Mehrdad Mostofizadeh: „Eine fachlich vereinfachte und unterkomplexe Betrachtung dieses Themas“

Mehrdad Mostofizadeh

Mehrdad Mostofizadeh (GRÜNE): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich natürlich sehr darüber, dass sich mein Vereinskollege von der AWO auch bei der SPD um die Pflege kümmern möchte. Lieber Thorsten Klute, ich muss allerdings sagen: nicht auf dem höchsten fachlichen Niveau; schon heute nicht.

Ich habe mich bei der Vorbereitung der Rede mit Zeitungen auseinandergesetzt, die ich sonst nicht unbedingt lese, und zwar unter anderem mit dem vorwärts. Darin liest man Interessantes, nämlich dass die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion der Auffassung ist, es gebe zwar Handlungsbedarf, man aber nur, weil es gerade einmal heiß geworden sei, nicht gleich in Aktionismus verfallen müsse. Sie verweist auch darauf, dass die ach so wunderbare SPD-Bundesregierung bereits 2008 gehandelt und ganz viel in Bezug auf Hitzepläne gemacht habe.

Das ist auch der Punkt, der mich an der Stelle ein bisschen ärgert: Die SPD möchte den Eindruck erwecken, hier in Nordrhein-Westfalen gebe es genau bei den Altenheimen, bei der vulnerabelsten Gruppe, eine Lücke.

Tatsächlich ist es anders – das wissen Sie auch ganz genau, Herr Kollege –: 70 % der zu pflegenden Menschen leben zu Hause, und dort ist die Situation deutlich dramatischer. – Darüber lese ich im Antrag nichts.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das heißt? Was macht ihr für die?)

Ich lese im Antrag auch nichts darüber, dass man Prävention betreiben müsste, zum Beispiel mehr Hitzeinseln und vieles andere, worüber wir am Freitag vielleicht noch einmal diskutieren werden, einrichten müsste, um die Menschen insgesamt vor Hitze zu schützen.

Für Hitzepläne sind die Kommunen zuständig. Natürlich wird das Land einiges dafür tun, um sowohl in Pflegeheimen als auch in Behinderteneinrichtungen oder auch in vielen anderen Einrichtungen Abhilfe zu schaffen.

Man kann aber – darauf hat Frau Kollegin Oellers gerade hingewiesen – nicht so tun, als würden die Krankenhäuser in der Finanzierungsstruktur genauso dastehen wie die Altenpflegeheime. Das wissen Sie auch. Das ist schlichtweg eine fachlich vereinfachte und unterkomplexe Betrachtung dieses Themas. Für die Investitionskosten der Krankenhäuser sind ausdrücklich und hauptsächlich die Länder zuständig. Für die Pflegeeinrichtungen gibt es ein Umlagesystem. Wer kennt es besser als Sie vom Vorstand der AWO? Diese werden über die Pflegekosten refinanziert. Das ist ein mehr als hinkender Vergleich und fast schon eine Verunglimpfung der Situation hinsichtlich des Themas, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU – Zuruf von Thorsten Klute [SPD])

Um es klar zu sagen: Ich weiß ziemlich genau, worüber wir da gerade reden, weil ich selbst im Altenpflegeheim das Klimagerät von der einen Seite auf die andere Seite getragen habe. Das ist schon 20 Jahre her. Zum Beispiel 2003 hat es nämlich auch schon einen sehr heißen Sommer gegeben. Es geht natürlich überhaupt nicht, dass Pflegehilfskräfte möglicherweise für die Beurteilung des Pflegezustandes oder der drohenden Dehydrierung einzelner Personen zuständig sind.

Folgendes unterscheidet uns auch bei der grundsätzlichen Betrachtung des Themas massiv von Ihnen: Wir wollen nicht nur reparieren. Wir wollen nicht für das, was in den Pflegeheimen schiefgelaufen ist, jetzt eine Hitzeanpassung machen. Vielmehr müssen wir da anders herangehen, nämlich komplexer. Wir müssen – so, wie es Frau Kollegin Oellers angedeutet hat – in den Gesundheitsämtern dafür sorgen, dass das in der Stadtplanung mitgeplant wird, damit wir Flächen haben, auf denen die Menschen sich auch draußen bewegen können, und dass Klimaanpassungsmaßnahmen weitgehend stattfinden.

Einen Punkt kann ich Ihnen an dieser Stelle nicht ersparen, nämlich einen Blick ins Gesetz. 2014 waren Sie, wenn ich mich richtig erinnere, Staatssekretär und könnten möglicherweise davon gehört haben. In der Wohn- und Teilhabegesetz-Durchführungsverordnung steht in § 25 Abs. 2:

„Die Leistungsanbieterin oder der Leistungsanbieter hat für eine den klimatischen Verhältnissen angepasste Innentemperatur im Individual- und Gemeinschaftsbereich zu sorgen.“

Im Übrigen hat auch der Arbeitgeber – darauf verweist die gesundheitspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der SPD nämlich auch in dem vorwärts-Artikel – natürlich eine Fürsorgepflicht und dafür zu sorgen, dass in den Pflegeeinrichtungen eine erträgliche Temperatur – diese liegt weit unter den 28 °C, die angeführt worden sind – herrscht.

Zusammengefasst könnte ich also sagen – dem würde ich mich allerdings nicht anschließen –: Wir haben gar nichts damit zu tun. Die Punkte sind eigentlich geregelt.

Natürlich werden wir aber dafür sorgen, dass die Pflegeheime nicht alleingelassen werden, und natürlich werden wir auch dafür sorgen, dass sie bei den Energiekosten demnächst nicht alleingelassen werden – aber nicht mit einem so dahingeworfenen Antrag, wie ihn die SPD hier vorgelegt hat.

(Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Wo ist denn Ihr Entschließungsantrag?)

Ihr suggeriert, dass hier irgendetwas schiefläuft, wie es heute Morgen gesagt wurde, und wir zwei Monate im Sommerschlaf gewesen seien, wie es Alexander Vogt eben gesagt hat. Das muss ich sehr klar zurückweisen.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

Es gibt einen fulminanten Koalitionsvertrag, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Wenn Sie diese Krise, die wir im Moment haben – das ist mein letzter Appell an dieser Stelle –, sowohl die Gesundheitskrise als auch die Energiekrise und die soziale Krise, die jetzt neben der Klimakrise ansteht, auf diesem Niveau weiterspielen wollen, dann haben wir ein echtes Problem. Dann werden wir auch sehr deutlich miteinander um die besten Konzepte ringen.

(Zuruf von der SPD: Oh! – Lisa-Kristin Kapteinat [SPD]: Das Problem ist vielleicht eher Ihre Tatenlosigkeit!)

Wenn Sie meinen, die SPD-Fraktion handele dadurch besonders klug,

(Zuruf von der SPD: Vom Saulus zum Paulus!)

dass sie in sich widersprüchlich ist und auch noch das Gegenteil dessen macht, was ihre Bundestagsfraktion tut, dann machen Sie so weiter. Wir werden uns das ansehen. Wir werden fachlich gute Politik abliefern.

(Beifall von den GRÜNEN und der CDU)

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