Meral Thoms: „Geschlechtergerechtigkeit ist wesentlicher Maßstab für die Qualität unseres Gesundheitswesens“

Zum Antrag der Fraktionen von CDU und Grünen im Landtag zu geschlechtergerechte Medizin

Portrait Meral Thoms

Der Antrag „Mehr Gerechtigkeit im Gesundheitswesen – Frauengesundheit und geschlechtergerechte Medizin weiter vorantreiben“

 

Meral Thoms (GRÜNE): Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche die Frauen hier im Saal an. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in der Notaufnahme und haben starke Schmerzen. Aber Sie müssen warten. Sie müssen sehr lange warten. Minuten werden zu Stunden. Andere, die nach Ihnen kamen – das stellen Sie fest –, werden schneller behandelt. Letztendlich werden Sie behandelt. Sie bekommen ein Schmerzmittel, aber nur eins, das Sie sich ganz leicht auch rezeptfrei in der Apotheke hätten besorgen können. Klingt das realistisch? Leider ja.

Vielleicht, liebe Frauen, haben Sie das auch schon erlebt. Denn eine Studie aus den USA und Israel zeigt: Frauen warten in der Notaufnahme im Schnitt 30 Minuten länger als Männer, Frauen erhalten seltener Schmerzmittel, und Frauen werden seltener gefragt, wie stark ihre Schmerzen sind.

Eine weitere Studie aus den USA zeigt: Die Beschwerden von Frauen werden systematisch als weniger schlimm eingeschätzt, trotz gleicher Symptome.

Warum ist das so? Weil – das müssen wir festhalten – Geschlechterklischees immer noch unsere Medizin prägen, auch heute noch. Frauen gelten als emotional, ihre Schmerzen als übertrieben. Gleichzeitig wird ihnen mehr Schmerzresistenz zugetraut. So widersprüchlich diese Zuschreibung auch ist, das Ergebnis bleibt dasselbe: Frauen werden medizinisch unterversorgt.

Vielleicht fragen Sie sich jetzt: Das sind Studien aus den USA. Gilt das auch für Deutschland? Die Antwort ist ernüchternd: Wir wissen es nicht. Aber wir müssen es vermuten. Denn es gibt eine riesige Wissenslücke – das hat auch Kollegin Gebauer gesagt –, den Gender Health Data Gap.

Was heißt das konkret? Frauen sind in medizinischen Studien auch heute noch oft unterrepräsentiert. Medikamente und auch Medizinprodukte orientieren sich noch zu oft nur am männlichen sogenannten Normkörper. Frauenspezifische Erkrankungen wie Endometriose oder Lipödem werden bis heute nicht genügend erforscht, zu spät diagnostiziert und zu wenig behandelt. Diese Themen hatten wir schon oft hier im Landtag.

Die Datenlücke, von der wir sprechen, ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis einer medizinischen Tradition, die den männlichen Körper als das Maß aller Dinge versteht, auch heute noch. Genau diese Logik prägt auch noch immer Forschung, Lehre und Versorgung.

Das spiegelt sich auch in den Strukturen wider. Im Gesundheitswesen sind 75 % der Beschäftigten weiblich, also der überwiegende Teil. Und was schätzen Sie, wie es im Topmanagement des Gesundheitswesens aussieht? Sind es da vielleicht 60 %, 40 % oder 20 %? Nein, es sind mickrige 17 % Frauen im Topmanagement. – So viel zur Ausgangslage.

Was haben wir mit diesem Antrag vor? Er bündelt eine Reihe konkreter Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Wir wollen geschlechtersensible Gesundheitsversorgung in der Landesgesundheitskonferenz positionieren, das Thema intensiv mit allen Akteuren diskutieren und Lösungen definieren.

Mädchen und Jungen sollen durch Präventionsangebote in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden, zum Beispiel durch solche an Schulen.

Wir nehmen auch die Mehrfachdiskriminierung in den Blick, etwa bei der gynäkologischen Versorgung von Mädchen und Frauen mit Behinderung. Hier brauchen wir eindeutig bessere Informationsangebote zum Beispiel zu barrierefreien Praxen.

Wir machen klar – auch das ist mir sehr wichtig –: Das Recht auf körperliche und reproduktive Selbstbestimmung ist ein grundlegendes Menschenrecht. Deshalb braucht es flächendeckende Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche in ganz NRW.

Wir setzen uns auch dafür ein, dass mehr Frauen in Führungspositionen im Gesundheitswesen sind bzw. aufsteigen. Gemeinsam mit den Akteuren im Gesundheitswesen wollen wir überlegen, welche Maßnahmen und welche Instrumente hier geeignet sein könnten, zum Beispiel Nachwuchsprogramme oder Mentoringprogramme.

Geschlechtergerechtigkeit ist nicht einfach nice to have. Sie ist kein Randthema und kein Sonderfall, sondern wesentlicher Maßstab für die Qualität unseres Gesundheitswesens. Es ist Zeit, die männliche Norm zu hinterfragen, Zeit, die Datenlücke zu schließen, Zeit für echte Geschlechtergerechtigkeit in der Medizin. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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