Norika Creuzmann: „Atomkraft ist teuer, riskant und rückwärtsgewandt“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der FDP-Fraktion zur Energiepolitik Belgiens

Portrait Norika Creuzmann

Norika Creuzmann (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Es gibt Nachrichten, die ins Mark treffen – nicht nur politisch, sondern auch emotional. Die Entscheidung des belgischen Parlaments vom 15. Mai, den Atomausstieg teilweise zurückzunehmen, ist ein solcher Moment. Sie fällt wie ein dunkler Schatten auf eine ohnehin fragile weltpolitische Lage.

Ab 2026 soll der Reaktorblock Tihange 3, Nachbar des hochumstrittenen, inzwischen stillgelegten Blocks Tihange 2, für beinahe ein Jahrzehnt wieder ans Netz gehen. Wir erinnern uns: Als Tihange 2 im Januar 2023 nach fast 40 Jahren Betrieb abgeschaltet wurde, war die Erleichterung groß, auch bei uns in NRW. Dieser sogenannte Bröckelreaktor war über Jahre hinweg Sinnbild für technische Mängel, Sicherheitsbedenken und wachsende Besorgnis in der Grenzregion.

Dass nun der benachbarte Block 3 trotz ähnlichen Alters und bekannter Mängel wieder hochgefahren werden soll, ist mehr als bedenklich. Es ist ein gefährlicher Rückschritt.

(Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Atomare Strahlung kennt keine Landesgrenzen. Deshalb teilen wir Grünen nicht nur die Sorgen vieler Menschen in der Region, sondern auch ihre Entschlossenheit, sich dagegen zu wehren. Die beeindruckende Menschenkette von Aachen bis Tihange im Jahr 2017 mit über 50.000 Teilnehmenden steht sinnbildlich dafür. Damals wurden in NRW Jodtabletten verteilt – ein drastisches, aber deutliches Signal. Die Bedrohung war real, und sie ist es heute wieder.

Klar ist: Ein Super-GAU lässt sich nicht mit Jodtabletten stoppen. Wenn es zum Ernstfall kommt, sind Chaos, Evakuierung und Angst die Folgen – mit verheerenden Folgen über Generationen hinweg. Wir sehen uns deshalb in der Verantwortung für unsere Kinder und Enkel, für ihre Sicherheit, aber auch für ihre seelische Unversehrtheit.

Unsere Haltung ist klar: Wir lehnen die Laufzeitverlängerung belgischer Reaktoren ab – nicht aus ideologischer Verbohrtheit,

(Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Nein!)

sondern aus gut begründetem Sachverstand.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die Reaktoren sind am Ende ihrer technischen Lebensdauer. Beton und Stahl wurden jahrzehntelang hoher Strahlung ausgesetzt. Das hinterlässt Spuren, die nicht einfach durch Nachrüstung zu beseitigen sind. Selbst der Betreiber ENGIE hält eine Verlängerung für nicht rentabel und undenkbar.

Die geplanten Neubauten in Belgien lösen das Problem ebenfalls nicht, denn ein neues Atomkraftwerk braucht Jahrzehnte für Planung, Genehmigung, Bau und Inbetriebnahme. Wir haben aber keine Jahrzehnte Zeit. Der Klimaschutz duldet keinen Aufschub. Atomkraft ist schlicht nicht geeignet, Teil einer dynamischen und nachhaltigen Energiewende zu sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

Warum? Weil Atomstrom unflexibel ist. Er dient der Grundlastversorgung, lässt sich nicht sinnvoll mit schwankenden Einspeisungen aus Wind und Sonne kombinieren. Wer von Flexibilität, Speichertechnologien und Netzausbau spricht, muss sich ehrlich machen: Die Zukunft liegt bei den Erneuerbaren und nicht bei der Reaktivierung maroder Reaktoren.

Noch eine Frage, die allzu oft untergeht, drängt sich in der Debatte auf: Woher kommt eigentlich das Uran? Die Antwort ist unbequem: aus Russland oder aus Ländern wie dem Kongo, wo der Abbau mit Umweltzerstörung, Ausbeutung und oft auch mit Gewalt einhergeht.

(Zuruf von Christian Loose [AfD])

Wer heute über Atomkraft spricht, muss auch über Rohstoffabhängigkeit und über globale Verantwortung sprechen. Seit Jahren bemüht sich unsere Landesregierung in NRW über Parteigrenzen hinweg um einen konstruktiven Dialog mit Belgien. Die Gründung der Deutsch-Belgischen Nuklearkommission im Jahr 2017, die bilateralen Umweltverträglichkeitsprüfungen, die Konstituierung neuer Arbeitsgruppen – all das zeigt: Wir nehmen diese Bedrohung ernst.

Es ist und bleibt ein gefährlicher Irrweg, weiter auf Atomkraft zu setzen. Die Risiken sind enorm. Die wirtschaftliche Rechnung geht nicht auf. Flamanville in der Normandie in Frankreich ist dafür das abschreckende Beispiel. Die Kosten für den Neubau des Reaktors sind explodiert. Der Bau hat sich um Jahre verzögert. Noch bevor der neue Reaktor voll läuft, muss bereits der Deckel ersetzt werden – 24 Milliarden Euro später.

Wir wollen an dieser Stelle auch betonen: Kritik verbindet viele Fraktionen im Landtag. Auch die FDP-Fraktion in Person von Werner Pfeil aus Aachen hat sich wiederholt gegen den Weiterbetrieb der belgischen Meiler ausgesprochen. Das verdient Anerkennung und zeigt auch, dass grenzüberschreitender Strahlenschutz kein Parteienstreit sein sollte.

Deutschland hat sich gegen die Atomkraft entschieden. Das war und ist richtig.

(Beifall von den GRÜNEN, Dr. Ralf Nolten [CDU], Thomas Schnelle [CDU], Klaus Hansen [CDU] und Rodion Bakum [SPD])

Es wäre schön gewesen, wenn die FDP auch so eine klare Haltung wie Dr. Pfeil in NRW hätte.

(Beifall von den GRÜNEN)

Die strahlenden Altlasten werden uns ohnehin noch über Generationen begleiten. Wir stehen dafür ein, dass keine neuen hinzukommen. Atomkraft ist teuer, riskant und rückwärtsgewandt.

Kommen Sie in meine Heimat nach Ostwestfalen. Dort drehen sich Windräder – sauber, sicher und rückstandsfrei. Sie strahlen nicht.

(Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Sie stehen für eine Zukunft, die sich nicht auf Angst gründet, sondern auf Verantwortung und Mut zur Veränderung. Erst gestern lag der Anteil erneuerbarer Energien im Kreis Paderborn bei 222 %.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es wäre schön, wenn sich unsere Nachbarländer davon inspirieren ließen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)