Gönül Eğlence (GRÜNE): Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen! Nachdem es gestern im Bundestag eine Mehrheitsbeschaffung jenseits der demokratischen Mitte gegeben hat, fällt es mir ehrlicherweise heute wirklich schwer, zur Tagesordnung überzugehen, gerade auch bei dem Thema, bei dem es ganz konkret um die Anerkennung der Vielfalt unserer Gesellschaft geht.
Ich möchte Ihnen heute gerne aus meiner eigenen Familiengeschichte berichten, zum Beispiel darüber, dass meine beiden älteren Schwestern nach der Geburt in die Türkei gegeben wurden und dort bis Ende der Grundschule ihr Leben verbrachten und dass meine andere Schwester und ich, also die beiden Jüngeren, eher durch Zufall nach der Geburt in Deutschland blieben, hier aber wochentags bei einer Wochenmutter lebten und nur am Wochenende bei den Eltern waren.
Ich will an dieser Stelle meinen Eltern und vielen weiteren Eltern der sogenannten Gastarbeiter*innen-Generation für ihre Lebensleistung danken, diese Leistung würdigen und anerkennen, dass sie auf die ersten Lebensjahre mit ihren Kindern verzichtet haben, um die Arbeitsleistung zu erbringen, für die sie angeworben wurden.
(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)
– Finde ich auch, danke. Diese Geschichte habe ich erzählt, um exemplarisch deutlich zu machen, wie unterschiedlich die Sprachvoraussetzungen allein innerhalb einer Familie sein können. Während meine beiden älteren Schwestern die Erstsprache Türkisch hatten, hatten wir beiden Jüngeren Deutsch als Erstsprache. Die Älteren brauchten zusätzliche Unterstützung für den Quereinstieg an der weiterführenden Schule in Deutschland, während wir beiden Jüngeren den damals sogenannten muttersprachlichen Ergänzungsunterricht brauchten.
Alle vier sind heute fließend zweisprachig in Wort und Schrift. Alle vier profitieren heute davon, beruflich wie privat, sich nicht nur in zwei Sprachen, sondern auch in zwei Kulturen bewegen zu können. Alle vier sind unterschiedliche Wege zur Mehrsprachigkeit gegangen. Aber alle vier haben dafür die schulischen Angebote gebraucht und auch in Anspruch genommen.
Mit Blick auf den Antrag will ich eine Argumentation anführen, die im Bildungskontext eher unüblich ist. Neben Aspekten wie der kognitiven Entwicklung, der kulturellen Identität und der Vorteile des Erst- und Herkunftssprachlichen Unterrichts gibt es nämlich auch ein wirtschaftliches Argument: Kinder aus mehrsprachigen Familien sind in einem global aufgestellten Arbeitsmarkt und in einem Einwanderungsland ein Gewinn für jedes Unternehmen.
Sie sind es allerdings erst dann, wenn sie beide Sprachen auf hohem Niveau sprechen. Das nennt man in der Linguistik „elaborierter Code“. Deshalb geht es über die Stärkung des sogenannten HSU, also den Herkunftssprachlichen Unterricht, hinaus. Wie Herr Grunewald schon erwähnt hat: Mit dem HSU in NRW haben wir bereits eine wirklich gute Basis, die es jetzt auch weiterzuentwickeln gilt.
Ihr Ansatz, Frau Engin, oder liebe SPD-Fraktion ist schon ein Weg in die richtige Richtung. Diesen haben wir auch so im Koalitionsvertrag entsprechend vereinbart. Als regierungstragende Fraktionen wird es jetzt unsere Aufgabe sein, sowohl einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen als auch entsprechend qualifiziertes Personal zu rekrutieren und haushalterisch abzubilden.
Daran arbeiten wir und werden einen entsprechenden Vorschlag machen. In der Sache stimme ich Ihnen zu, den Antrag lehnen wir aber ab. – Danke schön.
(Beifall von der CDU und den GRÜNEN)