Der Antrag „Gender Health Gap: Geschlechtsspezifische Risiken bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen vertiefter erforschen und stärkeres gesellschaftliches Bewusstsein schaffen“
Meral Thoms (GRÜNE): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland, bei Männern wie bei Frauen. Trotzdem werden diese Erkrankungen – auch ich betone das noch einmal – immer noch zu spät erkannt, falsch diagnostiziert oder nicht ausreichend behandelt.
Warum? Weil Frauen andere Symptome zeigen. Statt der klassischen Brustschmerzen erleben sie Atemnot, Übelkeit oder Rückenschmerzen. Diese Symptome passen nicht ins Lehrbuch. Oder besser gesagt: Sie passen nicht ins männlich geprägte Lehrbuch.
Das hat fatale Konsequenzen für uns Frauen: Fehldiagnosen, zu späte Behandlungen und im Fall von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im schlimmsten Fall den Tod. Es ist nicht hinnehmbar, dass gerade bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen keine gerechte und keine gleiche Behandlung für alle gewährleistet ist.
Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Die Ursachen – das muss uns klar sein – sind strukturell bedingt.
In der medizinischen Forschung und Lehre wird immer noch der männliche Körper als Norm betrachtet. Medikamententests werden überwiegend und überproportional an Männern durchgeführt. Auch in der Ausbildung liegt der Fokus auf den Symptomen, wie sie typischerweise Männer zeigen. Das führt bei medizinischem Personal dazu, dass es weniger auf die spezifischen Symptome und Bedürfnisse von Frauen vorbereitet ist.
Hier müssen wir festhalten: Der Gender Health Gap ist kein Einzelfall. Er ist das Ergebnis eines veralteten Systems, das längst überholt ist.
Wir müssen auch über Wechseljahre sprechen. Darüber sprechen wir viel zu wenig. Oft wird übersehen, dass der hormonelle Wandel in den Wechseljahren ein Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. Mit dem Absinken des Östrogenspiegels verlieren Frauen ihren natürlichen Schutzfaktor. Genau das ist der Grund, warum Frauen später den Herzinfarkt bekommen.
Ich wundere mich. Sie haben Medizin studiert. Eigentlich müsste Ihnen das klar sein, Herr Dr. Vincentz.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD)
Das wissen viele Betroffene nicht – ich habe es sogar in meiner Rede beschrieben –, und viele Ärztinnen und Ärzte berücksichtigen das nicht ausreichend, wie wir soeben erlebt haben.
(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Wie viele Herzinfarkte haben Sie denn in Ihrem Leben behandelt?)
Es fehlt an Information und an Bewusstsein für geschlechtersensible Medizin beim medizinischen Personal.
Noch gravierender ist diese Situation für Frauen mit Migrationsgeschichte, mit Behinderungen, mit geringem Einkommen oder für queere Frauen. Sie sind noch häufiger von Benachteiligungen im Gesundheitssystem betroffen, weil sich gesellschaftliche Benachteiligungen überlagern und so Versorgungslücken weiter vertiefen. Auch diese Mehrfachdiskriminierungen dürfen in unserem Gesundheitssystem keinen Platz haben.
(Beifall von den GRÜNEN)
Doch es gibt auch Hoffnung. Es gibt positive Entwicklungen. Frau Gebauer hat auch schon davon berichtet. Das Projekt HeartGap arbeitet daran, geschlechtsspezifische Unterschiede in der Kardiologie systematisch zu erfassen und die Versorgung zu verbessern. Das Netzwerk Gendermedizin.NRW setzt sich dafür ein, dass Genderaspekte in Forschung, Lehre und Praxis endlich die Relevanz bekommen, die ihnen zusteht.
Das sind wichtige Schritte. Aber sie sind nicht ausreichend. Wir brauchen ein Umdenken, und wir brauchen konkretes Handeln. Bei Forschungsvorhaben in NRW sollen die bestehenden Datenlücken geschlossen werden. Geschlechtersensible Medizin muss endlich integraler Bestandteil der ärztlichen Approbationsordnung werden. Wir müssen das Bewusstsein für die Unterschiede bei Patientinnen und Patienten, dem medizinischen Personal und in der Aus- und Fortbildung schärfen.
Wir müssen vor allem die Frauen aktiv über Symptome, über Risiken und über ihre Rechte als Patientinnen informieren.
Mit unserem Antrag beauftragen wir die Landesregierung unter anderem, auch Prävention und vor allem Empfehlungen zur Lebensstiländerung zu berücksichtigen.
Denn bei unserem Antrag geht es nicht nur um Zahlen. Es geht um Menschen, die uns nahestehen, um unsere Mütter, unsere Partnerinnen, Schwestern, Freundinnen und Freunde. Es geht auch um uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier im Plenum. Wir alle hier haben die Verantwortung, endlich dafür zu sorgen, dass Medizin allen Menschen gleich zugutekommt, nicht nur, weil es gerecht ist, sondern, weil es überlebenswichtig ist. Ich bitte Sie deswegen ganz herzlich: Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN)