Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Ja, es ist ein Erfolg, dass wir Hartz IV und das System, das so viele Menschen an den Rand unserer Gesellschaft gestellt hat, überwunden haben. Es ist gut, dass wir bei der Vermittlung von Menschen, die es schwer haben, in den Arbeitsmarkt zu kommen, vor allen Dingen auf Vertrauen setzen, dass wir dafür arbeiten, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Jobcentern einen breiten Werkzeugkasten haben, um Menschen in Arbeit zu bringen, und das vertrauensvoll mit ihren Kund*innen tun. All das ist richtig.
Jetzt haben wir hier einen Antrag, der – ich kann es nicht anders sagen – genau dem entgegensteht, der gängelt, der das Leben von Menschen in unserem Land mal wieder nicht besser macht.
Bevor ich einsteige, möchte ich einordnen. Meine Kollegin Teschlade hat das gerade schon gesagt, und die FDP hat den Zwischenruf „Um die geht es doch gar nicht“ gemacht.
Worum geht es eigentlich, wenn wir über Menschen in Bürgergeldbezug reden? Die Kollegin hat gerade von zwei Millionen Kinder gesprochen. Dann bleiben noch die erwerbsfähigen Menschen, die Bürgergeld beziehen. Von denen ist ein Viertel in einer Weiterbildung, einer Ausbildung oder besucht eine Schule. 14 % der Menschen sind aufgrund von Krankheit oder Pflege von Angehörigen nicht arbeitsfähig. Ein ganzes Fünftel, also 20 %, der erwerbsfähigen Menschen, die Bürgergeld beziehen, tun das, weil sie aufstocken müssen.
Die FDP behauptet, Bürgergeld wird zur dauerhaften Alternative zur Arbeit. Ihnen kommt da ganz flott über die Lippen, das sei ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ich möchte Sie gerne auffordern: Wagen Sie das Selbstexperiment. Nehmen Sie die 563 Euro im Monat, die Ihnen als Regelsatz im Bürgergeld zustehen. Ich möchte gerne gucken, wie weit Sie damit kommen. Mir kommt ganz flott über die Lippen: Ich glaube, Sie halten das keine sechs Monate durch, keine sechs Monate.
(Beifall von den GRÜNEN)
Was sind denn die Lebensrealitäten der sogenannten Aufstocker*innen? Das sind die alleinerziehende Verkäuferin, die auf einen Kindergartenplatz wartet, der Sozialarbeiter, der seine Eltern nebenbei pflegen muss, oder der Paketzusteller beim Sub-Sub-Subunternehmer. Was denen wirklich helfen würde, sind Finanzierung von Qualifizierungsmaßnahmen, die Förderung guter Tarifbindung, Kindergrundsicherung oder ein Teilhabegeld, gesellschaftliche Wertschätzung von Care-Arbeit, also Sorgearbeit, und daraus folgend Arbeitsplätze, die familiengerecht sind. Auf all das geben Sie in Ihrem Antrag keine Antworten. Sie treten weiter nach unten.
Denn tatsächlich ist es so, dass unter den 5,5 Millionen Menschen, die im Jahr 2023 Bürgergeld bezogen haben, nur 16.000 Fälle sind, bei denen Leistungen gekürzt wurden, weil die Annahme von Arbeit verweigert wurde. Es sind 16.000 von 5,5 Millionen! Dieses Verhältnis muss man sich einmal vorstellen.
Es verbleiben unter den Erwerbsfähigen 1,7 Millionen Menschen in ganz Deutschland, die grundsätzlich arbeitsfähig wären. Von denen – das wurde gerade schon ausgeführt – hat eine große Mehrheit erhebliche Vermittlungshemmnisse wie fehlende Berufsabschlüsse, Alter über 55 Jahre, Schwerbehinderung oder langjährige Arbeitslosigkeit. Sie scheitern an den strukturellen Hürden des Arbeitsmarktes.
In dieser Situation wollen Sie die Jobcenter anweisen, diesen Menschen Arbeitsgelegenheiten anzuordnen, was die Jobcenter bereits tun können. Sie tun es aber nicht. Und ich kann Ihnen genau sagen, warum: Weil es nicht zielführend ist. Weil es nichts bringt. Weil die Menschen nur geparkt werden. Weil das keine dauerhafte Eingliederung in den Arbeitsmarkt ist. Das ist eine Beschäftigungsmaßnahme sowohl für Arbeitssuchende als auch für Jobcentermitarbeiter.
Derweil laufen in den letzten zwei Jahren die Protestschreiben der Jobcenter in unseren Postfächern über, weil Jahr für Jahr der Bund die Mittel für die Jobcenter für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen kürzt. Ganz ehrlich, ich würde mich als Mitarbeiter im Jobcenter, der Menschen ernsthaft in Arbeit bringen will, von diesem Antrag verarscht fühlen.
(Zuruf von Franziska Müller-Rech [FDP])
Sie hätten die Möglichkeit gehabt, die Jobcenter so auszustatten, dass sie ihrer eigentlichen Vermittlungsarbeit nachkommen können, und das bei dem Arbeitskraftmangel, den wir gerade haben. Ich würde mich schämen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Darüber hinaus zeigen die positiven Effekte von Programmen wie 16e und 16i, die Langzeitarbeitslose durch gezielte Unterstützung auf den ersten Arbeitsmarkt vermitteln: Lösungen existieren, wenn politischer Wille da ist.
Am Ende Ihres Antrags fordern Sie dann noch schärfere Sanktionen, obwohl die Studienlage und das Bundesverfassungsgericht Ihnen da zuhauf widersprochen haben. Es gibt keinen Hinweis, dass dadurch eine bessere Mitwirkung zu erwarten ist.
Verweigern Sie die Arbeit, machen Sie das, liebe FDP. Wir wollen uns lieber darum kümmern, Menschen in echte Arbeit zu bringen, indem wir Jobcenter besser ausstatten und dafür sorgen, dass wir Menschen vermitteln, indem wir für eine auskömmliche Finanzierung der wirksamen Instrumente streiten. Für die echten Lösungen lohnt es sich nämlich, zu arbeiten.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall von der CDU)