Meral Thoms: „Alle Beschäftigten – da sind wir uns alle einig – haben ein Recht auf ein angstfreies Arbeiten“

Zum Antrag der SPD-Fraktion zum Gesundheitspersonal

Portrait Meral Thoms

Meral Thoms (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Vorbereitung auf diese Debatte habe ich mit Ärztinnen und Pflegepersonal gesprochen und gefragt, ob sie Gewalterfahrungen im Berufsalltag erlebt hätten. Es wurden mir einige Gewalterfahrungen geschildert, sehr eindrücklich, und eine habe ich Ihnen auch mitgebracht.

Es geht hier um eine junge Assistenzärztin, die im Nachtdienst im Krankenhaus ist. Eine schwangere Frau kommt mit ihrem Mann. Es gibt Komplikationen, man ist ja im Notdienst. Dem Kind geht es schlecht, es verstirbt trotz der Behandlung. Die aufgewühlten Eltern geben nun der Ärztin die Schuld am Tod des Kindes. Der Vater attackiert noch in der Nacht die Ärztin massiv verbal, beschimpft sie. Und auch im Nachgang wird diese Ärztin noch wochenlang vom Vater telefonisch bedroht und beschimpft.

Was musste sie sich anhören? Sie hat es mir wirklich wortwörtlich gesagt: Ich bringe deine Kinder um – sie ist selber Mutter – genauso, wie du mein Kind umgebracht hast, sagte dieser Vater. Ich mache dich fertig.

Sie bekam Angst, nicht nur um ihre eigene Sicherheit, sondern auch um die ihrer Familie, ihrer Kinder. Sie ging danach mit Sorge zur Arbeit, und sie lernte schließlich in ihrer Freizeit Kampfkunst, um sich bei einer möglichen Attacke, mit der sie rechnete, selbst verteidigen zu können. Dieser Fall ist kein Einzelfall.

Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Beschäftige in Gesundheitsberufen werden immer häufiger Opfer verbaler oder körperlicher Gewalt – nicht erst seit der Pandemie. Die Datenlage zu dem Thema ist noch recht dünn, aber zeigt besorgniserregende Tendenzen.

Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege hat 2017 eine Studie, die zitierbar ist, in Krankenhäusern, Altenpflege und in der Behindertenhilfe durchgeführt. Hier gaben knapp 80 % der Beschäftigten an, in den letzten zwölf Monaten von Gewalt betroffen gewesen zu sein. Im Fokus hat man dann auch eine Teilgruppe der Beschäftigten in Krankenhäusern beleuchtet: Fast alle gaben hier an, in den letzten fünf Monaten Beschimpfungen erlebt zu haben, mehr als die Hälfte Bedrohungen, Kneifen oder Kratzen, über ein Drittel Schläge oder Tritte und mehr als ein Viertel rassistische Äußerungen.

Diese Studie ist aus dem Jahr 2017, und in der Pandemie hat sich die Aggression gegen medizinisches Personal noch einmal verstärkt. Gewalterfahrungen belasten, und sie bedeuten auch ein gesundheitliches Risiko, zum Beispiel für Depressionen oder für psychosomatische Erkrankungen. Alle Beschäftigten – da sind wir uns alle einig – haben ein Recht auf ein angstfreies Arbeiten sowie körperliche und seelische Unversehrtheit. Das gilt für uns alle und selbstverständlich auch im Gesundheitswesen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Was steht nun an? Es fehlen belastbare Zahlen zur aktuellen Situation. Das heißt, die Datenlage muss verbessert werden. Auch die Wirksamkeit einzelner Präventionsmaßnahmen zum Thema „Gewaltschutz“ sind noch viel zu wenig bekannt. Die Fragen müssen beantwortet werden, bevor wir ein umfangreiches Maßnahmenpaket definieren können. Und bei möglichen Maßnahmen müssen wir mit Augenmaß vorgehen, um den Beschäftigten, die in der Pandemie sehr belastet sind – wir haben auch den Fachkräftemangel –, nicht noch zusätzliche Lasten aufzubürden.

Nicht überall muss das Rad neu erfunden werden. Wir können auf Vorhandenem aufbauen. Es gibt zahlreiche Fortbildungs- und Beratungsangebote. Wir haben den NRW-Aktionsplan „Gemeinsam gegen Gewalt“ zum Schutz von Feuerwehr und Rettungskräften oder die Landesinitiative Gewaltschutz mit Fokus auf der Behindertenhilfe.

Es ist für uns selbstverständlich, dass wir den Beschäftigten bei Schutz vor Gewalt beistehen. Übergriffe auf medizinisches Personal verurteilen wir aufs Schärfste. Die tiefergehende Debatte muss im Fachausschuss geführt werden. Unsere Fraktion wird der Übermittlung des Antrags zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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