Meral Thoms: „Das Modell ist nicht auf der Höhe der Zeit“

Zum Antrag der SPD zur Einsamkeitsprävention

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade eine Woche her, dass wir hier im Landtag junge Menschen zum Girls’Day und Boys’Day begrüßen durften. Dieser Tag diente dazu, Mädchen und Jungen Einblicke in Berufsfelder zu geben, in denen sie aktuell unterrepräsentiert sind. Es geht hier auch ausdrücklich um den Abbau von Geschlechterklischees bei der Berufswahl.

Ein paar Tage später diskutieren wir nun hier und heute tatsächlich über einen Antrag zur Gemeindeschwester. Das ist, offen gesprochen, nicht ganz frei von Ironie und lässt einige Fragen offen. Ist dieser Beruf eigentlich auch für Männer gedacht? Wenn sich nun auch ein junger Mann entscheidet, diesen Beruf zu ergreifen, wie sprechen wir ihn dann an? Ist das ein Gemeindebruder?

(Zuruf von der SPD: Ja, warum nicht?)

Hier wird deutlich: Ein bundesweiter Aktionstag ist notwendig, weil die Geschlechterklischees in unseren Köpfen weiterleben und sogar Eingang in parlamentarische Initiativen erhalten.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Zuruf von Kirsten Stich [SPD] – Gegenruf von Norwich Rüße [GRÜNE]: Scheint Sie ja ein bisschen getroffen zu haben!)

Dabei hätten Sie, liebe SPD, dies und vieles mehr in diesem Antrag besser machen können. Denn der Antrag ist nicht neu. Er ist, abgesehen von minimalen Ergänzungen, die Sie vorgenommen haben, weitgehend eine Kopie eines Antrags von 2021.

(Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: So ist es! Habt ihr noch in der Schublade gefunden, oder? – Gegenruf von Thorsten Klute [SPD]: Sagen Sie das gleich auch?)

Damals gab es umfangreiche Anhörungen mit Sachverständigen von Verbänden, Krankenkassen und der Wissenschaft sowie Hausärzten. Da liegt es in Vorbereitung auf die heutige Rede nahe, nachzuschauen, wo sich die vielen guten Tipps der Expertinnen und Experten und die Anregungen aus der Anhörung wiederfinden. Ich kann Ihnen sagen: In der Analyse sieht es nicht gut aus. Ich gebe Ihnen ein paar Beispiele.

So wurde natürlich auch in der Anhörung der Begriff „Gemeindeschwester“ kritisiert, allerdings nicht nur in Bezug auf die Geschlechterklischees, sondern die Expertinnen und Experten haben ihn auch hinsichtlich der Erwartungen, die mit dem Begriff „Schwester“ im Gesundheitswesen verbunden sind, kritisiert. Denn Ihre Gemeindeschwester ist zwar eine Netzwerkerin und Begleiterin, sie übernimmt aber gerade keine Pflegeaufgaben im eigentlichen Sinne. Deswegen ist dieser Begriff irreführend.

Damit wären wir beim zweiten Kritikpunkt. Er betrifft die Frage der Qualifikation. Bei der Anhörung haben sowohl der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe als auch Professorin Köckler von der Hochschule für Gesundheit Bochum sich für eine akademische Ausbildung in der Pflege stark gemacht.

Ein Studium „Community Health Nursing“ befähigt die Absolventinnen und Absolventen dazu, systematisch Versorgungslücken und Unterstützungsbedarfe zu erkennen und zu bearbeiten, zum Beispiel – das ist ganz wichtig – bei chronisch Kranken. Zudem liegt im Studium „Community Health Nursing“ ein klarer Schwerpunkt auf Prävention und Gesundheitsförderung. Dazu gehören auch die Identifikation von Gesundheitsrisiken und der Schutz vulnerabler und gefährdeter Personengruppen – bei Hitzewellen zum Beispiel alleinlebende Hochbetagte. Dieser Aspekt der Qualifikation, den die Sachverständigen in der Anhörung empfohlen haben, fehlt in Ihrem Antrag aber weiterhin.

Ein dritter Schwachpunkt ist die Andockung. Sie möchten die sogenannte Gemeindeschwester an die Pflegestützpunkte andocken. Jene wurden aber in den letzten Jahren schon von den Kassen zurückgefahren, weil das Angebot nicht entsprechend den Erwartungen angenommen wurde. Stattdessen wurde in dieser Anhörung die Anbindung an innovative Versorgungsformen wie zum Beispiel Gesundheitszentren vorgeschlagen. Denn in diesen Gesundheitszentren liegt das Potenzial, inklusivere Zugänge zu schaffen und auch die Menschen zu erreichen, die bestehende Beratungsangebote bislang nicht genutzt haben, zum Beispiel Menschen mit internationaler Familiengeschichte.

Kurz gesagt: Der Antrag und auch das Modell sind nicht auf der Höhe der Zeit. Die wichtigen Anregungen von Verbänden und Wissenschaft in der Anhörung wurden nicht aufgegriffen. Das ist schade.

Demgegenüber haben wir in unserem Koalitionsvertrag dieses wichtige innovative Modell der Community Health Nurse bzw. Gemeindepflegekraft vereinbart. Das haben wir schon vom Kollegen Berger gehört. Community Health Nurses oder Gemeindepflegekräfte sind Fachkräfte mit einer akademischen Ausbildung, angebunden an innovative Versorgungsformen wie multiprofessionelle Gesundheitszentren und eingebunden – das ist ganz wichtig – in ein ganzheitliches Konzept der Quartiersarbeit. So steht es im Koalitionsvertrag.

Zusammengefasst: Ich glaube, aus meiner Rede wird klar, dass wir Ihren Antrag nicht brauchen. Wir lehnen ihn ab. – Herzlichen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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