Jule Wenzel (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen!
(Enxhi Seli-Zacharias [AfD]: Oh!)
Die FDP legt einen Antrag vor, der zeigt: Ihnen ist Wahlkampfgetöse wichtiger als die konkrete Lebensrealität der Menschen in Deutschland. Auch wenn Ihr Antrag offensichtlich allein auf den Bundestagswahlkampf abzielt, nehmen wir den Ball gerne auf. Denn es geht um ein sehr wichtiges Thema, nämlich um unsere Pflege und um unsere Gesundheitsversorgung.
Ja, die Kosten für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung sind stark gestiegen. Das weiß jeder, der Post von seiner Krankenversicherung bekommt. Eine Hauptursache liegt in der demografischen Entwicklung. Wie Sie wissen, werden wir immer älter; dagegen kann auch die FDP nicht wirklich wirksam etwas tun.
(Beifall von den GRÜNEN – Vereinzelt Beifall und Heiterkeit von der SPD)
Wir haben außerdem einen langen Reformstau hinter uns. Das lag auch daran, dass sich die demokratischen Fraktionen auf keine grundlegende Reform einigen konnten. Das können wir doch besser machen. Mit Ihrem Antrag gelingt das aber leider nicht.
Ich danke meinem Kollegen Görtz dafür, dass er gerade schon sehr viele Maßnahmen genannt hat, wie wir unser Gesundheitssystem effizienter gestalten können, um Kosten zu vermeiden. Bürokratieabbau, unnötige Doppeluntersuchungen, ein besseres Lotsen durch das Gesundheitssystem und die Krankenhausplanung – all das sind wichtige Punkte, die wir auf dem Weg angehen, um unser Gesundheitssystem qualitativ gut aufzustellen und die Kosten für die Allgemeinheit zu begrenzen.
Diese Reformen brauchen aber Zeit. Wir können die Kostendynamik kurzfristig nicht so aufheben, dass wir ohne Beitragssteigerungen auskommen, es sei denn, wir kürzen Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Wer A sagt, der muss auch B sagen. Wer aber wie die FDP nichts vorschlägt, der muss damit leben, auf seine Leerstellen hingewiesen zu werden. Wer wie die FDP also jede Einnahmensteigerung ablehnt und gleichzeitig die Beiträge stabil halten will, öffnet damit die Flanke für Einschnitte bei den Leistungen.
Konkret würde das bedeuten, dass gesetzlich Versicherte eine schlechtere Gesundheitsversorgung als privat Versicherte bekommen. Wir sind der Meinung, dass Gesundheit ein Menschenrecht ist und allen gleichermaßen offenstehen muss.
(Beifall von den GRÜNEN, Guido Görtz [CDU], Rodion Bakum [SPD] und Thorsten Klute [SPD])
Wir wollen nicht, dass Menschen, die sich eine private Krankenversicherung leisten können, eine bessere medizinische Behandlung bekommen als solche mit geringem Einkommen. Es gibt keine Menschen zweiter Klasse.
(Ralf Witzel [FDP]: Wer sagt das denn? So ein Quatsch!)
Um den steigenden Beiträgen zu begegnen, ist die kurzfristige Alternative zur Leistungseinschränkung eine ausreichende Finanzierung der Kranken- und Pflegeversicherung.
Sie sorgen sich in Ihrem Antrag darum, dass hoch qualifizierte Fachkräfte stärker belastet werden könnten. Auch wenn inzwischen klar sein sollte, dass es Ihnen in der aktuellen Diskussion überhaupt nicht darum geht, ist es sehr interessant, um wen Sie sich mal wieder nicht sorgen, nämlich um die arbeitende Bevölkerung insgesamt, um all jene, die, wie Sie an anderer Stelle gerne betonen, den Laden am Laufen halten und morgens um 6:00 Uhr auf der Matte stehen.
Durch die gestiegenen Sozialversicherungsbeiträge werden genau diese Menschen aktuell belastet. Es sind die Kassierer*innen, die Pflegekräfte, die Stahlarbeiter*innen in Duisburg, die Erzieher*innen, Bauarbeiter*innen und noch viele mehr.
(Lachen von Ralf Witzel [FDP] – Susanne Schneider [FDP]: Das sind doch die Fachkräfte!)
Es sind all diejenigen, die jeden Tag aufstehen und sich nicht auf ihrem Vermögen ausruhen können. Diese Menschen werden aktuell und künftig weiter belastet werden,
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
wenn wir nichts im Finanzierungssystem ändern. Es muss uns um die Entlastung dieser Menschen gehen.
(Beifall von den GRÜNEN)
Für freiwillig gesetzlich Versicherte wie etwa den selbstständigen Maler- und Lackiermeister – auch das ist eine Fachkraft – ergeben sich übrigens bereits jetzt Belastungen durch Kapitaleinkünfte. Wenn er die Wohnung über seiner Betriebsstätte vermietet, dann werden diese Mieteinnahmen als Kapitaleinkünfte herangezogen, um Krankenkassenbeiträge zu bezahlen.
(Dr. Martin Vincentz [AfD]: Das ist auch falsch!)
Es ist schlichtweg nicht zu erklären, dass in diesem Land Meister Lampe mehr bezahlt als die Gräfin von Thurn und Taxis,
(Ralf Witzel [FDP]: Oh!)
dass diejenigen, die Millionen haben und ihr Auskommen mit Dividenden erwirtschaften, weniger als der ehrliche Handwerker zahlen sollen.
(Beifall von den GRÜNEN und der SPD – Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Wir können uns vortrefflich darüber streiten, was zielführender ist, um kleine Anleger nicht zu belasten – seien es Freibeträge bei der Heranziehung von Kapitaleinnahmen zur Sozialversicherung oder eine höhere Besteuerung und Umlage der Kapitaleinnahmen.
(Ralf Witzel [FDP]: Es ist doch auf Unternehmensebene längst versteuert! Das ist doch eine Milchmädchenrechnung!)
Was aber immer wieder auffällt: Sobald es Ihnen um den solidarischen Beitrag von sehr vermögenden Personen in diesem Land geht, verschieben Sie den Fokus sehr gerne und sehr schnell auf die vermeintliche Besteuerung oder Belastung von Menschen mit geringem Einkommen, um nicht über diejenigen zu reden, die Millionen haben und am Ende wenig beitragen sollen. Das ist echte FDP-Klientelpolitik.
Ja, die steigenden Kosten in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind eine Herausforderung. Das bestreitet niemand. Was liefert die FDP als Antwort? Nichts.
(Ralf Witzel [FDP]: Doch! Natürlich!)
Sie schreiben, dass politische Maßnahmen erforderlich seien, um die Ausgabenentwicklung zu bremsen. Aber welche denn genau? Hier sind Sie offensichtlich total blank.
(Zuruf von Ralf Witzel [FDP])
Zum Glück entscheiden am Ende die Wähler*innen. Bei uns Grünen finden sie Ideen für ein Leben und eine Gesundheitsvorsorge, die für alle bezahlbar sind. Und das ist gut so. – Vielen Dank.
(Beifall von den GRÜNEN, Guido Görtz [CDU], Jens-Peter Nettekoven [CDU] und Thorsten Klute [SPD])