Mehrdad Mostofizadeh: „‚Es hängt nicht von der Nationalität, vom Glauben oder von der Religion ab, ob jemand straffällig wird oder nicht'“

Zur Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktionen von "AfD" und FDP nach dem Anschlag in Aschaffenburg

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es ist ein Kind mit dem Namen „Yannis“ ermordet worden – darauf hat die Kollegin Schäffer eben schon hingewiesen –, und ein weiteres Kind wurde verletzt, beide offensichtlich mit ausländischen Wurzeln. Ich habe mir an dem Abend notgedrungen, wie viele andere hier im Saal, die Reaktionen angeguckt. Die erste Reaktion aus dem politischen Raum kam vom deutschen Bundeskanzler, und darin beschäftigte er sich sehr wenig mit der Frage, wie es den Kindern und wie es den Opfern geht und damit, wie es mit dem Mann war, der sein Leben lassen musste, sowie mit dem älteren Herrn, der knapp am Tode vorbeigeschrammt ist. Das finde ich schade.

Ich habe es sehr genossen, Herr Kollege Ott, dass Sie am Anfang sehr klare Worte gefunden haben, was die Frage von Rassismus und Ausländerfeindlichkeit angeht. Und ich will Ihnen hinzufügen, Frau Kollegin Kapteinat: „Ausländer raus!“ ist nicht nur nicht die Lösung all unserer Probleme, sondern ein bescheuerter rassistischer Spruch, den wir nicht gebrauchen können.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Vereinzelt Beifall von der CDU und der FDP)

Ich weiß, dass wir heute mit diesen Debatten keine Geländegewinne machen können, dass wir nicht die Massen überzeugen werden. Aber wir alle miteinander sollten politischen Anstand wahren, Fehler eingestehen, zugestehen, dass wir nicht alles lösen können und dass wir auch nicht für totale Sicherheit sorgen können. Das wäre mir ein Anliegen. Das ist in Teilen der Debatte durchaus sogar gelungen, aber leider nicht bei allen. Bei einem hatte man es vermutet, aber dass die AfD tatsächlich auf dem Rücken der Opfer nicht eine einzige Silbe über den Tatverlauf oder über die Tat verliert, sondern hier eine Parteitagsrede zur Wahl von Frau Weidel hält, das ist beschämend und ekelhaft.

(Beifall von den GRÜNEN, der CDU, der SPD und der FDP)

Hier wird jetzt geguckt, wie man CDU und Grüne in Nordrhein-Westfalen auseinandertreiben kann. Das kann doch heute nicht unser Thema sein. Selbstverständlich halten wir Grüne es für nicht akzeptabel, Herr Innenminister, dass Mehrheiten mit der AfD gebildet werden. Darum geht es. Es geht nicht darum, ob die AfD zufällig irgendwo zustimmt oder nicht. Das macht die doch klein. Das ist doch nicht unser Thema.

(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von der SPD: Sehr gut!)

Frau Kollegin Kapteinat, zur Wahrheit gehört aber auch, dass Sie es bis jetzt nicht geschafft haben – Sie haben es heute wieder getan –, von Ihrer aus meiner Sicht relativ schrillen, aufgeregten und unnütz zuspitzenden Art abzurücken, nach Lösungen zu suchen und ernsthaft zu gucken: Worum geht es denn? Was ist da passiert in Aschaffenburg, in Magdeburg, aber eben auch in Solingen? Das finde ich jammer-, jammerschade,

(Zuruf von der SPD)

weil das nicht zu dem passt, was der Fraktionsvorsitzende gerade sagte. Sie müssen sich schon entscheiden: Wollen Sie kooperativ, konstruktiv nach vorne gehen, oder wollen Sie doch wieder kleine parteipolitische Geländegewinne machen? Das finde ich nicht in Ordnung.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Ich bin kein Jurist, und ich bin auch nicht nah genug dran, um den Fall in Aschaffenburg im Einzelnen beurteilen zu können. In der Zeitung stand aber, dass diese Person dreimal in psychiatrischer Behandlung gewesen ist, aktenkundig war, den Behörden bekannt war.

(Zuruf von der SPD: Ja!)

Um jemanden in Haft zu nehmen, der offensichtlich Gefährder ist, ist keine Gesetzesverschärfung nötig. Offensichtlich ist eine engere Behördenkooperation nötig. Möglicherweise ist es nötig, Leute zu überwachen. Möglicherweise ist es nötig, denjenigen psychiatrische Behandlung anzubieten – Frau Kollegin Schäffer hat das ausgeführt –, die aus Kriegsgebieten kommen und unter Traumata leiden. Es ist nötig, das zu machen. Da sind wir – zumindest nach meiner Beobachtung – in allen deutschen Bundesländern verbesserungswürdig.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf von Markus Wagner [AfD])

Außerdem ist es nötig, zu sehen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass man mal in der Opposition und mal in der Regierung ist. Es geht auch darum, Versprechen einhalten zu können, die man abgegeben hat. Deswegen wundert es einen manchmal schon, wer irgendwo auf dicke Hose macht und am ersten Tag sonst was verspricht.

Der Ministerpräsident von Bayern war gestern bei Frau Maischberger. Das Ganze war zwar nicht so beeindruckend, aber er hat einen wichtigen Satz gesagt: „Es hängt nicht von der Nationalität, vom Glauben oder von der Religion ab, ob jemand straffällig wird oder nicht.“ – Da hat der Mann recht; da hat er völlig recht.

Es hängt möglicherweise von medizinischen Umständen ab. Es hängt davon ab, ob jemand gewalttätig ist, böse drauf ist; von verschiedenen anderen Dingen. Es gibt wissenschaftliche Hinweise dafür – und deshalb muss man das genau beobachten –, dass jemand, der in Kriegsgebieten bestimmte Erfahrungen gemacht hat, eher anfällig dafür ist, psychisch auffällig und auch zum Täter zu werden. Das wissen wir. Also müssen wir genau darauf reagieren.

Wir sollten nicht die Antwort geben, die Herr Söder wieder gegeben hat, nämlich, dass die Lösung sei, die illegale Migration zu beschränken. Das hat allenfalls ganz entfernt, nur bedingt etwas miteinander zu tun. Das ist ganz bestimmt nicht die Lösung des Problems, das Herr Söder selbst angesprochen hat.

(Beifall von den GRÜNEN – Zuruf)

Einen letzten Gedanken erlaube ich mir noch in dieser Rede, weil ich mit meiner Familie selbst davon betroffen bin. Ich kann Ihnen sagen, dass ich als junger Mann auch selbst Rassismuserfahrungen gemacht habe. Es wäre doch irre, wenn die Opfer von Aschaffenburg, die marokkanische Familie, die kurdisch-syrische Familie, jetzt selbst Angst haben müssten, dass ihre Brüder und Schwestern, ihre Verwandten unter Generalverdacht gestellt werden, weil hier eine hysterische Debatte geführt wird.

(Markus Wagner [AfD]: Dafür sorgen Sie doch mit Ihrer Politik! Unfassbar!)

Das ist das Allerletzte, was wir uns hier in Deutschland erlauben können. – Vielen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU – Markus Wagner [AfD]: Sie sorgen selbst dafür!)

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