Norika Creuzmann (GRÜNE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Wie jetzt schon mehrfach genannt, hat das ARD-Format „Story“ kürzlich sehr eindrucksvoll unter dem Titel „Jugendämter in Not – Kinder in Gefahr?“ die Situation der Jugendämter dargestellt. Reflexhaft kam der Antrag der AfD, genauso reflexhaft wie der fortwährende Ruf nach der Fachaufsicht.
Aber die Herausforderungen, vor der die Jugendämter stehen, sind weit komplexer als es der Antrag suggeriert. Eine einfache Lösung existiert nicht. Es ist problematisch, wenn falsche Erwartungen geweckt werden, denn sie tragen nicht zur tatsächlichen Verbesserung der Situation bei. Die angespannte Lage in den Jugendämtern ist nicht plötzlich entstanden, sondern das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung.
Herr Hafke, es steht außer Frage, dass wir uns im Landtag intensiv mit diesem Thema befassen müssen. Aber genau das tun wir bereits, spätestens seit den Ereignissen in Lügde. Es ist das Landeskinderschutzgesetz auf den Weg gebracht worden; es ist die Kinderschutzkommission eingesetzt worden. Die Kinderschutzkommission hat die Situation der Jugendämter aus verschiedenen unterschiedlichsten Perspektiven analysiert und diskutiert. In diesem Zusammenhang wurde auch das schon genannte Gutachten in Auftrag gegeben.
Wer nun die volle Verantwortung beim Land sieht, sollte auch erklären, warum zentrale Forderungen nicht bereits unter Minister a. D. Joachim Stamp umgesetzt wurden. In der eingangs zitierten ARD-Reportage schildert Jugendamtsmitarbeiterin Verena Bieler, dass sie in Spitzenzeiten für 137 Fälle zuständig war.
Es steht außer Frage, dass Fachkräfte in den Jugendämtern mehr Zeit und Ressourcen benötigen, um ihrer verantwortungsvollen Arbeit gerecht zu werden. Doch eine starre Fallobergrenze ist keine pauschale Lösung. Was geschieht mit dem 36. Fall, wenn die Grenze bei 35 liegt? Wie wird mit Personalausfällen aufgrund von Krankheit umgegangen? Gerade in Zeiten des Fachkraftmangels sind solche Vorschläge wenig zielführend.
Brauchen wir denn nicht auch kreative Lösungen, um die stationäre Jugendhilfe zu entlasten? Eine Plattform ist gut und richtig und wichtig, aber wir brauchen doch viel, viel mehr als nur eine digitale Plattform, auf der man sehen kann, an welchen Stellen ein freier Platz ist. Es braucht kreative Lösungen genau für diese Problematik.
In meinem Heimatkreis forderten die Bürgermeister gemeinsam im Rahmen der Haushaltsberatungen des Kreises Kürzungen im Bereich der Jugendhilfe. Das ist eine völlig konträre Forderung zu der aktuellen Problematik, die wir haben.
(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)
Fakt ist, dass wir aufgrund des Fachkräftemangels wahrscheinlich nie wieder so viele Menschen im System haben werden wie heute. Wir müssen es schaffen, das System zu stabilisieren, zu stärken, gleichzeitig mit den Fachkräften zu entlasten, die wir haben, und den Kinderschutz beständig auszubauen. Das ist eine Herkulesaufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können.
In der ARD-Reportage spricht Professorin Beckmann ein zentrales Problem an: Wenn sie ihre Studierenden fragt, wer sich eine Tätigkeit im Jugendamt vorstellen kann, zeigt sich kaum Interesse. – Das macht deutlich, dass Jugendämter für junge Menschen keine attraktive Berufsperspektive bieten.
Die Frage, ob der ASD allerdings für Berufseinsteigerinnen geeignet ist, muss auch erlaubt sein. Fehlentwicklungen und Probleme zu benennen, ist wichtig. Genauso entscheidend und wichtig ist es, Wertschätzung für diese Arbeit zu betonen.
Das Gegenteil von Schlafen sind die Aktivitäten der Landesregierung. Wir begrüßen ausdrücklich die Kampagne „What the Future“ des MKJFGFI, die junge Menschen für Sozial- und Erziehungsberufe begeistern soll. Darüber hinaus läuft das Modellprojekt „Vertiefungsspur ASD“ in Münster, Bochum und Aachen, um Studierende gezielt auf die Tätigkeit im Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter vorzubereiten.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst, BAG ASD, hat 2023 in einem offenen Brief an die Bundesregierung die prekäre Lage der Jugendämter geschildert und eine finanzielle Unterstützung eingefordert. Die Herausforderungen übersteigen nicht nur die Kapazitäten der Kommunen, sondern auch oft die der Länder. Daher brauchen wir einen umfassenden Ansatz mit einer stärkeren Verantwortung des Bundes und einer besseren Zusammenarbeit zwischen Kommunen und Ländern. Am Ende bleibt es jedoch die Aufgabe der Kommunen, ihre Jugendämter bestmöglich auszustatten.
Es soll diskutiert werden, ob eine stärkere Rechtsaufsicht schon vor Bekanntwerden eines Skandals zu einem besseren Kinderschutz beitragen kann. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob eine solche Aufsicht den ohnehin schwierigen Beruf im Jugendamt nicht noch unattraktiver macht. Sollte es nicht vielmehr unsere Aufgabe sein, die Leitungen zu stärken und den Jugendhilfeausschüssen fachliche Expertise zukommen zu lassen?
Wir setzen auf die Qualitätsentwicklungsverfahren, wie sie bereits durch das Landeskinderschutzgesetz eingeführt wurden. Der Weg ist zielführend, um die Qualität der Arbeit in den Jugendämtern nachhaltig zu verbessern. Die Rückmeldungen sind positiv. In Gesprächen wurde mir immer wieder berichtet, wie hilfreich die Verfahren sind. – Wir freuen uns auf eine konstruktive Diskussion im Fachausschuss und stimmen der Überweisung zu.
(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)