverbände: All dies vermittelt uns den Eindruck, dass Ihnen auch im fünften Regierungsjahr und 16 Monate nach dem Start der Volksinitiative an keinem ernsthaften und vertieften Austausch und Kooperationen und noch weniger an wirklich substanziellen Entscheidungen zugunsten der biologischen Vielfalt in NRW gelegen ist. Das müssen wir konsterniert zur Kenntnis nehmen.

(Zuruf von Bianca Winkelmann [CDU])

Ich tue das auch. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)

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